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Senatorin Kalaycis Corona-ForderungenDas Vertrauen ist gestört

Kommentar von Stefan Alberti

Politische Entscheidungen müssen gut erklärt sein, umso mehr bei Corona. Dilek Kalaycis Auftreten konterkariert das. Ein Wochenkommentar.

Sie fordert Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte: Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) Foto: dpa

D ass man eine Mütze anzieht, wenn es regnet, oder einen Schirm aufspannt, ist klar. Auch, dass man einen Fahrradreifen aufpumpen oder flicken muss, wenn er platt ist. Politische Konsequenzen zu ziehen, ist hingegen oft nicht so leicht, und vor allem nicht in der Coronapandemie. Die Lockdowns bisher haben gezeigt: Maßnahmen funktionieren dann am besten, wenn man sie vernünftig erklärt. Wenn man, wie es immer so nett heißt, die Betroffenen mitnimmt, damit die auch verstehen, warum da was passiert.

Dazu müssen aber Dinge logisch sein, stringent, aufeinander aufbauend. Wenn nun ein Regierungsmitglied dieses erzählt und ein anderes nächste Woche jenes, obwohl sich die Umstände vor Ort nicht oder kaum geändert haben, so untergräbt das den Glauben an kluge Politik.

So geschehen ist das am vergangenen Dienstag auf der Pressekonferenz nach der Senatssitzung. Da wünschte sich SPD-Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci weitgreifendste Maßnahmen und sagte sogar: „Wir wollen mehr verbieten“. Diesen Satz allein könnten AfD und Impfgegner als lustvolles Rechte-Einschränken ausschlachten. Zuvor hatte Kalayci schon in einem Interview nach einer Bundesnotbremse gerufen und sich für Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte ausgesprochen.

Viel schlimmer aber ist, dass Kalaycis Worte den Auftritt ihres Staatssekretärs und Parteifreundes Martin Matz eine Woche zuvor im selben Pressekonferenzsaal konterkarierte, der dabei die neuen 2G plus-Vorgaben vorgestellt hatte. Weil parallel in Brandenburg das Kabinett über Wechselunterricht in Schulen und Kontaktbeschränkungen diskutierte, sah Matz sich mit der Journalistenfrage konfrontiert, warum das nicht auch in Berlin geplant sei. Und ob er, soweit das möglich ist, einen erneuten Lockdown ausschließen könne.

Ausschließen könne man nichts, antwortete Matz, „aber die Maßnahmen bieten die Chance, die Kurve [gemeint ist der Anstieg der Corona-Zahlen] abflachen zu können“. In Brandenburg sah er wegen der im Vergleich zu Berlin fast doppelt so hohen Infektionsrate eine ganz andere Situation.

Die Kurve flacht ab

Eine Woche später war die Kurve abgeflacht, der Abstand zu Brandenburg weiter groß. Der Senat hätte sich freuen und in seiner Politik bestätigt sehen können – zu Recht. Stattdessen forderte Kalayci mehr Einschränkungen und verwies auf die in Südafrika grassierende neue Coronavariante Omikron und die Empfehlungen von Wissenschaftlern, die aber in der Regel schon immer nach gravierenderen Maßnahmen gerufen hatten.

Nun ist es so, dass Staatssekretär Matz bislang weder als Beschöniger der Coronalage aufgefallen wäre noch im Verdacht steht, vom Thema Gesundheit keine Ahnung zu haben. Ganz im Gegenteil: Kaum ein Staatssekretär ist so sehr in seinem Fachgebiet verwurzelt wie Matz. Der war schon im Abgeordnetenhaus Gesundheitsfachmann, danach in Spandau Stadtrat für dieses Thema und hatte schließlich auch als Vorstand bei der Diakonie damit zu tun, bevor er 2018 Kalaycis Vize wurde. Man könnte sogar sagen: Er hat im Zweifelsfall mehr Ahnung als Kalayci – jene Frau, die zu Jahresbeginn im Abgeordnetenhaus irrigerweise eine lokale Impfstoff-Produktion durch das Unternehmen Berlin Chemie ankündigte.

Was soll vom oben beschriebenen Widerspruch zweier Regierungsmitglieder gleicher Parteizugehörigkeit jemand denken, der zwar bislang alle Coronamaßnahmen befolgt hat, aber mehr und mehr auf der Kippe ist? So wie ein skeptischer Katholik, für den es noch ein einziges reaktionäres Kardinalswort braucht, um aus der Kirche auszutreten.

Nicht nachvollziehbare Wenden, Ankündigungen und Noch-eins-Drauflegen untergraben das Vertrauen in Politik. Nicht nur bei Corona, aber hier besonders. Oft genug hat Regierungschef Michael Müller (SPD) gesagt: Der Senat, die Bezirke, die Polizei, sie alle könnten nicht alles kontrollieren. Es liege vielmehr an jedem und jeder selbst, sich solidarisch zu zeigen und die Regeln einzuhalten. Das geht aber nur, wenn Entscheidungen plausibel sind. Für Kalaycis „Wir wollen mehr verbieten“ gilt das nicht.

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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6 Kommentare

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  • Ich kann den Kommentar nicht ganz nachvollziehen.



    # Am Donnerstag wurden 2 Omikron-Entdeckungen für Berlin bekannt gegeben.



    # PCR-Testlabore und Gesundheitsämter kämen nicht mit Fallbearbeitungen hinterher. In der TAZ hieß es dazu "trügerisches Hochplateau".



    Senatorin Kalaycis Forderung wäre insofern weniger plausibel, dass es aufgrund der Pandemie bereits wesentlich früher härterer Maßnahmen bedurft hätte und ein Lockdown sehr spät kommen würde. Ich gebe dem Autor aber darin Recht, dass Absprachen und eine plausible Erläuterung wichtig sind. Zusätzlich sollten dringend frühzeitig Empfehlungen von Wissenschaftler*innen einbezogen werden.

  • also ich hätte mir schon frühere und strengere maßnahmen gewünscht - bei ner inzidenz von 360 zu stagnieren ist jedenfalls nicht gerade eine glanzleistung...







    aber mittlerweile ist mir das irgendwie auch egal, wenn ich mir eh die ganze zeit nur anhören darf, dass ich übertreiben würde - ich glaub, ich meld mich erstmal 2 wochen krank und lass systemkritischen job systemkritischen job sein

  • Frau Kalayci war und ist als Senatorin für Gesundheit eine Katastrophe.

    Aktuell habe ich das Geschwurbel im Abendschauinterview im Ohr, wo sie sich über den Impfstoff von Moderna aufregte ("Hiobsbotschaft").

    Wer hat diese Frau eigentlich für die Gesundheitsverwaltung ausgesucht?

    • @Gesunder Menschenverstand:

      Zum Glück erlaubt die Zahlen- und Datenflut in de rPandemie Vergleiche zwischen de rPerformance der Regierenden, die sich nicht aufs Bauchgefühl oder schwurbelige Leerfloskeln wie "gesunden Menschenverstand" (den nicht zuletzt auch "softe" und "harte" Covidioten wie Lindner respektive Weidel gern und lautstark für sich reklamieren) verlassen:

      Eine "Katastrophe" sind die Gesundheitsminister von Bayern und NRW, von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

      Berlin ist nach Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen dasjenige Bundesland mit einer noch halbwegs guten Performance.

      ZB ist in Berlin die Positivtestquote (die ein sehr gutes Maß für die Kompetenz der lokalen Regierung in Sachen präventive Infektionsvermeidung, sowie die Überlastung des Test/Meldesystems ist) noch im "relativ OKen" Bereich.

      In Anbetracht der Erschwernisse (eine nicht sehr wohlhabende und polyglotte Bevölkerung, gepaart mit auf die Einwohner*innenzahl recht begrenzten Mitteln, sowie eine gutaufgestellte Flacherdler-Szene) macht Kalayci ihre Sache - OBJEKTIV betrachtet - gar nicht schlecht; insgesamt legen alle belastbaren Indikatoren nahe, dass R2G-Landesregierungen die mit Abstand beste Pandemiepolitik in der BRD abliefern. Zwar liegt im Bundesvergleich Schleswig-Holstein mit Bremen gleichauf an der Spitze, aber S-H ist ein eher wohlhabendes Flächenland mit Grenze zu einem weitaus besser als Deutschland performenden Staat, sowie ziemlich geringer Bevölkerungsdichte, das sich nicht mit dem verarmten Ballungsraum Bremen vergleichen lässt. Aber der Ballungsraum Berlin lässt sich mit dem (ungleich reicheren und geographisch günstiger aufgestellten) Ballungsraum Hamburg vergleichen, und da sieht man, was Kalayci (und andere) leisten: eine Katastrophe wie in Paris oder Madrid vorletzten Frühling oder in London oder Lissabon letzten Winter vermeiden zum Beispiel.

  • Frau Kalayci ist an Imkompetenz wirklich nicht zu überbieten. Man fragt sich, warum die trotzdem noch im Amt ist?

  • Zu konstatieren bleibt die Hilflosigjeit der Gewählten im Umgang mit ihren 'Untertanen'. Es war ja schon immer ein SPD-Problem, -einmal gewäjlt- alles 'für' dir Menschen statt 'mit' ihnen zu machen; Funktionärswirtschaft: Wenn die Kommunikation nicht 'funktioniert' , geht es nur per Zwang. Die Einsamkeit der Gremienpolitiker, die erwarten dass 'ihr' Volk alles mitmacht. Solange die WählerInnen dabei Ruhe und Orgnung verspüren, scheinen sie gut daran gewöhnt zu sein. Leider hat dieser Politikstil inzwischen auch Grüne und Linke erfasst. Konjunktur für Querdenker....