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Sexismus im GesundheitssektorVon #MeToo keine Spur

Gilda Sahebi
Kolumne
von Gilda Sahebi

Die #MeToo-Debatte wurde in vielen Räumen geführt – aber nicht in der Klinik. Dabei ist Sexismus im Krankenhaus ein institutionelles Problem.

Von Missständen innerhalb der Kliniken dringt wenig bis nichts nach außen Foto: moodboard/imago

I ch erinnere mich gut an die Zeit, als die #­MeToo-Debatte in Deutschland ankam. Erst ging es um Hollywood, dann wurde sexuelle Belästigung allgemein debattiert – im Privaten, in den Medien, am Arbeitsplatz. Ich dachte: Endlich werden wir jetzt auch über sexuelle Belästigung und Sexismus in Krankenhäusern sprechen. Ich wartete. Und wartete. Es passierte nichts. Das Gesundheitssystem entging der #MeToo-Debatte einfach komplett.

Dabei ist Sexismus in einem System wie einem Krankenhaus fast schon zwangsläufig ein institutionelles Problem. Kliniken sind strikt hierarchisch organisiert. Die Hackordnung ist klar: Chef­ärzt:in, Ober­ärzt:in, As­sis­tenz­ärzt:in, Medizin Studierende, Pflegepersonal sowie Reinigungs- und andere Arbeitskräfte. Und die obersten Reihen sind meistens männlich.

Ich hatte einmal einen Oberarzt, der keine Lust hatte, sich die Namen von uns Medizinstudentinnen zu merken. Also verkündete er, er werde uns alle Uschi nennen. Und tat das dann auch. Bei den männlichen Studierenden hatte er offenbar keine Gedächtnisprobleme.

Während einer Famulatur ließ mich ein Assistenzarzt eine Untersuchung auf einen Leistenbruch bei einem jungen Patienten machen. Der bekam während der Untersuchung eine Erektion. Der Assistenzarzt machte sich darüber lustig, mit sexistischen Sprüchen, vor anderen ärztlichen Kolleg:innen.

Wer sich beschwert, gilt als Nest­be­schmut­ze­r:in

Eine frühere Kommilitonin, heute Chirurgin, erzählte mir, dass sie sich erst lange beschweren musste, bis die weiblichen Chirurg:in­nen einen eigenen Umkleideraum bekamen. Sie hatten sich zuvor gemeinsam mit Männern umziehen müssen. Seitdem galt meine frühere Studienkollegin als Störenfried. Einmal schauten sich einige ihrer Kollegen während der Mittagspause auf dem Handy Pornos an. Sie hielten ihr das Handy vor die Nase und fragten sie, ob ihr das Filmchen auch gefalle. Schließlich wechselte sie die Klinik.

Das sind nur Beispiele von Sexismus unter ärztlichem Personal. Sexismus gegenüber nichtärztlichem Personal oder Pa­ti­en­t:in­nen ist ein ganz anderes, eigenes Thema.

Heute arbeiten viele Frauen in deutschen Kliniken. Laut Statistik der Bundesärztekammer waren im Jahr 2021 etwa 48 Prozent des ärztlichen Personals weiblich. Anders sieht es auf der Leitungsebene aus. Eine aktuelle Erhebung des Deutschen Ärztinnenbunds aus dem Jahr 2022 zeigt: Von den Kli­nik­di­rek­to­r:in­nen an Universitätskliniken sind 13 Prozent Frauen, bei Führungskräften (zum Beispiel Leitenden Oberärzt:innen) sind es 19 Prozent, bei Ober­ärz­t:in­nen 37 Prozent.

