Selenskyjs Staatsbesuch in Polen: Annäherung im Wolhynien-Streit
Die fehlende Aufarbeitung der Morde der ukrainischen Aufstandsarmee an Polen stehen zwischen Kyjiw und Warschau. Selenskyj signalisiert Kooperationsbereitschaft.
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Und es zeichnete sich eine Sensation ab: Der ukrainische Präsident verließ Warschau mit der Versicherung, dass historische Fragen die europäische Integration der Ukraine nicht behindern würden. Für Kyjiw war es wichtig, dies aus Warschau zu hören, das seit dem 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft innehat.
Polnische Politiker haben „Wolhynien 1943“ zu einem Thema im Präsidentschaftswahlkampf gemacht. Während Historiker in der Ukraine die Ereignisse als „wolhynische Tragödie“ bezeichnen, sprechen einige ihrer polnischen Kollegen vom „Wolhynien-Massaker“ und führten 2018 die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Leugnung der „Verbrechen ukrainischer Nationalisten“ ein.
Im Jahr 1943 war es in Galizien, Wolhynien und den Gebieten westlich der Flüsse Bug und San zu ethnischen Konflikten gekommen, in deren Folge Zehntausende Polen und Ukrainer ums Leben kamen. Historiker beider Länder streiten seitdem über die Anzahl der Toten, sprechen von 35.000 bis 100.000 polnischen und 15.000 bis 25.000 ukrainischen Opfern.
In den vergangenen Jahren sind der Vandalismus an ukrainischen Denkmälern in Polen und das Verbot von Exhumierungsarbeiten in der Ukraine zum Problem geworden. Genau das nutzen rechtsextreme Politiker in Polen.
Wolhynien als Thema im polnischen Wahlkampf
Anfang 2025 sprach sich der PiS-nahe polnische Präsidentschaftskandidat und Direktor des Instituts für Nationales Gedenken, Karol Nawrocki, aufgrund des ukrainischen Konflikts mit Warschau um die Wolhynien-Tragödie gegen einen ukrainischen EU- und Nato-Beitritt aus.
„Ich sehe die Ukraine weder in der EU noch in der Nato. Ein Staat, der nicht die Verantwortung für ein brutales Verbrechen an 120.000 seiner Nachbarn übernehmen kann, kann kein Mitglied internationaler Bündnisse sein“, sagte der konservative Nawrocki gegenüber dem TV-Sender Polsat. Die Opferzahl von 1943 ist nicht nachgewiesen. Für die PiS sind diese historischen Fragen in den Beziehungen zur Ukraine ein wichtiges Wahlkampfthema.
Premier Donald Tusk
Doch dann setzten sich die Politiker an den Verhandlungstisch. Mit Erfolg: Wenige Tage vor Selenskyjs Warschau-Besuch gestattete die Ukraine erstmals, die Leichen der 1943/44 getöteten Polen zu exhumieren. Tusk begrüßte dies als Durchbruch in den bilateralen Beziehungen.
Warschau und Kyjiw tauschen Listen mit Orten aus, an denen ab April im Gebiet Ternopil nach den sterblichen Überresten der Opfer gesucht werden soll. Danach sollen die Opfer umgebettet werden. „Ich werde nicht zulassen, dass diese dramatische Geschichte für politische Machtspiele in Polen missbraucht wird“, betont Tusk.
Ukraines EU-Beitritt im Interesse der polnischen Sicherheit
Der polnische Premier sicherte der Ukraine Unterstützung auf ihrem Weg in die EU zu und rügte die PiS dafür, dass sie „Bedingungen für die politische Unterstützung der Ukraine“ stellten.
„Eine ukrainische EU-Mitgliedschaft liegt im Sicherheitsinteresse Polen. Wer das nicht versteht, ist entweder ein Dummkopf oder ein Verräter“, sagte Tusk.
In der Ukraine wurden die Vereinbarungen zur Geschichte mit Optimismus aufgenommen. „Die Krise in den zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen der Ukraine und Polen ist gelöst“, sagte der Oppositionsabgeordnete Mykola Kniazhytskyij.
Er und Außenminister Andrij Sybiha raten gleichzeitig, auf Entscheidungen und Maßnahmen der polnischen Seite zu warten, um unter anderem ukrainische Denkmäler für die Kämpfer der ukrainischen Aufstandsarmee UPA im Nachbarland Polen zu restaurieren. „Auch wir fordern eine würdige Ehrung des ukrainischen Gedenkens auf dem Territorium Polens“, sagte Außenminister Sybiha
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
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