Sexismus im Fußball: Was tun mit Luis Rubiales?
Spaniens Ex-Fußballverbandschef steht vor Gericht. Das ist gut. Wichtiger als eine Strafe aber ist, dass der gesellschaftliche Druck nicht aufhört.
L uis Rubiales droht eine Haftstrafe. Der Staatsgerichtshof in Madrid hat nämlich ein Verfahren gegen den früheren Präsidenten des spanischen Fußballverbands eingeleitet. Es geht um den Kuss, den Rubiales bei der WM-Siegerehrung im August 2023 der Spielerin Jennifer Hermoso aufgezwungen hatte. Der Richter erklärte, dass dieser Kuss „den Bereich der Intimität betrifft, der sexuellen Beziehungen vorbehalten ist, insbesondere im Kontext zweier Erwachsener“.
Die Höchststrafe beträgt vier Jahre, und schon hört man das Raunen: Vier Jahre? Für einen Kuss? Ist das nicht übertrieben? Das Raunen ist Teil des Problems: dass es nämlich Leute gibt, überwiegend Männer, die ohne jede genauere Kenntnis sofort bereit sind, in übergriffigem Verhalten eine bloße Lapalie zu erkennen. Die solle sich nicht so haben.
Solcherlei Wegwischen oder Kleinreden des Themas übersieht zudem, dass die Anklage nicht nur gegen Rubiales erhoben wird, sondern auch gegen drei weitere Funktionäre, zu denen Ex-Nationaltrainer Jorge Vilda gehört. Die hatten nämlich, heißt es in der Anklage, Druck auf Hermoso ausgeübt, öffentlich zu erklären, Rubiales’ Kuss sei mit ihrem Einverständnis erfolgt.
Gewiss sind kritische Fragen möglich, ob der Sexismus des Herrn Rubiales und seiner Mitstreiter wirklich mit den Mitteln des Strafrechts und wirklich von einem männlichen Richter abgeurteilt werden sollte. Verrechtlichung gesellschaftlicher Konflikte ist immer problematisch, denn vor allem entzieht sie diesen Konflikt – hier: der sexistische Übergriff und der Widerstand dagegen – der Gesellschaft. Die hatte sich noch wirkungsvoll gewehrt, indem etwa die Nationalspielerinnen in den Streik traten und der sich doch gerade als WM-Trainer fühlende Vilda geschasst wurde.
Dieser unglaublich wirkungsvolle Protest droht nun zu einem Widerstand zweiter Klasse zu werden, indem sich der Staatsgerichtshof der Sache bemächtigt. Durch diese Zuständigkeitsverschiebung von der Gesellschaft zum Staat verändert sich die Begründung. Sexistische Übergriffe sind dann nicht mehr von Übel, weil sie die Menschenwürde von Frauen verletzen, sondern weil man dafür vom Staat bestraft werden kann.
Solch kritische Anmerkungen sind berechtigt, doch sie übersehen, dass es ja erst der Druck der spanischen Gesellschaft, genauer: der spanische Frauenbewegung war, der den Staat zum Handeln brachte.
Was heißt das nun für den anstehenden Prozess gegen Luis Rubiales und seine Kameraden? Dass es nicht darum geht, ob der Expräsident zu einer Haft- oder einer Geldstrafe verurteilt wird. Irgendein Urteil gegen ihn sollte völlig ausreichen – wenn, ja wenn der Druck gegen die anderen Rubialesse der Fußball- und übrigen Sportwelt weitergeht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz