Smartphones im Kampf gegen Corona: Das Datenschutz-Dilemma
Darf der Staat den Datenschutz vorübergehend aussetzen, um das Leben vieler Menschen zu schützen? In Südkorea ist die Frage längst beantwortet.
Der Blick aufs Display verrät ihnen im Gegenzug, ob sich bestätigt positive Fälle in ihrer Nähe befinden. Nutzer erhalten zudem einen Hinweis, wenn sich herausstellt, dass einer ihrer engen Kontakte der vergangenen Woche positiv auf das Coronavirus getestet wurde.
In solchen Fällen macht der Staat sogar alle aufgesuchten Orte der Infizierten online einsehbar. Die Behörden wissen sogar, wann die Betreffenden in welchem Imbiss etwas gegessen haben – und teilen diese Informationen auch über die Apps.
In Südkorea hat die Technik dazu beigetragen, die Überträger zu erfassen und die Seuche zügig einzudämmen.
„Verhältnismäßige“ Maßnahmen
Diese Erfolge stellen die deutsche Gesellschaft vor ein Dilemma: Die Privatsphäre ist kostbar, und eine vorübergehende Pandemie soll nicht das Tor zu größerer Überwachung aufstoßen. Doch zugleich steht das hohe Gut des Datenschutzes hier gegen den Schutz von Menschenleben – das macht die Abwägung so schwierig.
Die Organisation Human Rights Watch glaubt, dass Südkorea mit der Erfassung aller Details aus dem Leben potenzieller Überträger zu weit geht – Pandemie oder nicht. Auch der deutsche Datenschutzbeauftragte Ulrich Kelber betont, alle Maßnahmen müssen „verhältnismäßig“ sein.
Ulrich Kelber, Datenschützer
Doch es gibt auch zahlreiche Abstufungen und Kompromisse in der Nutzung von Handydaten, um Übertragungsketten nachzuvollziehen. Digital-Staatsministerin Dorothee Bär sprach sich bereits grundsätzlich dafür aus, Apps zur Rückverfolgung von Infektionsketten zu nutzen. Dagegen hätte auch Kelber nichts.
Der Digitalverband Bitkom fordert dazu auf, die Chancen der Digitalisierung nicht ungenutzt zu lassen, um Menschenleben zu retten.
Zusammenbruch der Privatssphäre
Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Der südkoreanische Weg stellt das eine Extrem dar. Das Land nutzt ein verschärftes Infektionsschutzgesetz aus dem Jahr 2015, um die nötigen Daten zentral zu sammeln. Sobald eine gefährliche Epidemie erkannt wird, brauchen die Behörden keine Genehmigung mehr zur Speicherung und Verknüpfung aller Informationen, die zur Eindämmung nützen können.
Seitdem häufen sich die Berichte über den Zusammenbruch der Privatsphäre von Infizierten. Für einen Bürger listete die Regierungswebseite einen Aufenthalt in einer Therapiesitzung auf, die er wegen sexueller Übergriffe besuchen musste – für alle Welt sichtbar, für die Medien, den Arbeitgeber, Freunde und Verwandte. Das berichtet der Sender BBC. Auch Bilder von Überwachungskameras fließen in die Totalerfassung ein.
Eine Stufe weniger übergriffig ist das Vorgehen in Ländern wie Singapur und nun auch Österreich, das mit „Stopp Corona“ eine entsprechende App einsetzt. Diese weisen anonymisiert auf zurückliegende Kontakte mit Infizierten hin, wenn es sie gegeben hat. Die Installation ist freiwillig.
Bär hält sie für ein geeignetes Modell für Deutschland – schließlich stimmt der Benutzer wie bei anderen Apps der Verarbeitung der Daten zu. Auch deutsche Entwickler arbeiten im Auftrag des Robert-Koch-Instituts an so einer Anwendung.
Freiheit gegen Freiheit
Eine dritte Möglichkeit kommt ganz ohne eigene Apps oder Sonderbefugnisse der Regierung aus – und auch sie ist in Deutschland in der Diskussion: Die Mobilfunkfirmen wie Telekom, Vodafone und O2 orten ihre Nutzer nämlich ohnehin zumindest annäherungsweise.
Sie können an der Stärke der Funksignale ablesen, wie weit jedes Handy von den umliegenden Mobilfunkmasten entfernt ist. Auch damit lassen sich Bewegungstagebücher von Bürgern anlegen.
Auch wenn das Vorhaben nach Kritik aus der SPD auf Eis liegt, hat Gesundheitsminister Jens Spahn weiter große Sympathie für diese Idee: „Wir stehen möglicherweise vor der Frage, ob wir bestimmte Freiheiten des Alltags leichter zurückbekommen können, wenn es gleichzeitig möglich ist, sehr schnell Infektionsherde zu erkennen.“
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