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Solidarität mit Israel: Demo in BerlinGesten – aber mit Wirkkraft

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Die Demo am Brandenburger Tor ist ein Signal an Juden und Israelis: Ihr seid nicht allein. Aber bildet sie wirklich die Zivilgesellschaft ab?

War es genug? Foto: Monika Skolimowska/dpa

E ndlich! Zwei Wochen nach dem Massaker der Hamas an israelischen Zivilisten hat sich eine nennenswerte Zahl an Deutschen aus Protest gegen dieses Pogrom zusammengefunden. Eine unübersehbare Menschenmenge demonstrierte am Sonntag in Berlin.

Diese Veranstaltung ist mehr als eine Selbstvergewisserung, doch auf der richtigen Seite, der der Zivilisation nämlich, zu stehen. Wohl keiner der Teilnehmer wird Illusionen über eine Beeinflussung der Politik der Hamas gehegt haben. Für die Terrortruppe ist es vollkommen belanglos, ob in Berlin demonstriert wird oder nicht. Dies gilt aber nicht für die Israelis, die weiterhin Angst um ihr Leben haben müssen, und es gilt schon gar nicht für die Jüdinnen und Juden in Deutschland.

Da ist der versuchte Anschlag auf eine Berliner Synagoge. Da sind die Davidsterne, die, Nazi-Kennzeichnungen gleich, an den Wohnungstüren von Juden angebracht werden. Die brennenden und gestohlenen Israel-Flaggen überall in Deutschland tragen auch nicht zu mehr Vertrauen bei, ganz abgesehen von den gewalttätigen Ausschreitungen am Rande von Palästinenser-Demonstrationen, nicht zu vergesse der im Netz großflächig gestreute antisemitische Hass. All dies zusammen produziert Furcht. Sind bei Ihnen im Briefkasten schon einmal anonyme Schmähungen aufgetaucht? Wenn nicht, dann hatten Sie entweder Glück oder Sie sind nicht jüdisch.

Die Demonstration am Brandenburger Tor ist deswegen der Versuch, den hier lebenden Juden zu sagen, dass sie nicht allein sind. Ihre Furcht können wir ihnen nicht nehmen. Aber wir können ihnen unsere Solidarität versichern. So sprach Bundespräsident Steinmeier in Berlin, nichts anderes machte Bundeskanzler Olaf Scholz am gleichen Tag, als er der Einweihung der Synagoge in Dessau beiwohnte – 85 Jahre nach der Zerstörung des alten Gotteshauses. Es sind Gesten, aber sie sind sehr wichtig.

Hart am Rande des Rechtsstaats

In Dessau zeigte der Staat Präsenz und demonstrierte, wo er steht. Aber auch die Kundgebung in Berlin war nicht von der Zivilgesellschaft geprägt, deren Mattigkeit in dieser Angelegenheit mehr als bedenklich wirkt. Wohl aus der Sorge heraus, dass sich nur die üblichen Verdächtigen zum Demonstrieren bequemen würden, hatte sich ein ganz breites Bündnis zu ihrer Unterstützung gebildet – von den Grünen bis zur CSU, von Arbeitgebern bis zu den Gewerkschaften. Dieses Bündnis ging bei allem Verständnis zu weit, denn es hat aus einer Demo einen Staatsakt gemacht.

Es ist nicht Aufgabe eines Bundespräsidenten, auf einer Veranstaltung der Zivilgesellschaft zu sprechen. So entsteht der Eindruck, als sei eine Demonstration von staatlichen Akteuren gekapert worden. Das hat mehr geschadet als genutzt, denn es weckt Zweifel, ob es wirklich die Zivilgesellschaft in Deutschland ist, die ihre Solidarität ausdrückt.

Einige hundert Meter von der Solidaritätskundgebung für Israel entfernt wollten am Sonntag auch Palästinenser demonstrieren. Es wurde untersagt. Dieses und weitere Verbote mögen angesichts antisemitischer Hassbotschaften bei früheren Veranstaltungen gut begründet sein. Es liegt nahe, dass auch diese Kundgebung nicht dem Schmerz der Zivilisten hätte gelten können, sondern der Solidarität mit Terroristen. Das Verbot ist dennoch ein Mittel hart am Rande des Rechtsstaats. Es lässt manche Menschen glauben, Palästinenser dürften nicht demonstrieren, Deutsche aber doch. Diese Sichtweise ist falsch. Aber sie wird in den Köpfen vieler arabischstämmiger Deutscher nicht für Distanz zu den Islamisten sorgen.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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11 Kommentare

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  • So wichtig es ist, dafür zu demonstrieren, dass jüdisches Leben zu Deutschland gehört und wir uns gegenseitig schützen. ABER. Wir dürfen nicht unberücksichtig lassen, dass es auch bei uns Menschen gibt, deren jüngste Vergangenheit sie aus dem Nahen Osten vertrieben hat und der Verlust der Heimat möglichst frei von Hass bewältigt werden muss. Auch die Palästinenser sind inzwischen Teil unserer Gesellschaft, denen wir Mut für eine friedliche Zukunft machen müssen.



    Das geht meiner Meinung nach nur ohne Natanjahu und seine Siedler.

