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Sexismus in der Techno-SzeneHang the cis-DJs

Flinta* DJs kämpfen in der elektronischen Musikszene mit Diskriminierung. Sie reagieren darauf mit gegenseitigem Empowerment und Workshops.

Screenshot aus der Video-Performance „Old Boy Network“ Foto: Magali/Vinc Gertoberens

Berlin taz | Sie wurde während ihres Auftritts sexuell belästigt. Ihr wurde gesagt, sie wäre nicht so erfolgreich, wäre sie keine Frau. Dass sie es nur so leicht habe, weil sie gut aussehe. Ein anderes Mal: dass sie nicht sexy genug für hinter der Bühne sei, zu alt und nur ohnehin nur eine Quoten-DJ. Ein Promoter bot ihr einen Auftritt an, zog das Angebot dann aber wieder zurück, weil sie keinen Sex mit ihm haben wollte.

Das hinterlässt Spuren. Sie zweifelt an ihrem Können. Sie fühlt sich unter Druck gesetzt, sich zu beweisen, kämpft mit Unsicherheiten – obwohl sie inzwischen erfolgreicher ist, als viele ihrer männlichen Kollegen.

„Sie“ ist nicht eine einzelne Flinta*-DJ. Ihre Erfahrungen stehen stellvertretend für die vieler Flinta* in der elektronischen Musikszene. Ihre Geschichte beruht auf Erlebnissen, die Magali Wolf* (Nachname geändert) und ihren DJ-Kolleg*innen beim Auflegen widerfahren sind.

Es gibt eine strukturelle Benachteiligung und Unterrepräsentation“, sagt Wolf. Die Berlinerin legt seit 2022 unter dem Namen 0megavybe auf. „Die Branche wird auf Social Media oft als hedonistisch und progressiv dargestellt, aber je tiefer man drin ist, desto mehr sieht man, wie auch hier patriarchale Strukturen reproduziert werden.“

Video-Performance „Old Boy Network“

Auf die branchenspezifischen Herausforderungen macht Wolf in ihrer Video-Performance „Old Boy Network“ aufmerksam, das auf einer Umfrage und Interviews mit 60 Flintas* aus der Musikszene basiert. Als „Old Boy Networks“ sind die männerdominierten Strukturen bekannt, die sich im Laufe der Jahrzehnte aufgrund des fehlenden Zugangs für Flinta*-Personen etabliert haben. In dem Video streift eine Frau in Unterwäsche, mit entstellter Maske und Perücke, ungelenk und zitternd durch einen Raum, der an ein Verhörraum erinnert. Sie wird aus verschiedenen Perspektiven beobachtet, beurteilt, sexualisiert und objektifiziert. Dann berichtet sie von den oben geschilderten Erfahrungen.

Screenshot aus der Video-Performance „Old Boy Network“ Foto: Magali/Vinc Gertoberens

„Die Bilder greifen Mechanismen auf, die in der Branche allgegenwärtig sind“, erklärt Wolf: Unterrepräsentation, strukturelle Diskriminierung, Objektifizierung und Sexualisierung. „Dem zugrunde liegt die sich bis heute hartnäckig haltende, überholte Überzeugung: Weiblichkeit und technische Kompetenz seien unvereinbar.“

In konventionellen Festivals und Clubs ist das Line-Up cis-männlich dominiert. Beim Hurricane Festival, einem der größten Musikfestivals in Deutschland, waren im Jahr 2023 72 Prozent aller Acts cis-Männer. 2022 und 2023 lag der Flinta*-Anteil bei Festivals bundesweit bei rund 30 Prozent – und das war schon ein enormer Anstieg gegenüber 2012, als nur jeder zehnte Act eine Flinta* war. Das ergab eine Studie des Musiker*innen-Netzwerks female:pressure.

„Es ist klassisches Gatekeeping“, sagt Wolf – also ein Ausschluss bestimmter Personengruppen aus Räumen durch intransparente Strukturen. „Die Netzwerke von Clubpromotern, DJs und Booking-Agenturen wurden seit Jahrzehnten von cis-Männern aufgebaut. Kumpels buchen Kumpels. Für Flinta* gibt es weniger Vernetzungsmöglichkeiten und Förderung“, sagt Magali Wolf.

