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Sondervermögen für die BundeswehrTeurer Aktionismus

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Die Probleme der Bundeswehr sind vor allem systemischer Natur. Milliarden hineinzupumpen, ohne Grundlegendes zu ändern, ist Verschwendung.

Sprungübung mit Fallschirm im Baden-Württembergischen Althausen Foto: Silas Stein/dpa

D er Bundestag wird am Freitag die größte jemals getätigte Ausgabenerhöhung für die Bundeswehr beschließen. 100 Milliarden Euro sollen in den nächsten fünf Jahren vor allem in Aufrüstung fließen: Kampfflugzeuge, Kampfpanzer, Mehrzweckkampfboote. Eine gigantische Summe, die in erster Linie von politischem Aktionismus zeugt.

Es waren ja nicht die Verteidigungs­po­li­ti­ker:innen, die nach sorgfältiger Bedarfsanalyse eine Einkaufsliste vorgelegt haben, die sich zufällig auf 100 Milliarden Euro beläuft. Das ist eine politische Summe, die Bundeskanzler Olaf Scholz drei Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Bundestag mit der Botschaft verkündete: Wir handeln jetzt, nimm Dich in acht, Putin.

Aber rasches Handeln ist kein Selbstzweck. Keine Frage, es musste etwas passieren. Angesichts eines hochgerüsteten Russlands mit imperialen Großmachtfantasien sind Landes- und Bündnisverteidigung seit dem 24. Februar keine abstrakten Begriffe mehr, sondern bittere Notwendigkeit. Und ja, die Bundeswehr ist in einem schlechten Zustand.

Schimmelige Kasernen, Soldat*innen, die sich ihre Schutzwesten privat kaufen, Panzer, die nicht fahren. Aber das ist nicht in erster Linie das Resultat einer „kaputt gesparten“ Bundeswehr. Der Rüstungsetat ist seit 2014 kontinuierlich gestiegen und beträgt derzeit 50,3 Milliarden Euro. Damit könnte man übrigens alle Schulen in Deutschland top sanieren.

Die Probleme bei der Bundeswehr sind systemischer und nicht fiskalischer Natur. Ein verfilztes Beschaffungswesen, das dafür sorgt, dass zwischen Bestellung und Lieferung eines ballistischen Schutzhelms zehn Jahre vergehen. Eine Bestellpolitik, die vor allem die heimische Rüstungsindustrie pampert und nicht darauf schaut, was in Kooperation mit den europäischen Part­ne­r*in­nen nötig und sinnvoll wäre.

Wenn deutsche Sol­da­t*in­nen mit Funkgeräten hantieren, die außer ihnen niemand nutzt, dann ist das vor allem Ausdruck von Geldverschwendung. Eine Greenpeace-Studie hat jüngst berechnet, das aufgrund der ineffizienten Strukturen bis zu 35 Milliarden Euro des Sondervermögens sinnlos verplempert werden könnten.

Das Beschaffungswesen durchlüften

Bevor man also weitere Milliarden in fragwürdige Kanäle pumpt, sollten diese erst mal durchlüftet werden. Eine Reform des Beschaffungswesens wäre vor der Grundgesetzänderung nötig gewesen. Denn, mal ehrlich: So sehr eilt es nun auch nicht. Bis die aus dem Sondertopf beschafften F-35-Jets fliegen und die ersten Schiffe schwimmen, werden Jahre vergehen.

Zwei Dinge sind nun entscheidend: Erstens eine tatsächliche Revision der Beschaffungsstrukturen in der Bundeswehr. Und zweitens eine Strategie, wie man aus dieser in Gang gesetzten Aufrüstungsspirale irgend wann wieder heraus kommt. Abrüstungsverträge und Rüstungskontrolle sind angesichts einer waffenstarrenden Welt nötiger denn je.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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21 Kommentare

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  • Also der Raketenschirm wenn er mit genügend Raketen unterfüttert wird ist eine tolle Investition, der wird im Zweifelsfall Millionen Menschen das Leben retten.



    Die Investitionen in die Marine sind auch notwendig, die USA wollen nicht länger Weltpolizist sein, Deutschlands Überleben hängt vom freien Handel ab da muss man Handelswege schützen können.

    • @Machiavelli:

      Bisher hatten die USA bei den meisten Kriegen profitiert, weil sie keine Städte wieder aufbauen mussten und beim Wiederaufbau 'helfen' konnten und ihren Einfluss erweitern konnten, sogar willkommen waren, insbesondere zu Zeiten eines 'Wirtschaftswunders', kein schlecht angelegtes Investment in der Krise...