  • Was fehlt ist die unbedingte und laute Solidarität mit Juden und Jüdinnen in Deutschland, das ist unsere erste Verantwortung hierzulande. Der Hassaufruf der Hamas gegen Juden in aller Welt wirkt umso stärker, wenn die Mehrheit dazu schweigt. Das Zeigen der israelischen Flagge zeigt diese Solidarität jedoch nicht. Auch die Solidarität mit den israelischen Opfern des menschenverachtenden Terroranschlags ist ohne nationale Flagge eindeutiger. Wenn ich die offizielle israelische Flagge schwenke, erkläre ich mich eben auch solidarisch mit einer aktuell rechtsextremen israelischen Regierung, deren Reaktion auf den Terroranschlag zu einer hohen zivilen Opferzahl in Gaza führte. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für Demos zum Gedenken palästinensischer ziviler Opfer in Gaza. Wer aktuell die palästinensische Flagge schwenkt, zeigt damit eben auch Solidarität mit der gewählten Lokalregierung in Gaza, also der Hamas die den Terroranschlag auf Israel verübte. Man kann in Deutschland zu Recht kritisieren, dass der Nahostkonflikt auf den Straßen und Schulhöfen eskaliert, aber das ist mitnichten nur ein Problem von Menschen aus Familien, die aus Gaza geflohen sind oder aus arabischen und muslimischen Familien, die sich im Nahostkonflikt mit der palästinensischen Seite identifizieren. Die Mehrheit der Demos in Deutschland zeigt die offizielle Flagge der einen oder anderen Konfliktpartei und stellt damit eben nicht die zivilen Opfer in den Vordergrund, die vom Terror und Krieg am stärksten betroffen sind und deren einziger Unterschied ist, dass sie zufällig auf der einen oder anderen Seite auf die Welt kamen. Diese Flaggen zeigen gewollt oder ungewollt, dass man den Wert eines Menschenlebens nach (zufälliger) nationaler oder ethnischer Zugehörigkeit misst und den Wert der anderen Seite geringer einschätzt.

  • Auf der Demo waren auch viele liberale Muslime und Exil Iraner. Es wurde auch der zivilen Opfer der Palästinenser gedacht. Also prinzipiell wäre das auch eine Demo für sie gewesen. Allerdings mit Anerkennung des Existenzrechts von Israel, dem Bombenstopp auch gegen Israel, der Freilassung der Geiseln, welche die Hamas zu verantworten hat und gegen die allgemeine Terrorherrschaft der Hamas. Für eine faire Zweistaatenlösung unabdingbar.

  • Ich freue mich, dass Viele zur Demo gekommen sind.



    Ich danke dem Bundespräsidenten für seine deutlichen Worte in Berlin und dem Bundeskanzler für seine klare Positionierung in Dessau.



    Die Männer mit den beiden höchsten Ämtern im Land haben klare Kante gezeigt.



    Ich teile Ihre Ansichten und die des Autors.



    Leider muss ich feststellen, dass diese Meinung in der kommune nur von einem Teil der taz LeserInnen geteilt wird. Das ist traurig. Wenn dies allerdings ein Querschnitt durch die Linken darstellt, ist mit mehr Zivilgesellschaft wohl nicht mehr zu rechnen.

  • Liebe taz,



    Als unabhängige und kritische Zeitung wünsche ich mir mehr Reportagen über den anti-muslimischen Rassismus, den die muslimische Community in Deutschland gerade erfährt. Dass die Taten der Hamas grauenvoll und nicht zu rechtfertigen sind, steht für mich außer Frage. Israels Kriegsverbrechen werden nirgends hinterfragt, die Menschen in Gaza erfahren von der deutschen Öffentlichkeit wenig bis keine Solidarität. Was ist mit Menschen, die für ihre dortigen Angehörigen auf die Straßen gehen wollen, und sich genauso wie viele Jüdinnen und Juden in Deutschland - jetzt sorgen machen? Mich besorgt die Polizeipräsenz und die Unterbindung vieler friedlicher Kundgebungen für Palästina sehr. Wir leben in einer Demokratie, und es sollte öffentlich möglich sein, seine Meinung zu äußern. Alle arabisch-stämmigen Menschen als potentielle Hamas-Unterstützer*innen unter „Generalverdacht“ zu stellen, das ist Rassismus. Gerade von Ihnen erwarte ich in dieser Hinsicht eine differenziertere und kritischere Berichterstattung. Danke, und mit vielen Grüßen

    • 6G
      665119 (Profil gelöscht)
      @Aku:

      Muslime sind keine Ethnie, sondern Menschen, die derselben Ideologie folgen.

  • Laut Organisatoren gab es 25 tausend Teilnehmer. Laut der Polizei, 10 Tausend. Auf jeden Fall, eine Niederlage. Zu wenig, zu spät.

    • @Bescheidener Kunsthandwerker:

      Jedenfalls erstaunlich, wenn man bedenkt dass man für gewöhnlich in Berlin für wirklich jeden Mist noch mindestens 50.000 Demonstranten zusammenbekommt. Lässt sich für mich nur so erklären, und der Artikel deutet es ja auch an, dass sonst Demofreudige hier lieber Zuhause geblieben sind. Zeigt für mich relativ eindeutig, wes Geistes Kind die sogenannte Zivilgesellschaft ist.

      • @Brx Ypz:

        und in dieses blamable Trauerspiel einer erbärmlichen Zivilgesellschaft fügte sich das blutleere Ablesen üblicher Floskeln von Saskia Esken nahtlos ein. Zum Glück gab es eine engagierte und bewegende Rede von Omid Nouripour.

        • @Jutta57:

          Stimmt. Er hat auch zu recht den besten Applaus bekommen.

      • @Brx Ypz:

        Ich war bei der Demo.

        Die linke Zivilgesellschaft suchten sie im wesentlichen vergeblich.

        Antifa oder typisch Linke habe ich nicht gesehen.

        Kurden und Iraner waren dagegen deutlich präsent.

        Allerdings war ich auch sehr weit vorne.

        Vielleicht sah es hinten anders aus.

        Was mich am meisten erschreckte, war, dass ich kaum junge Leute sah.

        Fast nur 44+.

        Ist kein gutes Omen für die Zukunft in diesem Land, wenn Antisemitismus nur noch von Alten angeprangert wird.