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Friedensdemos in Berlin und StuttgartSie ringen um Frieden und Glaubwürdigkeit

Für den 3. Oktober rufen Friedensgruppen zu Demonstrationen in Berlin und Stuttgart auf. Die Ukraine wird in der Ankündigung nicht explizit genannt.

Ralf Stegner, SPD MdB, auf der bundesweiten Demonstration der deutschen Friedensbewegung in Berlin, am 3.10.2024 Foto: Stefan Boness/Ipon

Berlin taz | Ob er nicht befürchtet, am 3. Oktober wieder ausgepfiffen zu werden? Ralf Stegner gibt sich gelassen. „Weder in der Friedensbewegung noch sonst geht es darum, es jedem recht zu machen“, antwortet der SPD-Bundestagsabgeordnete. „Wir sind ja heterogen zusammengesetzt.“ Er habe sich angewöhnt, stets seine Meinung zu sagen. Natürlich bleibe er dabei, dass es sich in der Ukraine um einen Angriffskrieg Russlands handelt. Für diese Aussage hatte Stegner im vergangenen Jahr auf der Demo Buh-Rufe kassiert.

Auch dreieinhalb Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine ist es der Friedensbewegung nicht gelungen, kollektiv einen glaubwürdigen Umgang mit dem fürchterlichen Krieg in der Ukraine zu finden. Aber an diesem Freitag, dem Tag der Deutschen Einheit, wollen sie trotzdem versuchen, gemeinsam zu demonstrieren, in Berlin und Stuttgart. In Berlin soll Stegner erneut als einer der Red­ne­r:in­nen auftreten.

„Nie wieder kriegstüchtig! Stehen wir auf für Frieden“, lautet das Motto der beiden parallelen Demonstrationen, zu denen zahlreiche Friedensorganisationen aufrufen. Mit dabei sind pazifistische Verbände wie die DFG-VK, Pax Christi oder der Internationale Versöhnungsbund ebenso wie der SPD-nahe Erhard-Eppler-Kreis und die Linkspartei. Hinzu kommen Parteien mit einem eher eigenwilligen Friedensverständnis, wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), die DKP, die MLPD oder „Die Gerechtigkeitspartei – Team Todenhöfer“.

Gemeinsam unterzeichnet haben sie einen Demonstrationsaufruf mit einer ganzen Reihe an Forderungen an die Bundesregierung. Der Katalog reicht von „Keine Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland“ über „Nein zur Wehrpflicht“ bis zu „Asyl für Menschen, die sich dem Krieg verweigern und von Krieg bedroht sind“.

Differenzen übertünchen

Um den letzten Punkt – konkret um die Frage des Asyls für Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer und De­ser­teu­re aus Russland, Belarus und der Ukraine – hatte es im Vorfeld der letzten Demonstration vergangenes Jahr noch Ärger gegeben. Diese Forderung fehlte bewusst in dem zentralen Aufruf, der damals von dem BSW-nahen Personenbündnis „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder“ verantwortet wurde. Deswegen beteiligte sich der Bundesvorstand der DFG-VK nicht an der Demo. Das ist diesmal anders.

Außerdem fordern die Un­ter­zeich­ne­r:in­nen von der Bundesregierung ein „diplomatisches Engagement für ein schnelles Ende der Kriege in Europa und im Nahen und Mittleren Osten“. Sie dürfe sich „nicht weiter mitschuldig machen an einer von immer mehr Staaten und Organisationen als Völkermord klassifizierten Kriegsführung im Gazastreifen“.

Die Beschränkung auf Forderungen an die deutsche Regierung dient auch dem Zweck, Differenzen zu übertünchen. Zwar lehnen die verschiedenen Spektren, die sich zur Friedensbewegung zählen, gemeinsam den Hochrüstungskurs ab. Auch in ihrer Kritik an dem maßlosen militärischen Vorgehen der israelischen Regierung nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 sind sie sich einig. In der Bewertung des Ukraine­kriegs sind sie das jedoch nicht. Entsprechend taucht nicht einmal das Wort „Ukraine“ in dem Aufruftext auf.

Das liegt daran, dass ein Teil der Friedensbewegung in dem Krieg in der Ukraine nur einen Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland sehen. Da reicht es dann nur zu der Forderung nach „Verhandlungen, die die Realitäten am Boden anerkennen und die Interessen aller Seiten berücksichtigen“, wie es Joachim Guilliard vom Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg am Montag bei einer Pressekonferenz zu der Demo sagte.

Unabhängig davon, wie ihre jeweilige Realisierungschance eingeschätzt wurde, waren Forderungen wie „Amis raus aus Vietnam“ oder „Amis raus aus Irak“ einst Konsens in der Friedensbewegung. Für die Forderung „Russland raus aus der Ukraine“ gilt das heute nicht. „Ich glaube, das ist ein Teil der Schwäche der Friedensbewegung“, räumt Stegner ein. Er würde sich „wünschen, dass man zu so einer Forderung kommen könnte“. Doppelmoral und Einäugigkeit seien „der falsche Ansatz“.

Wichtig sei ihm jedoch vor allem, „dass hier eine Friedensbewegung da ist, die zeigt, dass sie dem was entgegensetzen will, was an Aufrüstung, Krieg stattfindet“, sagt Stegner. Wie wohl diesmal die De­mons­tran­t:in­nen auf ihn reagieren werden? Auf der Bühne in Berlin sollen außer ihm noch der DFG-VK-Bundessprecher Jürgen Grässlin, die Linken-Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel sowie je ein Kriegsdienstverweigerer aus Russland und der Ukraine stehen.

Für Stuttgart geplant sind unter anderem Auftritte der früheren EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann, von Rihm Hamdan von der Initiative „Palästina spricht“ sowie der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Lothar Binding (SPD) und Sevim Dağdelen (BSW).

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4 Kommentare

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  • Es war schon immer eine große Schwäche der Friedensbewegung, dass die Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus nicht konsensfähig ist. Hat sich wohl nichts dran geändert.

  • Hier zeigt sich wieder, warum große Teile der Linken mir immer unsympathischer werden.

    Wenn es um Kritik an Israel geht, sind alle mit dabei. Aufstehen. Volles Engagement. Wenn auf Palästinademos zu Ausschreitungen kommt und antisemitische Parolen gebrüllt werden, wird relativiert und ignoriert.

    Geht es allerdings um die Ukraine, passiert: wenig bis nichts.



    Wann hat sich die Partei die Linke an einer Solidaritätsdemo für die Ukraine beteiligt?



    Wo sind die lautstarken Studierenden, wenn es um die Ukraine geht?



    Warum proklamiert die Kunst- und Kulturszene nicht an jeder Stelle, dass Russland ein Aggressor ist?

    Der Puls geht nur hoch, wenn es gegen den einzigen jüdischen Staat in der Welt geht. Dann wird aber mit voller Energie aufgedreht.

    Genau diese Einseitigkeit hinterlässt einen bösen Geschmack. Aber wie heißt es so schön: Die Kritik an Israel hat ja nichts mit Antisemitismus zu tun.

  • Mich verbindet politisch wirklich wenig mit Ralf Stegner, aber wenn er auf einer Veranstaltung die angeblich gegen den Krieg opponiert, für die Feststellung, dass Russland in der Ukraine einen Angriffskrieg führt, ausgebuht und ausgepfiffen wird, sagt das viel über die wahre Zielsetzung derjenigen, die dort anwesend sind...

    An manchen Tagen kann einem selbst Pöbel-Ralle leidtun.

  • Und wieder mal, mindestens in Berlin:



    Nicht nur Dank der "Friedenskoordination Berlin" treffen sich Die Basis, AfD-Anhaenger, Antisemiten, Coronaleugner, Schwurbler, Putinfans, BSW, Compactfans wie Captain Future, sonstige Neu- und Altnazias und sonstige Fans von autoritären Strukturen um fleissig "Frieden" und "Free Palistine" zu brüllen. Und um russische und palistinaensische Fahnen zu schwenken, wg Kolonialismus und so.



    Glaubwürdigkeit interessiert dort niemanden mehr.