piwik no script img

Sommerserie „Wie riecht Berlin?“ (7)Das Sekret der Steine

In Berlin den „Petrichor“ zu riechen ist Glückssache. Der Geruch von einsetzendem Regen nach längerer Trockenheit löst aber auch Glücksgefühle aus.

Gleich geht's los – dann gibt's auch was in die Nase Foto: IMAGO / Christian Spicker

Berlin taz | Es gibt Gerüche, die verfolgen uns überall, ob wir es wollen oder nicht. Andere haben ihren spezifischen Ort, den wir erst aufsuchen müssen. Wiederum andere lassen sich ohne Weiteres und jederzeit aktiv erzeugen: indem wir Gewürze in einer Pfanne erhitzen oder die Hände mit Seife waschen – um einmal bei den angenehmeren Aromen zu bleiben. Und es gibt Gerüche, die uns so selten und unvorhersehbar in die Nase steigen, dass sie allein deshalb zu etwas Kostbarem, Bedeutungsvollem werden.

Den Geruch, um den es heute geht, kennen – und mögen – die meisten Menschen. Zumindest diejenigen, die in Weltregionen leben, wo trockenes und feuchtes Wetter sich ablösen. Es ist der schwere Duft, den Wasser erzeugt, wenn es auf ausgedörrte Erde fällt. Viele werden den Augenblick kennen, wenn sich nach längerer Trockenheit der Himmel verdunkelt und erst vereinzelte, dann immer mehr Tropfen auf das staubige Pflaster oder den ausgedörrten Rasen klatschen. Innerhalb kürzester Zeit umhüllt uns eine dichte olfaktorische Wolke, die den direkten Weg ins Assoziationszentrum unseres Gehirns nimmt, bevor sie so schnell verschwindet, wie sie entstanden ist.

Auch in Berlin entsteht dieser fragile und kurzlebige Duft mit einer gewissen Zuverlässigkeit. In diesem Jahr könnte es allerdings schwierig werden, ihn noch einmal zu erleben. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren hat es im Sommer 2023 nicht nur ausgiebig, sondern auch häufig geregnet, und eine längere Dürrephase scheint nicht mehr anzustehen. Der Petrichor – wie mittlerweile nicht nur die Fachwelt das erdige Aroma nennt – benötigt aber eine längere niederschlagsfreie Periode, bis ein plötzlicher Schauer ihn auslösen kann.

Göttliches Wundwasser

Der Begriff klingt altehrwürdig, wurde aber erst in den 1960er Jahren von zwei australischen Wissenschaftlern erfunden: Isabel Bear und Richard Thomas setzten das Wort aus den altgriechischen Vokabeln „petros“ (Stein) und „ichor“ zusammen, wobei es in die Irre führt, wenn Letzteres auf vielen Internet-Seiten als „Blut der Götter“ übersetzt wird. Das ist zwar eine historische Bedeutung des Wortes, in der Medizin steht „ichor“ allerdings für „Wundwasser“. Bear und Thomas wählten es in seiner Bedeutung als „flüchtige Essenz“, und vielleicht trifft ja „Steinsekret“ im Deutschen die Idee ganz gut.

Sommerserie (7): Wie riecht Berlin?

Es liegt was in der Luft Berlins Liedgut ist in der Geruchsfrage unentschieden: Einerseits weiß es vom „holden Duft, Duft, Duft“, den die „Berliner Luft, Luft, Luft“ haben soll – das Paul-Lincke-Lied, das als inoffizielle Hymne der Stadt gelten darf wie „Schwarz zu Blau“ von Peter Fox, der aber keine holde Note riecht. Im Gegenteil: „Und überall liegt Scheiße, man muss eigentlich schweben“.

Der ganz besondere Duft Manchmal muss man nur ein wenig schnuppern und weiß gleich, wo man sich befindet in dieser Stadt, die eben auch ihre besonderen Gerüche hat. In unserer Sommerserie spüren wir ihnen nach und erriechen Berlin, immer der Nase nach.

Die AustralierInnen hatten erstmals ernsthaft erforscht, was bis zu ihrem 1964 veröffentlichten Aufsatz meist nur als „lehmiger Geruch“ (argillaceous odour) bezeichnet wurde, als Phänomen aber natürlich seit Menschengedenken bekannt war. Die Wissenschaft hatte sich für das flüchtige Phänomen zuvor kaum interessiert, abgesehen von dem US-Amerikaner Thomas L. Phipson. Der stellte in der US-Zeitschrift The Chemical News, Jahrgang 1891, die Vermutung auf, der Erdgeruch bei Regen rühre von organischen Substanzen her, namentlich den ätherischen Ölen von Pflanzen, die in Trockenperioden von den porösen Oberflächen des Bodens eingefangen würden.

