Sicherheit im Fußballstadion: „Eine Phantomdebatte“
Auf der Innenministerkonferenz wird über mehr Sicherheitsmaßnahmen in Stadien diskutiert. Fans und auch viele Vereine protestieren dagegen.
Immerhin Marcel Reif kennt den Grund, warum die Konferenz der Landesinnenminister ab Mittwoch über die Sicherheit in den Stadien debattiert. Während die Fanorganisation „Unsere Kurve“ unter dem hübschen Motto Ich sehe was, was du nicht siehst von einer „Phantomdebatte“ spricht und sich Vereinsvertreter in seltener Eintracht vor ihre Fanszenen stellen, weiß der Moderator, was wirklich Sache ist. „Aus die Maus, hier werden ganze Stadien zerlegt und Polizei muss irgendwelche Straßenschlachten […] Pyro, Temperaturen, das ist alles noch nicht geregelt.“
Zu den Fans, die am vergangenen Wochenende erneut bundesweit gegen die Pläne der Politik protestierten hat Reif deshalb eine ganz klare Meinung: „Hier ein paar Plakate hochhalten. Nein. Ja. Und dann was?“
Letzteres dürften sich mittlerweile auch einige der 16 Landesinnenministerinnen und -minister fragen. Die hatten im Oktober vergangenen Jahres über zusätzliche Restriktionen in den Stadien debattiert und sich auf die Folgekonferenz 14 Monate später in Bremen vertagt, um dort über Vorschläge wie die Einführung personalisierter Eintrittskarten oder eine Verschärfung der Stadionverbotsrichtlinien abzustimmen.
Mehr Fans, weniger Gewalt
Dass in den vergangenen Jahren irgendwo in Deutschland „Stadien zerlegt“ worden seien, hatten sie zwar nicht behauptet. Dennoch war es dramaturgisch ungeschickt, dass Ende Oktober eine auf Polizeiangaben basierende Statistik veröffentlicht wurde, aus der ein Rückgang der Gewalt hervorgeht – obwohl vier Prozent mehr Zuschauer kamen.
1.107 Menschen wurden demnach verletzt (minus 17 Prozent.) „Das Risiko, beim Besuch eines Fußballspieles verletzt zu werden, liegt bei 0,00438 Prozent, bilanziert der Dachverband der Fanhilfen. Überhaupt haben die Stadiongänger offenbar den Eindruck, dass ihr Hobby sicherer ist als der Besuch eines handelsüblichen Volksfestes. Beim Zweitligisten 1. FC Nürnberg hat Vorstand Niels Rossow jüngst bei der Mitgliederversammlung die Pläne der Innenminister kritisiert und dafür „großen Applaus“ bekommen. „Nicht nur von den organisierten Fans, sondern vom Großteil der 1.600 Anwesenden“, wie er betont.
Die Politik scheint dann auch nachdenklich geworden zu sein. Zu einer recht spontan organisierten Demo kamen 13.000 Fans nach Leipzig. Die gehörten meist der Ultraszene an, doch bei den zwölfminütigen Schweigeprotesten an den vergangenen beiden Spieltagen beteiligten sich flächendeckend alle vier Tribünenseiten. Und spätestens seit sich auch erstaunlich viele Vereine grundsätzlich hinter die Proteste gestellt haben – zuletzt warnten alle fünf baden-württembergischen Profivereine vor „Populismus“ – scheint fraglich, ob ein Drehen an der Repressionsschraube gerade außerhalb von „Reif ist live“ auf Zustimmung stößt.
Probleme abseits des Stadions
Dabei haben die Innenminister ja durchaus recht, dass Gewalt im Fußball kein reines Hirngespinst von Boulevardmedien ist – nur dass verabredete Schlägereien und Busüberfälle eben nicht in den Stadien stattfinden. Und oft nicht mal am Spieltag. Sondern auf Rastplätzen oder bei szeneintern verabredeten „Acker-Matches“ irgendwo im Wald oder im Industriegebiet, fernab von Kameras oder Polizeieinheiten.
Doch wer sich unerkannt prügelt, braucht auch keine Angst vor Stadionverboten zu haben. Der Sinn von personalisierten Eintrittskarten erschließt sich eh nicht, denn auf Stehplätzen herrscht freie Platzwahl. Experten munkeln, es gehe insgeheim auch um ein größeres Thema: Man will sich künftig bei Zuschauern und Ordnern noch sicher sein, dass auch derjenige im Stadion ist, der dort sein soll – und nicht dessen ähnlich aussehender Bruder, der dem IS oder dem NSU nahesteht.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) überraschte derweil am Wochenende mit der Aussage, die Forderung nach personalisierten Eintrittskarten werde ab Mittwoch nicht diskutiert. Gut möglich, dass die Innenminister den einen Herzenswunsch ad acta gelegt haben, um den anderen umso strikter durchzusetzen. Denn die geplante Verschärfung der Stadionverbotsrichtlinien scheint aktueller denn je zu sein. Dass die 16 Landesminister am Freitag ohne konkrete Ergebnisse auseinandergehen, ist jedenfalls nicht zu erwarten. Und das vielleicht nicht einmal aus inhaltlichen Gründen. Der Gesichtsverlust wäre wohl zu groß.
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