Selbstständig durch die Corona-Krise: Immer noch gut gelaunt

Berlins Soloselbstständige sind besonders von den Lockdowns betroffen. Doch sie bleiben erstaunlich optimistisch. Versuch einer Analyse.

Gastronomen dürfen erst nach und nach wieder öffnen Foto: Christoph Soeder/dpa

Es ist genau sechs Wochen her, dass wir mit Berliner Soloselbstständigen darüber sprachen, wie sie in der Zeit der Coronakrise über die Runden kommen. Sie alle konnten damals nicht mehr oder kaum noch arbeiten, verdienten nichts oder kaum mehr etwas – und kamen dafür dennoch ausgesprochen beschwingt daher.

Wie viele der 200.000 Freiberufler in dieser Stadt waren die meisten von ihnen schon vor längerer Zeit nach Berlin gekommen, weil man sich hier nicht mehr so sehr wie früher, aber doch immer noch wegen der günstigen Mieten und Lebenshaltungskosten besser austoben kann als in jeder anderen Metropole Europas. Und sie alle hatten schon Schlimmeres erlebt: Termine des Grauens mit dem Finanzamt, lästige Nebenjobs zur Querfinanzierung der eigentlichen Berufung, volles Risiko, um das nächste große Ding zu realisieren.

Viele Soloselbstständige müssen schon in normalen Zeiten mit weniger als dem Existenzminimum durchkommen, holen sich ihre Klamotten bei Humana und ihre Bücher in der Tauschstation. Für sie, so das Fazit damals, war Corona am Anfang der Krise nur eine weitere Hürde auf einem langen, steinigen, aber dafür wunderbar abenteuerlichen Weg.

Seitdem ist viel passiert: Einige konnten ihre Läden wieder öffnen, andere fangen gerade wieder an zu arbeiten, manche wiederum wissen nicht, ob sie in diesem Jahr überhaupt noch zur Normalität zurückfinden werden. So sehr sich ihre Situation jetzt aber wieder unterscheidet, eines haben alle, mit denen wir nun erneut gesprochen haben, gemeinsam: Sie haben finanzielle Hilfe vom Staat bekommen – die meisten von ihnen zum ersten Mal in ihrer beruflichen Existenz.

Die Krise als Chance

Vielleicht ist das der Grund, warum das sogenannte Berliner Prekariat, das in dieser Stadt so viel bewegt hat und sie so liebens- und lebenswert macht, nicht nur weiterhin erstaunlich gut gelaunt scheint, sondern stärker noch als beim letzten Mal begonnen hat, über den Tellerrand, auf das Gemeinwohl und das Befinden der ganzen Welt zu blicken.

Es geht ihnen objektiv wirklich nicht blendend, sie hätten Grund zu größerer Sorge als viele andere. Klar, sie lamentieren auch hier und da, das kann man vor allen jenen nicht verdenken, die sich um Mitarbeiter sorgen müssen und um hohe Mieten, die nach wie vor pünktlich gezahlt werden müssen. Aber sie sehen die Coronakrise dennoch unverdrossen als Chance zum großen gesamtgesellschaftlichen Kurswechsel.

Sie wünschen sich etwa, dass die Menschen ihr Konsumverhalten überdenken, freuen sich darüber, dass die Umwelt endlich mal Luft schnappen kann. Sie erleben und begrüßen einen neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt – und wundern sich über eine Politik, die diesem Zusammenhalt vielleicht manchmal nicht genug zutraut.

Und das Erstaunliche ist: Sie tun dies mehr als noch vor sechs Wochen. Wenn derzeit wieder verstärkt über das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert wird, kommt immer noch mit großer Hartnäckigkeit unter anderem auch das Gegenargument, dass sich die Menschen ohne den guten alten Motor Verwertungsdruck zurücklehnen würden, dass es Arbeit geben würde, die keiner mehr wird machen wollen.

Berlins Kreative fühlen sich plötzlich wieder gut aufgehoben in einer Stadt, die sie nicht immer mit Glacéhandschuhen angefasst hat

Wer sich unter Berlins Freischaffenden umhört, gewinnt den Eindruck, dass das Nonsens ist. Abgesehen davon, dass der Verwertungsdruck mit Grundeinkommen und Soforthilfe nicht aufhört: In normalen Zeiten träumt jeder gern mal von Ferien für immer. Jetzt aber fühlen sich alle unfreiwillig zum Nichtstun verdonnert und suchen sich – ebenso sinnvolle wie ehrenwerte – Ersatzbaustellen.

Vor allem aber: Berlins Kreative fühlen sich plötzlich wieder gut aufgehoben in einer Stadt, die sie nicht immer mit Glacéhandschuhen angefasst hat. Dass sie ihnen einfach mal so und ohne viele Umstände ein bisschen Geld aufs Konto geschoben hat: fast ein Wunder. „Ich hatte noch nie so viel Geld auf einmal auf dem Konto“, meint einer der Soloselbstständigen, die die taz befragt hat. Ein anderer staunt: „Ich kann es immer noch nicht fassen.“

Man gewinnt den Eindruck, dass viele der Kreativen diese Zuwendung am liebsten schneller an die Gesellschaft zurückgeben würden, als es ihnen in der aktuellen Situation gut täte. Monetär wird das kaum möglich sein, ideell auf jeden Fall. Berlin kann froh sein, dass es diese Leute hat.

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