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Sexualisierte Gewalt in Kölner DiözeseEin bisschen mehr Transparenz

Wer sich anmeldet, kann unter Auflagen im geheimnisvollen ersten Gutachten lesen. Kardinal Woelki will derweil internationales Publikum.

Kardinal Rainer Maria Woelki will sich mit dem zweiten Gutachten international profilieren Foto: Oliver Berg/Pool/reuters

Aachen taz | Vor mehr als einem Jahr hatte es eine Kanzlei erstellt, jetzt ist das erste Gutachten über sexualisierte Gewalt im Erzbistum Köln erstmals einsehbar. Seit Donnerstag um 9 Uhr ist die Untersuchung, die bislang von Kardinal Rainer Maria Kardinal Woelki unter Verschluss gehalten wurde, teilöffentlich. Für acht Tage liegt das Gutachten im Tagungszentrum des Erzbistums aus, der Raum ist aber nur mit Termin und Zeitbegrenzung zugänglich.

Erstellt hatte das erste Gutachten die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl. Auftraggeber Woelki hatte es dann jedoch im Oktober für nicht veröffentlichungsfähig erklärt, es sei mangelbehaftet und nicht rechtssicher. Vor allem führte er „äußerungsrechtliche Bedenken“ ins Feld. Was genau das heißt, blieb im Nebel.

Die Wahrnehmung unter den Gläubigen war fatal: Was mag der alles zu verbergen haben? Wen will er schützen? Die Folge waren erhebliche Irritationen unter den Gläubigen, ein weiterer Misstrauensschub gegenüber der Kirchenführung und seitdem eine beispiellose Austrittswelle im Erzbistum Köln.

Ein zweites Gutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke hatte Woel­ki vergangene Woche weitgehend entlastet. Jedenfalls gab es im chaotischen Archiv der Kirche keine Aktenfunde, die ihm persönlich eine Schuld zuweisen könnten (taz vom 24. 3.). Nun lässt Woelki also das erste Gutachten auslegen, in den Zeitfenstern für die Einsicht sind schriftliche Notizen zwar gestattet, Abschriften und Fotografien nicht.

Die Kirchenaustritte in Köln gehen derweil ungebrochen weiter

Schon vor einigen Tagen gab es einen ersten Anlauf zur Einsicht: Jour­na­lis­tIn­nen sollten vorab eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Sie weigerten sich. Der Termin wurde abgesagt. Jetzt soll man ein Merkblatt unterschreiben, dass man nichts wörtlich zitiere. Wieder gab es Weigerungen. Die Münchner Gutachter hatten derweil unlängst angeboten, den Text auf ihr alleiniges Risiko auf der Kanzleiwebsite zu publizieren. Das lehnte Auftraggeber Woel­ki ab.

Bekannt wurde schließlich, dass die Münchner Gutachter nicht weniger als einen Kulturwandel in der katholischen Kirche fordern. Statt des hermetisch-männerbündlerischen Systems müssten auch Frauen Zugang in Führungspositionen kommen. Zudem werden Faktoren wie etwa der Zölibat und die paranoide Angst des Klerus vor Öffentlichkeit aufgeführt, die im Männersystem Kirche den Missbrauch von Kindern begünstigen. Man staunt: Ist die Weigerung, eine solche Analyse zu publizieren, ein äußerungsrechtliches No-Go? Oder genau der diagnostizierten Angst vor Öffentlichkeit geschuldet?

Die Münchner Gutachter attestierten massive Pflichtversäumnisse unter anderem bei Woelkis Vorgänger Joachim Meisner, dem nachgewiesenen Lügner und Leugner („nichts geahnt“), und beim ehemaligen Kölner Personalchef Stefan Heße, heute Erzbischof in Hamburg. Heße hat den Papst mittlerweile um Entlassung gebeten. Woel­ki selbst wird auch im ersten Gutachten nicht direkt belastet.

Kardinal Woelki, der am Mittwoch en passant noch das päpstliche Segnungsverbot für homosexuelle Paare verteidigte, freut sich über starke weltweite Beachtung des zweiten Gutachtens von vergangener Woche. Es treffe, so das Erzbistum, „auf hohe internationale Resonanz“: New York Times, Washington Post und Washington Times, alle hätten vom „Gercke report“ berichtet. „Ein breites Interesse renommierter Medien“ habe es gegeben. Darüber hinaus habe die Gutachterkanzlei „Anfragen von Betroffenenorganisationen aus Brasilien, Irland, Italien, Polen und der Slowakei“ erhalten.