Mehr Sichtbarkeit von Flinta*-DJs

Immerhin: In den letzten Jahren ist die Sichtbarkeit von Flinta*-DJs gewachsen. Es werden mehr Flinta* gebucht, einige Clubs und Festivals setzen inzwischen auf Quoten. Doch damit geht ein anderes Problem einher: „Flinta* kriegen häufig nur als tokenisierte Flinta*-Acts einen Platz im Lineup“, sagt Wolf. Das heißt, sie werden nur als Re­prä­sen­tan­t*in­nen ihrer Gruppe gebucht, um Anerkennung für eine vermeintliche Diversität zu erhalten.

Dadurch müssten Flinta* häufig höhere Erwartungen erfüllen, um zu beweisen, dass sie nicht wegen ihres Aussehens, oder um eine Quote zu erfüllen, gebucht wurden – sondern weil „wirklich auflegen können“, sagt Wolf. „Auch sexuelle Belästigungen von Promoter- oder Publikumsseite können dazukommen, was das Arbeitsumfeld oftmals nicht zu einem safe space macht.“ In der anonymen Umfrage für ihr Videoprojekt hätten sich Aussagen gehäuft, wie: „Manchmal haben sich die Booker meine Musik nicht einmal angehört. Sie passt aber mit dem Rest der Musik auf dem Line-up überhaupt nicht zusammen.“

Es ist ein Gefühl, mit dem Wolf nicht allein ist. „Jede Flinta*-Person hat diesen Gedanken schon mal gehabt“, sagt Marie Midori. „Manchmal wird man auch tatsächlich als Quoten-DJ gebucht. Dann muss man es eben einfach für sich nutzen.“ Midori ist Berliner DJ und seit 12 Jahren in der Szene aktiv. In der Zeit habe sich schon einiges in puncto Geschlechtergerechtigkeit getan, jedoch noch lange nicht genug, sagt Midori.

Viele Flinta*-DJs fühlen sich dadurch herabgesetzt, dass ihr Aussehen oder Geschlecht über ihre musikalischen Fähigkeiten gestellt wird. Technisches Know-how wird ihnen häufig abgesprochen. Wolf sagt, dass ihr immer wieder berichtet werde, wie Männer einfach ins Pult greifen und das Setup und Equipment ungefragt erklären. Bei einem ihrer Auftritte habe ein Techniker ungefragt über ihren Mixer gefachsimpelt. „Ich war total perplex, warum er mir mein Arbeitsmedium erklärt. Dann habe ich ihn gefragt, ob er nicht vielleicht lieber auflegen will“, erzählt sie und lacht.

Hohe Gender Pay Gap

Ein weiteres Problem ist die ungleiche Bezahlung. Zum Gender Pay Gap im DJ-Beruf gibt es kaum belastbare Studien. Eine Untersuchung aus den USA von 2019 belegt jedoch eine Lohnlücke von über 70 Prozent: Gigs, für die cis-Männer einen Dollar erhalten, verdienen Flinta* im Schnitt nur 28 Cent. Auch Wolf berichtet: „Promoter machen für Flinta* oft absurd niedrige Gagenangebote.“ Aus der prekären Lage resultiere ein stärkerer Druck, sich zu beweisen. Der Konkurrenz-Gedanke unter Flinta* werde gepusht, wodurch es schwieriger werde, sich Netzwerke zu schaffen und sich gegenseitig zu unterstützen.

Statt sich vom Konkurrenzdruck entzweien zu lassen, setzen Flinta*-DJs wie Magali Wolf und Marie Midori auf Gemeinschaft. Wolf ist Teil des Berliner Flinta*-only Layers Collective, das sich nicht nur gegenseitig unterstützt, sondern auch Workshops für Flinta*-DJs organisiert – ein Safer Space für mehr Teilhabe. Andere Kollektive in Berlin, wie Femme Bass Mafia oder Hoe_mies, verfolgen ähnliche Ansätze.

„Aber es sind immer noch viel zu wenige, um alle Personen abzudecken, die Lust darauf hätten“, sagt Wolf. Midori bestätigt das: „Wir hatten zwischen 150 und 180 Bewerbungen, konnten aber nur 6 Personen annehmen.“ Auch Midori ist Teil eines Flinta*-Projekts, Femme Bass Mafia (FBM). Das Projekt bietet Flinta* einen sicheren Raum zum Erlernen und Ausüben von DJing und Musikproduktions-Workshops. Das Ziel: Konkurrenz durch Kooperation ersetzen.

