piwik no script img

Solidaritätszuschlag in KarlsruheSoli oder Haushaltsloch

Sollten die sechs klagenden FDP­-Politiker:in­nen vor dem Bundesverfassungsgericht gewinnen, fehlen dem Fiskus 65 Milliarden Euro.

Will keinen Solidaritätszuschlag mehr: Christian Dürr, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion Foto: Christoph Soeder/dpa

Karlsruhe taz | Die FDP kämpft weiter gegen eine ausreichende (oder aus ihrer Sicht ausufernde) Staatsfinanzierung. An diesem Dienstag verhandelte das Bundesverfassungsgericht über die Klage von sechs FDP-Bundestagsabgeordneten gegen den Solidaritätszuschlag. Falls sie Erfolg haben, muss der Fiskus 65 Milliarden Euro zurückzahlen.

Der Solidaritätszuschlag wurde 1995 eingeführt, um den besonderen Finanzbedarf des Bundes wegen der Wiedervereinigung zu finanzieren. Er beträgt 5,5 Prozent der Einkommensteuerschuld (nicht des Einkommens).

Seit 2021 gelten allerdings großzügige Freigrenzen, sodass 90 Prozent der Steuerpflichtigen den Soli nicht mehr bezahlen müssen. Nur wer pro Jahr mehr als rund 18.000 Euro Einkommensteuer bezahlt, muss dazu auch noch den Soli-Zuschlag berappen. Der Soli bringt dem Fiskus aber immer noch 12 Milliarden pro Jahr.

Gegen diese Reform der schwarz-roten Koalition erhoben 2020 sechs FDP-Bundestagsabgeordnete Verfassungsbeschwerde. Der bekannteste von ihnen ist der jetzige Fraktionsvorsitzende Christian Dürr. Mit dabei waren auch Florian Tomcar und Katja Hessel; beide waren in dieser Wahlperiode Staats­se­kre­tä­r:in­nen im Finanzministerium.

Gleichheitsrecht der Reichen verletzt

Die FDPler bemängelten vor allem, dass der Soli immer noch erhoben wird, obwohl es keinen Sonderbedarf mehr für den Aufbau Ost gebe. Der Soli verletze daher ihr Grundrecht auf Eigentum. Außerdem sei ihr Gleichheitsrecht verletzt, weil nur noch Gutverdienende den Soli zahlen müssen.

Hätte die Klage der FDP­le­r:in­nen Erfolg, müsste der Bund den einkommensstarken Steu­er­zah­le­r:in­nen für die Zeit ab 2020 knapp 65 Milliarden Euro zurückzahlen, es wäre ein Haushaltsdesaster. Der FDP-Anwalt Henning Berger forderte deshalb das Bundesverfassungsgericht auf, eine „ausgewogene Lösung“ zu finden.

Andreas Audretsch, Vize-Fraktionschef der Grünen, verteidigte in Karlsruhe den Solidaritätszuschlag. Neben den Kosten der Einheit gebe es inzwischen viele neue finanzielle Sonderbedarfe des Bundes: Sanierung der Infrastruktur, Verteidigung und Hilfe für die Ukrai­ne, Klimaschutz. Dass den Soli nur noch Gutverdienende zahlen, sei vom Sozialstaatsgebot gedeckt, so Audretsch. Der SPD-Finanzpolitiker Michael Schrodi ergänzte, im Steuerrecht komme es immer auf die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen an.

DIW sieht weiterhin „teilungsbedingte Lasten“

Die juristischen Sachverständigen vertraten unterschiedliche Konzepte. Der Trierer Rechtsprofessor Henning Tappe sah im Grundgesetz keinerlei Zweckbindung für „Ergänzungsabgaben“ wie den Soli. Entscheidend sei, dass der Bund zusätzlichen Finanzbedarf habe. Dagegen forderte der Heidelberger Professor Hanno Kube die Beschränkung von Ergänzungsabgaben auf vorübergehende „Bedarfsspitzen“.

Ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sah im April 2020 noch jährlichen Sonderbedarf von rund 13 Milliarden Euro allein für „teilungsbedingte Lasten“, etwa beim Bürgergeld und bei der Rentenversicherung. Das Bundesverfassungsgericht wird sein Urteil in einigen Monaten verkünden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • Bei den ganzen Krisen und Finanzierungslücken gehört der "Soli" ( man kann ihn jetzt auch anders nennen) eigentlich wieder für ALLE eingeführt. Einen Teil über die Einkommensteuer, einen Teil über Erträge von Kapital und einen Teil durch Kürzungen bei Sozialen Ausgaben. Weil wenn jeder von der Lösung der Probleme profilieren möchte muss auch jeder seinen Beitrag leisten.

  • Es beim Soli vor allem um Glaubwürdigkeit. Er wurde ab 1991 erhoben mit ganz klarer Aussage: Temporär, zur Finanzierung des Aufbaus Ost. Deswegen wurde diese Steuererhöhung auch klaglos hingenommen.

    Es ist selbstverständlich, dass der Soli nach Beendigung der Aufgabe wieder abgeschafft wird. Wenn das nicht passiert, ist das ein erhebliches Glaubwürdigkeits-Problem für die Politik. Würden Sie jemandem etwas leihen, der es dann nicht zurückgibt, "weil Sie ja reich sind" ?

    Ich habe den Soli mein ganzes Berufsleben lang bezahlt, und soll ihn jetzt weiter bezahlen. Auch auf meine Sparerträge, für die Altersvorsorge. Das ist nicht in Ordnung. Die Nothilfe-Abgaben nach dem Krieg zum Wiederaufbau wurden auch abgeschafft, als die Aufgabe erledigt war.

    Wie will in Zukunft der Staat Sonderaufgaben mit Sonderabgaben bewältigen? Weil der DDR-Soli noch da ist, verbieten sich Dinge wie ein Klima- oder Ukraine-Soli von selbst.

  • Vielleicht sollte man ja auch mal erwähnen, dass der Soli schon ab einem zu versteuernden Einkommen von € 68.500 anfällt?

  • Leider wird beim Thema „Soli“ immer vergessen, dass dieser nicht nur sog. Spitzenverdiener trifft, sondern auch den Kleinsparer als



    Zuschlag auf die Kapitalertragssteuer.

  • ob chris Lindner das wohl gewollt hat ? Vielleicht legen wir ein Sondervermögen für Millionäre an...

  • Dann sollen sie halt die Mehrwertsteuer von 19 Prozent erhöhen.

  • Wenn alle gleich verdienen würden, dann wären gleiche Abgaben durchaus richtig, aber das ist nicht der Fall. Man kann also auch nicht von Gleichheit sprechen.

  • Warum nicht einmal einen Blick nach Frankreich wagen, die Regierung plant ab 2025 die Vermögenssteuer, so wie sie auch bei uns im Grundgesetz verankert ist, wieder zu erheben.



    Es wäre für unsere Regierung auch an der Zeit, diese Steuer wieder einzuführen. Ab einem Vermögen über 2 Millionen , würde es etwas zur Solidarität innerhalb der Gesellschaft führen und unserem Staat mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, was allen Bürgern zugutekommen würde.

  • Arbeitslosen nicht mal das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen und gleichzeitig von verletzten Gleichheitsrechten der Spitzenverdiener faseln. Destruktive, marktradikale Ideologen denen der gesellschaftliche Zusammenhalt komplett egal ist.

    • @Andreas J:

      Also ein Spitzensteuersatz von 42 % und ein Höchststeuersatz von 45 %, ist für die Betroffenen schon eine Hausnummer.



      Die Absicherung für Arbeitslose beträgt 60 % und mit mindestens einem Kind 67 % - Bei der Berechnung des Arbeitslosengeld I gilt eine Bemessungsgrenze. Maximal 6.700 Euro ( West ) beziehungsweise 6.150 Euro ( Ost ) brutto im Monat.



      Daraus ergibt sich ein Anspruch von rund 2.000 bis 2.400 Euro, abhängig von Bundesland, Steuerklasse und Kindern.



      Für die Übergangszeit, bis zur schnellen, zeitnahen Arbeitsaufnahme, sollen so die Arbeitnehmer abgesicht werden.

      • @Alex_der_Wunderer:

        45% bezahlt wer mehr als 277.826 € verdient. Die werden nicht im Elend leben. Die 42% liegen europaweit im unteren Mittelfeld. Jammern auf hohen Niveau nenn ich das mal.



        Angegriffen wird auch nicht das Arbeitslosengeld sondern die Grundsicherung, also Langzeitarbeitslose denen pauschal Faulheit unterstellt wird. Vor allem von der FDP.

  • Besser wäre es die Vermögenssteuer wieder zu aktivieren.

    • @pablo:

      Ja, das Grundgesetz sollte auf jeden Fall eingehalten und von unserer Regierung auch umgesetzt werden.

  • wir schaufeln uns unser Grab, tralalala! Und die fdp schaufelt am schnellsten...

    • @nutzer:

      Die FDP verfolgt ein Ziel. Den kompletten Abbau der gesetzlich vorgesehenen Sozialleistungen.

      Das geht beim Bürgergeld los, geht über Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bis zum bezahlten Erholungsurlaub und bis zu den Renten.

      All das will die FDP abschaffen. Damit das ganze Geld bei den Unternehmen bleibt und die Aktionäre reich macht.

      • @Gnutellabrot Merz:

        dito, die fdp ist ein trojanisches Pferd. Ein offensichtliches Beispiel ist z.B. Hr Schäffler. Es geht um die Umsetzung einer bestimmten Klientelpolitik, möglicherweise auch um mehr.

      • @Gnutellabrot Merz:

        Darum leisten sich ja Unternehmen auch jede Menge Lobbyisten ( in Berlin geben sich insgesamt ca. 4.500 Lobbyisten)



        die Klinke in die Hand.



        Oder man kann als Familienunternehmen, wie es bei der Ehefrau von Herrn Söder- Baumüller GmbH mit Standorten in über 20 Ländern - der Fall ist, gleich einen Minister laufen lassen.

    • @nutzer:

      Warum denn, das kann man doch einsparen:



      * Dienstwagenprivileg abschaffen



      * 7% MwSt für Hotelübernachtungen wieder auf 19%



      * Elterngeld abschaffen



      * Subventionen für Landwirtschaftliche Großbetriebe halbieren.



      Da gibt es bestimmt noch mehr solche Punkte.

      • @Semon:

        und Sie meinen, dass wären die Punkte, über die ernsthaft diskutiert werden würde?



        Einmal davon abgesehen, dass es nicht ausreichen würde. In der Krise zu kürzen ist allenthalben falsch,das setzt negative Dynamiken frei. Kürzen kann man in den konjukturellen Hochphasen, aber da sieht die Politik keine Notwendigkeit. Diese Art von Kürzungs-Logik produziert prozyklische Impulse, das Gegenteil vom Nötigen.



        Privat muß man in schlechten Phasen kürzen, auf Staatsebene auf keinen Fall. Mikro- vs. Makroökonomik