Die Gutachter streiten sich nun auch

Kardinal Woelki, der Cologne Cardinal, will jetzt international die Aufklärung vorantreiben und das Gutachten übersetzen lassen: „Sexualisierte Gewalt und deren Vertuschung ist ein Verbrechen, Aufklärung und Aufarbeitung haben weltweit eine hohe Priorität. Wenn wir ein klein wenig dazu beitragen können, dass die Kirche Fortschritte macht, dann freut mich das sehr.“ 900 Seiten Text, zunächst auf Englisch. „Zu den Kosten äußert sich das Erzbistum nicht“, schreibt das Erzbistum der taz.

Gleichzeitig beharkten sich die beiden Gutachter in dieser Woche, sekundiert vom „äußerungsrechtlichen Berater“ des Erzbistums, einem Medienanwalt aus Köln. Die Münchener Anwälte hatten bei den Kölner Kollegen bemängelt, dass man die „systemischen Defizite im Erzbistum Köln“ außer Acht gelassen habe und dem Auftraggeber somit gefälliger gewesen sei: „Das Zweitgutachten leidet maßgeblich darunter, dass es gewissermaßen unter der Prämisse ‚Recht ohne Moral‘ erstellt wurde.“

Die Kirchenaustritte im größten deutschen Bistum gehen ungebrochen weiter. Die Wartelisten gehen monatelang, dabei bekommen schon 1.500 Menschen pro Monat einen Termin beim Amtsgericht. Die vergangenen Tage haben darauf offenbar keinen Einfluss. Das Amtsgericht Köln schreibt der taz: „Einen Rückgang der Nachfrage können wir nicht feststellen.“

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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • No Klerus no cry, keine Stimme kein Schrei. Geht's noch allen gut in der neuen Selbsgefälligkeit zur Schau getragener Demut und geübter vorösterlicher Bußfertigkeit? Sprechen wir mal über Zahlen u. Symbole, die vielen schrecklichen Schicksale der missbrauchten Kinder u. die Symbole d. Reue. Verantwortung zu tragen bedeutete unter "Ehrenmännern" der alten Kulturen auch Akte der Standfestigkeit und des Opfers, nicht selbstmitleidig, sondern tapfer. Was Eremiten erwählten, wurde Legende, Meriten der Nachwelt in Poesie verewigt, Liedgut und Sagenschatz als Narrativ gewählt. Habt ihr die "wahren" Helden nicht mehr präsent, Troja, Ilias & Odyssee? Was machen Worte wie diese mit eurem Gemüt in den Palästen der gottgefügten Gemütlichkeit: "Sind so kleine Seelen// Offen und ganz frei// Darf man niemals quälenGeh'n kaputt dabei." Bestimmt schon gehört, in der Fortsetzung: "Ist so'n kleines Rückgrat// sieht man fast noch nicht// darf man niemals beugen// weil es sonst zerbricht." Das Lied von Bettina Wegner heißt KINDER, es geht um Schutzbefohlene u. ihre Bezugspersonen, wozu auch sog. Kirchenmänner gehör(t)en. Die letzte Strophe lautet: "Grade, klare Menschen// Wär'n ein schönes Ziel// Leute ohne Rückgrat// Hab'n wir schon zuviel." Wie unkt der Volksmund über das abhanden gekommene verlängerte Rückgrat: Keinen A. in der Hose: Bei zuviel "ich" im Exkulpieren der Versäumnisse in der Missbrauchsanalyse fallen mir jämmerlich, lächerlich, widerlich und westfälisch "unglaubwürdich" sowie "unanständich" ein. Als Diagnostiker gaben mir die Altvorderen mit auf den Weg "Du kannst oft noch einen Schritt vorwärts, selten einen zurück." Bei der Frage nach konsequenter Aufarbeitung eines systemischen Versagens i. d. Kirchenleitung sehe ich vice versa: Das Ende ist erreicht, vor die Wand manövriert, die Konsequenz ist Stillstand o. Bewegung als Rücktritt. Beispiel für honoriges Verhalten: Der Rücktritt von Rudolf Seiters als Bundesminister, aus Verantwortung u. Haltung, mit Rückgrat halt.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Ein bisschen mehr Transparenz? Nein, die Staatsanwaltschaft muss ermitteln.



    Hier geht es nicht ums Falschparken oder Steuerbetrug. Hier wurden Menschen für ihr Leben fertig gemacht!

  • "geheimnisvolles Gutachten"

    Ich gehe davon aus, das das Gutachten auch Rückschlüsse auf die Opfer zuläßt. Warum also sollten diese Informationen an die Öffentlichkeit gelangen? Geheimnisvoll bedeutet also nichts anderes, das der recherchierende Journalist, der Einsicht in das Gutachten genommen hat, nur die "Geheimnisse" weitergibt, die er verantworten kann.

    Insofern ist Herr Müllender Hüter der Geheimnisse.