FBM wurde vor 5 Jahren von Lilia van Beukering (DJ-Name: Dangermami) ins Leben gerufen, weil ihr, als sie mit dem Auflegen anfing, ein geschützter Raum für Flinta* zum Lernen fehlte. Also trommelte sie bekannte Flinta* DJs zusammen und schuf eine Alternative.

Solidarität unter Flinta*-DJs

Ursprünglich war das Programm als sechsmonatiger Workshop angelegt, bestehend aus Theorie und Praxis: von Genre-Kenntnissen, Booking-Strukturen und Software-Einführung bis zu Übergangstechniken und künstlerischer Entwicklung. Sieben Men­to­r*in­nen unterrichteten im Zwei-Wochen-Rhythmus. Zum Abschluss spielten die Teil­neh­me­r*in­nen Sets in der Palomabar und in der Klappe am Mehringdamm. Inzwischen bieten sie dreimonatige Workshop-Module mit spezifischen Schwerpunkten an. Daran können deutlich mehr Personen teilnehmen, als an den sechsmonatigen Workshops.

„Ich merke in den Workshops, dass Flinta* dazu neigen, sich kleiner zu machen, als sie sind, dass sie sich entschuldigen, wenn sie etwas falsch machen“, sagt Midori. Diese Unsicherheiten und Selbstzweifel erschwerten Lernprozesse, besonders in einem von Männern dominierten Bereich wie der Musikindustrie.

FBM will dem entgegenwirken, doch die Workshops sind zeit- und ressourcenaufwendig. Das Projekt erhielt eine Förderung vom Musicboard, die es ermöglichte, Praxis-Sessions für die Teil­neh­me­r*in­nen zu finanzieren und den Men­to­r*in­nen ein symbolisches Gehalt auszuzahlen. „Mit der gesamten Organisation lief es für uns Men­to­r*in­nen jedoch auf wahnsinnig viel unbezahlte Arbeit hinaus“, sagt Midori. Auch beim Layers Collective ist das Geld knapp. Die Workshop-Kosten mussten die Gründerinnen anfangs aus eigener Tasche zahlen. Eine Auszeichnung beim „Tag der Clubkultur“ brachte ihnen 10.000 Euro – ein Anfang, aber nicht genug.

Forderungen nach mehr Unterstützung von cis-DJs

Von Unterstützungen wie dieser wünschen sich Wolf und Midori mehr. „Es müssen mehr weiße cis-Männer ihre Privilegien und Reichweite nutzen, um Flinta* zu fördern, etwa indem sie Räume für Austausch schaffen, Clubräume zur Verfügung stellen und gezielt diese Kollektive einladen“, fordert Wolf.

Außerdem wünscht sie sich, dass cis-männliche DJs mehr hinterfragen, wie Support geleistet oder sichere Räume gewährt werden können. Das gelte vor allem für große Player: „Je größer die Festivals oder Clubs und je bekannter die Acts, desto mehr Hierarchien, sexistisches Verhalten und ungerechte Gehälter gibt es.“

Marie Midori schlägt vor: cis-Männer könnten in ihrem Booking-Rider, also den vertraglichen Zusatzbedingungen für ihre Buchung, festlegen, dass sie nur auf einem Line-up stehen wollen, wenn es divers besetzt ist – etwa mit mindestens 50 Prozent Flinta*-Artists. „Vor allem, wenn das größere DJs täten, die es sich leisten können, würde sich sehr viel ändern.“ Aber den meisten scheine das Thema ziemlich egal zu sein, glaubt Midori.

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4 Kommentare

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  • Welches Problem soll hier thematisch an die Wand genagelt werden?

    Mir ist die DJ(ane) Szene seit circa 1995 bekannt. Noch nie war es Thema, ob da Mann, Frau, Divers am Plattenteller steht; weder von Seiten des Veranstalters noch bei den Besuchern. Bis von wenigen bekannten Gesichtern abgesehen, ist diese "Arbeitsszene" ziemlich neutral eingestellt. Die Besucher interessiert das Geschlecht der DJs in der Regel nicht, Hauptsache die Musik ist gut.