Ob Rassismus oder eben Sexismus – es ist eine Konstante im deutschen Gesundheitssystem: Von Missständen innerhalb der Kliniken dringt wenig bis nichts nach außen. Denn wer sich beschwert, gilt als Nestbeschmutzer:in, wird gemobbt, fliegt raus, muss sich auf einen sehr kurzen Karriereweg einstellen. Oder geht von selbst. Das System funktioniert.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
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13 Kommentare

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  • Also meine Schwester (Ärztin Uniklinik) berichtet regelmäßig anderes, nämlich, dass Ärtztinnen in Kliniken untereinander in einen sexistisch geführten Konkurrenzkampf getreten sind. Die jüngeren haben fast alle Accounts bei Instagram und TikTok. Dort dreht sich die Spirale derjenigen bezüglich Fastnacktheit hoch, die der derzeitigen Mainstreamschönheit entsprechen, bzw sich dieser unterwerfen. Das entsprechende Verhalten dazu bringen sie auch an den Arbeitsplatz. Die Chefetage mag männlich sein und chauvinistisch/sexistisch handeln. Aber nur eine Ebene tiefer machen das egomanische Ärztinnen genauso - nur mit anderen Mitteln. Ärztinnen haben damit begonnen, unterdessen greift es auch auf die Schwestern über.

    Kurze Zeit wurde an der letzten Klinik meiner Schwester sogar mal argumentiert, dass solche Fotos eine feministische Aktion seien. Dabei ist es nur ganz profaner Konkurrenzkampf unter den Kolleginnen.

  • Als Krankenpfleger kann ich nur bestätigen, dass das Krankenhaus ein Arbeitsplatz ist, an dem die Zeit gefühlt im Geist der 70er stehengeblieben ist und wo ein Verhalten als Gegeben akzeptiert wird, dass in anderen Berufsfeldern, abgesehen vielleicht von der Bundeswehr, als skandalös gelten würde - aber auch dass Sexismus offenbar keine Eigenheit des Mannes ist sondern strukturell bedingt zu sein scheint.

    In diesem toxischen Umfeld treffen gleich mehrere Punkte aufeinander.

    1. Elitäres ärztliches Selbstbewusstsein. Selbst die ärztliche Autorin sieht die Pflege - als nebenbei eigene Institution die nicht den Ärzten unterstellt ist - vermeintlich auf einer Höhe mit Reinigungskräften und sogar noch unter Medizinstudenten, was ausdrückt wie Ärzte Pflegekräfte als ihre Untergebenen betrachten und sie oft mit fast feudal anmutender Hybris behandeln. Das ist ein Verhalten dass unabhängig vom Geschlecht vorkommt, da die Ärzteschaft heutzutage zu über 70% aus Frauen besteht.

    2. Struktureller Sexismus. Der medizinische Sektor erfuhr in den letzten Jahrzehnten einen ziemlichen Umbruch, was im Bewusstsein der Gesellschaft jedoch noch nicht angekommen ist. In diesem Stereotyp, der ja für Jahrhunderte die Realität ausmachte, war die Ärzteschaft ein rein männliches Betätigungsfeld und bestimmend während die Pflege weiblich und dienend war und sich aus Ihrer Geschichte der Ordensschwestern sogar selbst das Motto "Ich dien" gab. Nicht nur verdeutlicht dies die Notwendigkeit einer Emanzipierung der Pflege, als auch, dass Sexismus eine Frage des "wer bricht in wessen Bereich ein" ist. Im Gesundheitswesen arbeiten immernoch ältere Ärzte für die Frauen in ihrem Beruf ein ungewohntes Bild sind aber der Sexismus, den man als Pfleger von Frauen in "ihrem" Berufsfeld scheinbar zu ertragen hat, ist nicht minder ausgeprägt.

    3. Krankenhäuser sind an sich bereits strukturell schwierige Arbeitsplätze in denen "Ausbeutung" teil des Konzepts ist, da es sonst nicht zu funktionieren droht.