  • So sehe ich das auch. Und gleichzeitig erkenne ich kerinelei Reformaktivitäten. Das Geld das im Moment ausgegeben wird, füllt hauptächlich die Taschen der Rüstungsunternehmen. Italien hat bei halb so grossem Verteidigungshaushalt eine Armee die fastgenausogross ist wie die Bundeswehr, aber z.B. auch zwei Fluzeugträger (das bei weitem kostspieligste konvetionelle Ausrüstungsstück) und 5 Hunschrueberträger. Da läuft also einiges schief. Man sollte auch mal die neuesten lehren aus dem Ukrainekrieg ziehen, die darauf hindeuten dass auch in einem modernen konevntionellen Krieg die Zahl der eingesetzten Soldaten extrem wichtig ist. Mithin deutet das daraf hin dass die Wehrpflicht wieder eingeführt werden sollte. Alles in allem sollte erst eine objektive Analyse stattfinden bevor Geld zume Fenster hisaus geschippt wird (werfen kann man diese Mengen nicht mehr)

  • Selbstverständlich muß die Bundeswehr grundlegend reformiert werden. Und leider muß man Zweifel haben ob Frau Lambrecht dafür die Richtige ist. Aber wenn die Verteidigung Deutschlands und Europas nicht den Amerikanern überlassen werden soll, dann muß noch sehr viel mehr geschehen. Und das wird nicht gehen, wenn man schon jetzt die Aufrüstungsspirale beklagt und auf Abrüstungsverträge und Rüstungskontrolle hofft. Mit wem? Mit Putin oder Xiping? Das kann man vergessen. Die haben nur eins im Sinn: Den Westen vernichten.

  • In der Debatte um das Sondervermögen sind der aktuelle Verteidigungshaushalt und die signifikanten Steigerungen der Ausgaben für die Bundeswehr in den letzten Jahren mehrere Male genannt worden. Gleichzeitig wurde mantramäßig immer der Mangel in der Bundeswehr erwähnt.

    Ich habe mich schon seit Februar gefragt, warum dieser Widerspruch zwischen hohen Ausgaben und andererseits doch Mangel nie hinterfragt wurde.

    Niemand in der Wirtschaft, die sonst von FDP und CDU ja sehr gepriesen wird, würde so agieren, in einen maroden Betrieb einfach nur Geld zu pumpen ohne zunächst die Strukturen zu ändern.

    Warum merkt das bei den Parteien niemand? Will man das nicht?

  • Es geht doch gar nicht darum, die Bundeswehr besser auszurüsten.

    Man will Geld locker machen für "Investitionen" in der Ukraine, das ist Alles.

  • Wir erleben gerade die Umstellung auf eine Schnellschußpolitik (nicht zuletzt auch aufgrund vieler Versäumnisse der Vorgänger*innen) einer gehetzten Regierung, an der Spitze eines um seine Reputation kämpfenden Sozialdemokraten Olaf Scholz. Anna Lehmann hat Recht, die 100 Milliarden helfen nicht in der kurzfristigen Unterstützung des ukrainischen Volkes



    in seiner Verteidigung gegen Putin, sie sind eher ein Alibi nach innen, um den Deutschen vorzugaukeln: 'Wir tun doch etwas'. Und wenn gleichzeitig schnelle Hilfe, die möglich wäre, versagt oder verzögert wird, muß dieser 100 Milliarden Schnellschuß zusammen mit einer Grundgesetz-Änderung abgelehnt werden, solange keine solide, mindestens mittelfristige Planung über die konkrete Verwendung dieser Gelder vorliegt. So ist das ein undemokratisches 100 Milliarden Ermächtigungsgesetz, das dazu noch von einer vollkommen demotivierten Ministerin verwaltet werden soll und damit Tür und Tor geöffnet wird für Wegelagerer einer Rüstungsindustrie, die gierig darauf wartet, davon profitieren zu können.

  • Die 100 Mrd sind nur der Anfang der Spirale. Durchs Sieb fallen werden viele gute Projekte, der Zivil- und Katastrophenschutz kommt noch obendrein. Da sind wir wieder mitten drin im Thema: Wachstumszwang für die Wirtschaft.

  • Immer schön, wenn Salonlinke der Bundeswehr erklären, was falsch läuft. Ähnlich den total mutigen Äußerungen der Vorzeigesozialisten, die heute sagen: Ich würde heute nicht mehr den Wehrdienst verweigern.