    Dass der Frauenanteil dennoch nur bei 30 Prozent liegt, hat wohl eher andere Gründe. Früher als man noch Plattenkoffer schleppen musste, war es auch eine stark körperliche Arbeit. Generell muss man sehr technikaffin sein. Eine Portion gesunde Egozentrik hilft ebenso.

    Bunte Vögel sind in der kulturellen Szene gern gesehen. Die geschlechtliche Definition als Aufhänger zu nutzen, geht jedoch in die falsche Richtung. Der Gender-Pay-Gap ist hingegen ein allgemeines Problem.

  • Grundsätzlich ist es - auch musikalisch - zu begrüßen, wenn die häufig antiquierten Strukturen weiter aufgebrochen werden. Es scheint mir aber als Widerspruch, wenn der Artikel einerseits "Hang the cis-DJs" titelt, andererseits dann aber gerade von diesen nicht nur "Solidarität" einfordert, sondern auch, dass diese auf Auftritte/Gagen verzichten sollen.



    Eine Alternative könnte darin bestehen, dass man eigene Räume etabliert und diese nutzt, dort könnten sich dann auch die gewünschten "safe spaces" etablieren lassen.

    Ich bin auch etwas skeptisch bzgl. der Einschätzung der Seltenheit. 30% sind jetzt verhältnismäßig natürlich wenig(er), aber auch nicht 'selten'. Selbst in der nischigen Hardcore/Gabberszene fallen mir auf Anhieb zig (bekannte und erfolgreiche) weiblich gelesene DJs ein, von mainstreamigeren Genres ganz zu schweigen.

    Das ändert nichts an den anderen - zurecht - aufgeworfenen Problemen ala Sexismus, Gagen, Anerkennung usw., auch hier könnten eigene Räume helfen. Diese Szene bietet dafür viel Potenzial, was die vielen (auch historisch gesehen) illegalen Parties beweisen. Aber am Ende wird es vor allem um ein Stück des Kuchens gehen, weshalb das unattraktiv erscheint

  • Flinta * bezeichnet eigentlich Frauen, Lesben, nonbinary, trans, Agender, meint aber in der Regel nur "Frauen light".

    Viele Frauen können sich damit nicht identifizieren, viele Transpersonen auch nicht und vorallem fallen Transmänner bei diesem Sammelbegriff regelmäßig hinten runter.

    Warum Frauen und Lesben neuerdings nicht mehr "Cis" sind, leuchtet mir auch nicht direkt ein?



    Wobei die Zuschreibung als CIS sowiso leicht esoterisch anmutet, denn wie kann sich jemand aus tiefstem Inneren mit seinem sozialen Geschlecht identifizieren, wenn es doch auf der anderen Seite nur ein Konstrukt ist, was aus Klischees besteht? Hier wird zementiert, was eigentlich abgeschafft werden soll.

  • In anderen Worten: Es ist nicht mehr genug, künstlerisch zu überzeugen, wenn man "cis" ist. Man muss jetzt anscheinend auch freiwillig auf Auftritte verzichten, wenn es nicht quotiert ist, weil eine lautstarke Minderheit(*) das vorschlägt.

    (*) Mit dem Begriff "FLINTA*" soll zwar suggeriert werden, dass hier mit Frauen, Lesben, intersexuellen, nichbinären, trans- und agender Personen ein gewisser Bevölkerungsanteil repräsentiert wird, nur ist das eben eine Verzerrung der Gegebenheiten, denn ich habe noch keine belastbare Untersuchung gesehen, dass der Anteil an FLINTA*-DJs sich auch nur annähernd im Bereich des gesellschaftlichen Durchschnitts bewegt. Wenn es einfach um Größenordnungen mehr Männer gibt, die (von brilliant bis schlecht) als DJs im Bereich der Elektronischen Musik unterwegs sind, liegt auf der Hand, dass bei entsprechend geringerer Zahl an Personen, auf die das aktuelle intersektionelle Prädikat du jour passt, die Zahl der künstlerisch überragenden Überflieger entsprechend auch geringer ist. Das ist keine Folge des Patriarchats, sondern der Mathematik.

    Der FLINTA*-Anteil unter Beschäftigten auf dem Bau ist merkwürdigerweise selten Gegenstand großer Kontroversen.