    • @Retro:

      Ich kann dir als ehemaliger Krankenpfleger (ist jetzt 7 Jahre her) in vieler Hinsicht zustimmen, aber ein paar Anmerkungen hab ich dennoch:



      "Das ist ein Verhalten dass unabhängig vom Geschlecht vorkommt, da die Ärzteschaft heutzutage zu über 70% aus Frauen besteht." Aus dem Artikel dazu:



      "Laut Statistik der Bundesärztekammer waren im Jahr 2021 etwa 48 Prozent des ärztlichen Personals weiblich." - Das es in Kliniken die du kennst anders sein mag- geschenkt- aber ich glaube man muss jetzt nicht versuchen, mit persönlicher Erfahrung, der Statistik der Bundesärztekammer zu widersprechen.



      "aber der Sexismus, den man als Pfleger von Frauen in "ihrem" Berufsfeld scheinbar zu ertragen hat, ist nicht minder ausgepräg" - auch da muss ich dir widersprechen. Das die Pflegerinnen uns männliche Pfleger oder männlichen Patienten gegenüber sexistisch sind kann ich bestätigen. Und meiner Erfahrung nach ist es sogar so das meine männlichen Kollegen solches Verhalten wenig zeigen im Vergleich mit dem Rest der Bevölkerung, aber da ist die Krux. Im Vergleich mit dem Sexismus den die durchschnittliche Frau zeigt wenn sie "unter sich" sind, glaube ich nicht das Krankenpflegerinnen besonders mehr auffällig sind. Ein gewisser Sexismus ist leider gesellschaftlicher Standard.

  • Alles richtig, was die Zustandsbeschreibung angeht. Und nötig ist es auch, im fast schon militärisch organisierten Gesundheitswesen genauer hinzuschauen.

    Doch muss man das unter dem Rubrum #MeToo diskutieren? Die MeToo-Bewegung hat für mich diesen Hautgout, dass alles in der Gesellschaft sexualisiert und auf das Geschlechtliche reduziert wird. Das verengt den Blick und verbaut Lösungen, verbaut Akzeptanz in der Gesellschaft.

    #MeToo ist inzwischen zu sehr Kulturkampf. Es wird zu sehr Missbrauch damit betrieben, der Machtaspekt drängt zu sehr auf Kosten der Missstandsbehebung in den Vordergrund.

    Im Gesundheitswesen gibt es nicht ohne Grund die Metapher „Götter in Weiß“ - das hat per se erst einmal nichts mit Geschlecht zu tun. Und wenn man sich mit erfahrenen Intensivpflegern und Intensivpflegerinnen unterhält, die Fehler junger Ärzte ausmerzen, bekommt man eine Ahnung, dass das Problem zuerst in den Hierarchien zu suchen ist. Dieses System würdigt nicht Erfahrung, es ist zu wenig permissiv.

    In anderen Ländern sind die Standesunterschiede weniger bedeutsam - dort erfordert Pfleger ein Studium. Ich habe meine Zweifel, ob da eine „Uschi“ möglich wäre. Oder ein „Horst“.

    • @rakader:

      Die hierarchischen Strukturen bauen aber explizit auf alten Geschlechterdynamiken und dem Patriarchat auf. Der Beruf der Pflegerin hat sich in Deutschland von den Ordensschwestern abgeleitet und die schlechte Behandlung und geringe Organisation der Profession kommt eben genau aus dieser historischen Entwicklung. Und sowas verschwindet nicht einfach zusammen mit den weniger werdenden Ordensschwestern.



      Das #metoo einen schlechten Ruf hat in Ihrer Ansicht, liegt unter anderem daran wieviel Mühe sich gegeben wird solche Bewegungen zu diskreditieren. Und Sie sind tatsächlich Teil davon, in dem Sie solche unreflektierte Kritik, die auf von konservativen Thinktanks ausgedachten Narrativen basieren, einfach wiederholen.



      Sie könnten auch einfach weniger auf die Hashtags geben und sich auf dem Inhalt konzentrieren. Wenn man solche Stichworte ständig widerholt und kommentieren muss, dann gibt man ihnen ja erst Recht Bedeutung.