    • @Frank Stippel:

      "Immer schön, wenn Salonlinke der Bundeswehr erklären, was falsch läuft."

      Ist auch notwendig. Schließlich scheint bei der BW noch nicht mal jemand zu wissen, wie man eine Unterhose kauft.

  • Richtige Analyse,. Nur leider ein alter Hut. Der Kommentar wirft eine Reihe von Fragen auf, die leider nicht beantwortet werden : Gibt es schon Konzepte für eine Reform des Beschaffungswesen? Wenn ja,wie sehen Sie aus? In welchen Ländern funktioniert das Beschaffungswesen und warum? Ich denke, da ist auch in der taz noch viel Luft nach oben, wenn es um kritischen und konstruktiven Journalismus geht.

  • "Die Probleme bei der Bundeswehr sind systemischer und nicht fiskalischer Natur."

    So ist es. Ohne grundlegende Reformen werden die 100 Milliarden einfach in die Geldverbrennungsmaschine BW geschaufelt.

  • Ein Gespräch mit einem früheren Z-Soldaten, Offizier in den 70-er Jahren



    1)



    Damals hat man nicht auf die Uhr geschaut, der Verantwortliche hat auch am Sonntag repariert, was der Reparatur bedurfte, dafür hat keine gemeckert, wenn er Donnerstag - wo gerade nichts zu flicken war - privatisiert hat



    2)



    Man hat nach er Wende unfähige Wessis gefördert, nicht qualifizierte Ossis.



    3)



    Stiefeluschi war nicht die unfähigste Verteidigungsministerin, es gab schon vor ihr Unfähigste.

  • Letztendlich ist die Erkenntnis, dass Milliarden für die Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten verplempert wurden und die Beschaffungsstrukturen ineffizient sind nicht das Kern-Problem.

    Das Kern-Problem ist, dass wir es weder politisch noch gesellschaftlich anstreben, ein effektives und effizientes Militär zu haben.

  • Ich kann die im letzten Satz behauptete Aufrüstungsspirale noch nicht erkennen und auch nicht, warum es dafür schon einer Exit-Strategie bedürfte. Im Moment geht es um Nachrüstung und glaubwürdige Abschreckung. Ob Putins Russland tatsächlich langfristig die Kraft haben wird, in eine Rüstungsspirale einzusteigen und diese auch durchzuhalten, bleibt abzuwarten. (Gleichwohl Deutschlands Nachrüstung allein Russland da wohl kaum triggern würde.)

    • @MeinerHeiner:

      Natürlich braucht es auch einen Endpunkt. Schließlich ist unendlich rüsten völlig sinnlos. Und Rüstungsziele in die Verfassung zu schreiben ist einfach nur dumm. Schließlich kann sich die Lage ändern und dann besteht eventuell der verfassungsmäßige Zwang, weiter zu rüsten.

  • Ebenfalls Zustimmung. Ich hatte mal einen etwas simpel gestrickten Arbeitskollegen, der zuvor bei der Bundeswehr gewesen war. Keckernd zeigte er einen Karabinerhaken vor, Teil einer Fallschirmgarnitur. Den habe er mitgehen lassen, der Einkaufspreis läge bei 200 EUR. Ich fürchte, bei solchen Zuständen sind selbst 100 Milliarden schnell ausgegeben.

  • Wenn das Geld so erfolgreich verbrannt wird wie in den letzten Jahren (50+ Mio p.a) dann wird sich an der „Wehrfähigkeit“ Deutschlands überhaupt nichts ändern. Nur die Rüstungsindustrie freut sich doppelt.

  • Das "Sondervermögen" ist nicht nur "eine politische Summe" - mittlerweile fällt auch immer mehr unter den Tisch, wie undemokratisch (an der eigenen Fraktion und an den Grünen vorbei) Scholz seinen 100-Milliarden-Coup durchgezogen hat.

    Vor dem Hintergrund des Angriffs auf die Ukraine wurde die Diskussion über das 2-Prozentziel der Nato ausgehebelt.



    Wer jetzt sich dagegen äußert, ist schnell dem Verdacht des "Putin-Verstehens" ausgesetzt.

    Eine milde Form der Kritik bleibt übrig - die systemimmanente Kritik am rotten Beschaffungswesen der Bundeswehr.

  • Ich stimme dem Kommentar voll und ganz zu!

    Die Frage ist nur: Ist Lambrecht die richtige Person für eine fundamentale Reform des Beschaffungswesens? Ich habe so meine Zweifel..