Phipson hatte das zuerst in der französischen Picardie mit ihren Kalkböden beobachtet, wusste aber zu berichten, dass auch andere mineralische Stoffe wie Mergel oder Phosphatgestein einen ähnlichen Geruch ausströmen, wenn man sie behaucht. Er hatte auch versucht, die ominöse Essenz zu extrahieren, was ihm mittels einer Bromlösung einigermaßen gelang: Am Ende erhielt er „eine gelbliche, in Alkohol lösliche Substanz mit einem starken Geruch nach Zedernholz“.

Die MineralogInnen Bear und Thomas stellten erst einmal klar, dass der Petrichor nichts mit dem Geruch nach frischer Erde oder Gras zu tun hat, sondern tatsächlich mineralische Untergründe zur Entstehung benötigt. Bei ihrer Recherche stießen sie auch darauf, dass im nordindischen Kannauj, einem traditionellen Zentrum der Parfümherstellung, schon seit Längerem künstliches Petrichor produziert wurde. Für dieses mitti attar wird Ton gebrannt, der Umgebungsluft ausgesetzt, dann befeuchtet und destilliert – des Produkt kann man heute noch kaufen, natürlich auch übers Internet.

In einem Brennofen erhitzten Bear und Thomas verschiedene Gesteinsarten – Basalt und Granit, aber auch Bauxit, Vulkanasche und Uranerz –, um alle etwaigen organischen Verbindungen darauf zu zerstören. Dann ließen sie diese unterschiedlich lange im Freien liegen, bevor sie die olfaktorischen Qualitäten vor und nach Benetzung mit Wasser prüften. Am Ende ließ sich praktisch immer eine nach Petrichor riechende ölige Substanz herausfiltern: Moleküle, die die Oberflächen eingefangen hatten, solange sie nicht nass geworden waren. Neben Pflanzenölen fanden sie darin „Geosmin“, einen erdig riechenden Alkohol, der entsteht, wenn bestimmte Bakterien und Blaualgen absterben.

„Tief liegende Emotionen“

Tiefer wollen wir nicht in die Wissenschaft des Steinsekrets hinabsteigen. Klar ist: Abhängig von den jeweiligen Umweltbedingungen und der Vegetationszone riecht Petrichor logischerweise überall auf der Welt etwas anders, vielleicht aber ähnlich genug, um bei den Riechenden vergleichbare Gefühlswelten zu eröffnen. Oder in den Worten des aus Nigeria stammenden und in Berlin lebenden Künstlers Emeka Ogboh: „Petrichor kann tiefliegende Emotionen auslösen. Selbst in Deutschland, wo der Geruch manchmal nicht so leicht anzutreffen ist, weil es sehr regelmäßig regnet, weckt er Gefühle von Vertrautheit, Heimweh und Erinnerungen an Momente, in denen wir eine enge Verbindung zur Natur erlebt haben.“ Die Bedeutsamkeit von Petrichor reiche über Individuen und einzelne Kulturen hinaus.

Ogboh arbeitet viel mit Sinneswahrnehmungen wie Klang und Geschmack – für die Documenta 14 entwickelte er 2017 zusammen mit afrikanischen Einwanderern ein unverwechselbares Craftbeer namens „Sufferhead“ –, und auch mit Gerüchen wie Petrichor befasst er sich seit Jahren. Für seine Ausstellung „Stirring the Pot“ 2021 in Marseille schuf er mit einem Pariser Parfümeur eine Reihe von Gerüchen, die auf Herkunft und Migration verweisen. Neben dem vertrauten Duft von hausgemachtem Essen war Petrichor ein Art „universal connector“, so der Künstler. Ihn selbst versetze der Geruch zurück in seine Kindheit im ostnigerianischen Enugu. Wenn er die in Paris erzeugten Geruchsproben in seinem Berliner Atelier öffne, erzeugten sie zuverlässig eine Kombination aus Unbeschwertheit und Wehmut.

Platzende Blasen

Noch einmal zurück zur (in diesem Fall gar nicht so) trockenen Physik: Vor einigen Jahren fanden Forscher des Massachusetts Institute of Technology heraus, dass die Energie der Regentropfen, die auf die organischen Partikel im Straßenstaub treffen, winzige Blasen in die Luft schleudern. Wenn diese platzen, setzen sie Aerosole, also Schwebstoffe, frei. Bei leichtem Regen funktioniert das besser als bei einem schnell einsetzenden Wolkenbruch – bei Letzterem ist die Luft über dem Boden vermutlich so stark mit Wasser gesättigt, dass die eigentümlichen Aromen vor der Ankunft auf unseren Geruchsrezeptoren gebunden werden.

Bleibt die Frage, ob es in Ordnung ist, sich über Trockenperioden zu freuen, weil ein schwerer Petrichor-Duft als Belohnung winkt. Eine Studie über die Ethik des Geruchs von Regen auf Erde in Zeiten des Klimawandels könnte die Erforschung dieses Phänomens irgendwann komplettieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!