Selenskyj mit Siegesplan in der EU: Ukrainischer Wettlauf gegen die Zeit
Der ukrainische Präsident Selenskyj reist nach Brüssel, um für seinen „Siegesplan“ zu werben. Bei Nato und EU stößt er auf nüchterne Skepsis.
Ort und Zeit sind strategisch gewählt. Um seinen „Plan“ – der eigentlich eher einem Wunschkatalog entspricht – umzusetzen, ist er auf die internationalen Verbündeten angewiesen. Denn sie sind die entscheidende Stütze, damit die Ukraine militärisch wie wirtschaftlich überlebensfähig ist. Und Europa ist mehr denn je gefragt. Kommt es bei der US-Präsidentschaftswahl am 5. November zu einem Machtwechsel im Weißen Haus und sollte der Republikaner Donald Trump erneut US-Präsident werden, dürfte es für die Ukrainehilfen düster aussehen.
Auch unter der Demokratin Kamala Harris wird es vermutlich finanzielle Einschnitte geben, auch wenn sich in der Haltung gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wenig ändern dürfte. Selenskyj bleibt derzeit nichts anderes übrig, als für Unterstützung zu werben und sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten.
EU-Ratspräsident Charles Michel versicherte dem ukrainischen Präsidenten, dass die EU so lange wie nötig an der Seite der Ukraine stehen werde. Michel sagte zudem zu, dass man schauen werde, wie die Hilfen – sowohl militärisch als auch finanziell – beschleunigt werden können. Diese vorsichtige Formulierung lässt auch auf Spannungen innerhalb der Mitgliedsstaaten schließen. In Arbeit ist derzeit ein Hilfspaket, aus dem die EU bis zu 35 Milliarden Euro beisteuern will und das aus den Zinsen eingefrorener russischer Vermögenswerte finanziert werden soll.
Hier sieht alles ungewohnt aus? Stimmt, seit Dienstag, 15.10.2024, hat die taz im Netz einen rundum erneuerten Auftritt. Damit stärken wir, was die taz seit Jahrzehnten auszeichnet: Themen setzen und laut sein. Alles zum Relaunch von taz.de, der Idee dahinter und der Umsetzung konkret lesen Sie hier.
Zukunft der Ukraine soll in der EU liegen
Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán hat sich mehrfach kritisch zu einer solchen Finanzhilfe geäußert. Ungarn hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne und sorgte gleich zu Beginn für Verstimmung innerhalb der EU mit nicht abgesprochenen Reisen erst nach Kyjiw, dann nach Moskau und schließlich nach Peking und in die USA.
„Die Zukunft der Ukraine liegt in der EU“, sagte Michel. Die Rede ist von enormen Fortschritten für den EU-Beitritt, es gibt Lob für Selenskyj und die Reformbemühungen der Ukraine. „Auf die EU könnt ihr zählen.“ Was das für die nächsten Monate heißt, bleibt aber unklar. Zwar ist die „Winterhilfe“ längst angelaufen und vor allem zerstörte kritische Infrastruktur wie Wärme-, Strom- und Wasserversorgung wird wieder aufgebaut.
Auch an Schutzmaßnahmen wird gearbeitet. Russland bombardiert gezielt Umspannwerke oder Großanlagen. Diese sind im Ernstfall deutlich langsamer zu reparieren. Brennt etwa ein Autotransformator, gilt das Feuer als nahezu nicht löschbar. Das Bundesentwicklungsministerium unterstützt etwa beim Bau von Betoneinhausungen, also einem dicken Schutzmantel für Umspannwerke. Der Wiederaufbau findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt und ist eine logistische Herausforderung.
In seinem „Siegesplan“ fordert Selenskyj auch eine Einladung zum Nato-Beitritt. „Ab sofort muss Putin sehen, dass er mit seinem geopolitischen Kalkül falsch liegt.“ Russland wollte mit Angriffskrieg unter anderem verhindern, dass sich die Ukraine dem Transatlantischen Bündnis annähert. Der neue Nato-Generalsekretär Mark Rutte äußerte sich beim Treffen der Verteidigungsminister vorsichtig bis skeptisch. Zwar stehen die Verbündeten geschlossen hinter der Ukraine. Allerdings ist der Zeitpunkt völlig offen. Die Frage nach dem „Wann“ könne er – Rutte – jetzt nicht beantworten.
Biden trifft Scholz, Starmer und Macron in Berlin
Am Donnerstagabend wurde US-Präsident Joe Biden in Berlin erwartet. Der Besuch in der Hauptstadt findet unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Biden hätte bereits in der vergangenen Woche nach Berlin kommen sollen. Geplant waren hochrangige Gespräche mit etlichen Staats- und Regierungschefs.
Vor allem vom sogenannten „Ramstein-Gipfel“ hatte sich Selenskyj viel erhofft, sollte doch von dem Treffen ein deutliches – wenn auch symbolisches – Signal an Putin ausgehen. Dank Hurrikan „Milton“ wurde daraus nichts. Nun wird der Empfang Bidens in Deutschland nachgeholt. Allerdings abgespeckt. Neben einem 4-Augen-Gespräch mit Kanzler Scholz, kommen auch der britische Premier Starmer und Frankreichs Präsident Macron mit Biden in Berlin zusammen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen