„Selbstporträt in Schwarz und Weiß“: Gegen Tribalismus jeder Couleur
Rassisten und einige Antirassisten reduzierten Menschen auf abstrakte Kategorien, schreibt der Autor Thomas Chatterton Williams in seinem Sachbuch.
Kann man verlernen, sich als Schwarzer zu denken? Diese Frage wirft der US-amerikanische Autor Thomas Chatterton Williams in seinem Buch „Selbstporträt in Schwarz und Weiß. Unlearning race“ auf. Williams will nichts Geringeres, als das Nachdenken in Kategorien von Schwarz und Weiß zu überwinden. Er bezeichnet sich als „Ex-Schwarzen“, was den Leser befremden mag. Kann man seine Hautfarbe ablegen? Nein, aber „schwarz“ ist eben keine neutrale Beschreibung von Hautfarbe. Schwarzsein ist eine konstruierte Identität.
Williams' Buch ist eine Mischung aus Memoir und analytischem Essay, der mit dem Vaterwerden einen persönlichen Ausgangspunkt nimmt. Williams schreibt aus der Perspektive eines Mannes, der in den USA als Schwarzer gilt, weil er der Sohn eines schwarzen Mannes ist, der aber in Europa zumeist für einen Araber gehalten wird. Als seine Tochter – blond, blauäugig – geboren wird, muss er seine Annahmen über das Schwarzsein revidieren.
Ist man schwarz, wenn niemand einen für schwarz hält, weil man nicht so aussieht? Und wenn ja, was heißt das dann für das Schwarzsein? Zur Zeit der Sklaverei hätte seine Tochter eindeutig als Schwarze gegolten, weil sie zu einem Viertel „schwarzes Blut“ in sich trägt. Aber warum soll er der rassistischen Logik von Blutlinien folgen?
Wir akzeptieren inzwischen, dass es Teil der Ausbildung einer Geschlechtsidentität ist, Gender zu „performen“ und durch die Erwartungen der Umwelt geformt zu werden. Wenn man bei race eine solche Konstruiertheit womöglich als widersinnig ansieht, geht man der rassistischen Ideologie auf den Leim, die race als „natürliche“ Kategorie ausgibt.
Thomas Chatterton Williams: „Selbstporträt in Schwarz und Weiß“. Aus dem Englischen von Dominik Fehrmann. Edition Tiamat, Berlin 2021. 184 Seiten, 24 Euro
Bei Williams beginnt der bewusste Prozess der Performance als Schwarzer im Teenageralter. Er eignet sich die Codes schwarzer Coolness und Männlichkeit an. Er trägt die richtige Kleidung, hört die richtige Musik. Aber schon in seiner Jugend tauchen Zweifel auf, weil er bemerkt, wie die Kategorie race unter anderem von Klassen- und Männlichkeitsvorstellungen überschrieben wird. Er wird für wohlhabend gehalten, weil seine Mutter eine fröhliche Weiße ist. Wenn die anderen Jungs ihn als „unmännlich“ aufziehen wollen, bezeichnen sie ihn als Weißen.
Für Williams wird die Unterscheidung von Weiß und Schwarz aus dem Rassismus geboren; so bleibt für ihn jedes Nachdenken über eine vermeintlich weiße oder schwarze Kultur in der „Zwangsjacke“ des Rassismus gefangen. Solange man aber in rassistischen Kategorien denkt, kann man nicht wahrhaft frei sein.
Aber nicht nur Weiße halten an diesen Kategorien fest. Das größte Problem des gegenwärtigen Diskurses über Rassismus sei die unbewusste Übernahme rassistischer Logiken auch durch Schwarze, schreibt Williams: „Auch wenn sie daraus entgegengesetzte Schlussfolgerungen ziehen, reduzieren beide – die Rassisten und jene Antirassisten – Menschen auf abstrakte Kategorien der Hautfarbe.“
Williams weiß, dass es für viele Schwarze ein Bedürfnis ist, sich einer schwarzen Community zugehörig zu fühlen und sich von Weißen abzugrenzen. Aber er kritisiert diesen „Tribalismus“, der einen essenziellen Unterschied zwischen Schwarzen und Weißen sehen will, Weiße als letztlich unreflektierte und vor allem unverbesserliche Nutznießer von Privilegien betrachtet. Wenn dem so wäre, gäbe es ohnehin keine Hoffnung auf eine Zukunft ohne Rassismus.
Was in den Augen einiger schwarzer Aktivisten eine Provokation sein mag – Williams unterstellt eine Bereitschaft, sich als Opfer zu betrachten, und weist es von sich, Teil eines Opferkollektivs zu sein –, ist für ihn Teil einer Weltsicht, die für ihn selbst nicht nur die Rolle des „bedauernswerten Statisten“ vorsieht. Nicht weniger hart kritisiert er weiße Freunde, die „ostentativ für ihr ‚Weißsein‘ um Entschuldigung bitten.“
Ein neues Vokabular finden
Williams ist sich bewusst, dass er selbst die Begriffe „schwarz“ und „weiß“ verwendet, also mit den bekannten Zuschreibungen arbeitet. Allerdings handelt es sich um einen Zwang, den die Sprache in Ermangelung anderer Begriffe auferlegt. „Besonnene und Wohlgesinnte aller politischer Couleur müssen ein neues Vokabular finden, das die abstrakte Kategorisierung nach race und einen reflexhaften Tribalismus zu überwinden hilft.“
Williams' Kritik ist von einem erfreulichen, auch überraschenden Optimismus getragen; er ist nicht naiv, er weiß, dass es Rassismus gibt, auch er ist davon betroffen. Und trotzdem setzt er auf die menschliche Lernfähigkeit. Wir haben Rassismus und das Denken in Schwarz und Weiß erlernt. Wir können es genauso gut verlernen.
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