  • Ich kann mich auch gut erinnern, die mit Abstand übelsten sexistischen Sprüche in einer Klinik gehört zu haben.



    Während der Kaffeepause der Krankenschwestern, von den Krankenschwestern - über alles in der Nähe, was mutmaßlich ein Y-Chromosom besaß.



    Will sagen: man kann natürlich für alles und immer die alten (mächtigen) weißen Heteromänner verantwortlich machen. Das ist nur leider völliger Quatsch, und wird dem (massiv vorhandenen) Problem in keinster Weise gerecht.

    • @Brobdignag:

      Weil Sie erlebt haben wie Krankenschwestern sexistische Sprüche ablassen (ach echt, sind die etwa auch Menschen?) glauben Sie gleich es sei alles Quatsch wenn man dafür den alten Säcken die überwiegend die Kliniken "regieren" eine Mitschuld dafür gibt?



      Ihnen dürfte es dann wohl tatsächlich an persönlicher Erfahrung in dem Bereich fehlen.



      Hoch gestellte Ärzte haben sehr viel Macht über andere Menschen und Macht korrumptiert bekanntlich viele Leute. Es ist wirklich keine Kunst nachzuvollziehen wie daraus Sexismus erwächst.

  • "Endlich werden wir jetzt auch über sexuelle Belästigung und Sexismus in Krankenhäusern sprechen."



    Wieso hat es die Autorin nicht längst getan? Und wieso muss man jede Berufsgruppe einzeln besprechen?



    Sexuelle Belästigung ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, ich kann mir keinen Bereich vorstellen, in dem es das nicht gäbe, weder privat noch beruflich.



    Das System funktioniert überall, nicht nur im Gesundheitswesen.

    • @AusBerlin:

      Haben Sie nachgeprüft wie oft die Autorin diese Missstände angeprangert hat in den letzten Jahren? Oder glauben Sie jetzt einfach, nur weil Sie zum Thema noch nichts gelesen haben, das Frau Sahebi sich nicht schon lange entsprechend äußert?



      Woher das Bedürfnis alles gleich ab zu tun weil "die da" angeblich selber nichts gemacht hat? Wenn es Sie so sehr stört sich mit dem Thema zu beschäftigen, dann lesen Sie den Artikel nicht und verwenden Sie keine Zeit aufs Kommentieren.

  • "Endlich werden wir jetzt auch über sexuelle Belästigung und Sexismus in Krankenhäusern sprechen."



    Wieso hat es die Autorin nicht längst getan? Und wieso muss man jede Berufsgruppe einzeln besprechen?



    Sexuelle Belästigung ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, ich kann mir keinen Bereich vorstellen, in dem es das nicht gäbe, weder privat noch beruflich.

  • In den 80gern: Chirurgie hatte eine Raucher und eine Nichtraucher Umkleide, die Anaesthesie eine Frauen und Männer Umkleide, so waren alle zufrieden. Ich, weiß, weiblich, heteronormativ, fand es nicht schlimm, meinen Chef in der Unterhose zu sehen, falls im Raucherqualm überhaupt etwas erkennbar blieb!

    • @brabraMünchen:

      Ja, super Beispiel das mit der Raucherumkleide. Damals war noch alles in Ordnung, als die Ärzte massiv nach Qualm stinkend an Patienten hantiert haben.



      Damals hats ja alles für Sie persönlich funktioniert und was vor 40 Jahen für Sie in Ordnung war, muss ja auch für alle anderen heutzutage in Ordnung sein. Was erdreistet sich auch diese Jugend Dinge anders machen zu wollen oder Fehler anderer Generationen nicht wiederholen zu wollen.

    • @brabraMünchen:

      Schön für dich. Ob alle anderen es deshalb auch so empfinden müssen ist fraglich. Es gibt immer einige, die gut mit Missständen leben können, das macht aber noch keine Statistik.