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Servicewüste für Arbeitslose in HamburgJobcenter stellt Telefone ab

Seit dieser Woche sind alle Hamburger Jobcenter nur noch über ein Service-Callcenter erreichbar. Sozialberater sind entsetzt, Die Linke übt Kritik

Kein durchkommen: Bei Jobcenter-Mitarbeitern darf man nicht mehr anrufen. Foto: dpa

HAMBURG taz | Nur 266 Euro hat Eva L. bekommen, für sich und ihre drei Teenager-Kinder als Lebensunterhalt für den ganzen September. „Da kann etwas nicht stimmen“, sagt sie. Sie vermutet, dass das Jobcenter von der Stütze fälschlicherweise Kindergeld für ihren ältesten Sohn abzog, der aber gar keins mehr bekommt. „Von dieser Summe können wir nicht leben“, sagt die Alleinerziehende, die von Hartz IV lebt und auf Minijob-Basis noch etwas dazuverdient.

Sie versuchte am Mittwoch, beim Jobcenter anzurufen. Sie habe eine „supernette Sachbearbeiterin“, die direkte Durchwahl stehe noch auf dem jüngsten Brief. Nur funktioniere die nicht mehr. Als Eva L. die Nummer wählt, hört sie eine Ansage der „Service-Telefonie“.

Seit dem 13. September haben mit Altona, Billstedt, Eidelstedt und Lokstedt die letzten vier der 17 Jobcenter ihre alten Telefonnummern abgestellt. Das verkündet die Jobcenter-Zentrale „team.arbeit.hamburg“ auf ihrer Homepage. „Aktueller Hinweis“ steht dort. Man habe jetzt durch das Servicecenter die Erreichbarkeit dieser letzten vier Standorte „verbessert“. Mehr als 80 Prozent aller Anliegen würden hier schon beantwortet. Andernfalls erfolge binnen 48 Stunden ein Anruf durch einen Mitarbeiter des Standortes.

Eva L. ruft am Donnerstag erneut diese Service-Line an. Eine freundliche Frau nimmt ihr Anliegen auf und nimmt Anteil. Nur mehr Geld anweisen dürfe sie nicht. Doch die Dame verspricht, der Sachbearbeiterin eine Mail zu schreiben. Bis Redaktionsschluss am Freitag hat Eva L. aber nichts von ihrem Jobcenter gehört. Termine bekomme sie auch nicht, sagt die Mutter. „Ich muss nächste Woche hin, zwei Stunden warten, bis ich drankomme.“

Die neue Regelung ist eine Katastrophe“, sagt Morassah Massloumsaki. Die Sozialarbeiterin berät seit Jahren im Kinder- und Familienzentrum Schnelsen Menschen, die Probleme mit Hartz-IV-Bescheiden haben. „Die sind sehr kompliziert geworden“, sagt sie. „Die Leute kommen hier zu uns mit sieben ungeöffneten Briefen und haben Angst vor denen.“

Und viele Bescheide seien fehlerhaft, häufig könnten sie und ihre Kollegen durch einen Anruf beim Sachbearbeiter die Dinge klären. Doch nun solle es auch für Beratungsstellen keine Liste mit Durchwahlen mehr geben, obwohl das für Notfälle wichtig sei. „Zum Beispiel, wenn in einer Wohnung, wo ein Baby lebt, der Strom abgestellt ist. Da muss schnell geholfen werden.“

Vor so einer Abschottung der Jobcenter hatte Inge Hannemann schon 2015 gewarnt, als in den ersten Standorten die „Telefonie“ als Testphase lief. Es sei wichtig, dass die Menschen den direkten Draht zu ihren Sachbearbeitern hätten und „nicht in Servicecentern geparkt werden“, sagte die Links-Abgeordnete, die selber mal im Jobcenter tätig war. Doch ihr Antrag, die Telefonlisten ins Netz zu stellen, wurde abgelehnt.

Der Modellversuch war erfolgreich, sagt hingegen Jobcenter-Geschäftsführer Oliver Weiße. Denn auch mit bekannter Nummer seien die Mitarbeiter nicht gut erreichbar gewesen. Durch das Servicecenter habe man die Erreichbarkeit „deutlich steigern“ können. Zudem, so Weiße, ermögliche man bestimmten Beratungsstellen in Notfällen „weiterhin den telefonischen Kontakt“. Das sei mit der Sozialbehörde vereinbart.

„Wir als Linke kritisieren das weiter“, sagt Hannemanns Nachfolgerin Zaklin Nastic. Das Callcenter führe zu mehr Missverständnissen und sei negativ für beide Seiten, sagt die Abgeordnete. „Wir wissen von Mitarbeitern, die ihre Telefonnummer rausgeben, weil sie es anders nicht verantwortlich finden.“

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