Seenotrettung im Mittelmeer: Ein Schuss in der Nacht
Die libysche Küstenwache soll während eines Rettungseinsatzes der Sea-Watch 5 gefeuert haben, sagt die Crew. Ein Reporter der taz war dabei.

Der Vorfall auf dem Seenotrettungsschiff ereignete sich früh am Freitagmorgen. Crew und Schiffsführung sind sich einig: Ein Schuss wurde abgegeben. Verletzte gab es keine. Es werde dringend vermutet, dass das Schiff der libyschen Küstenwache angehöre, hieß es weiterhin.
Dabei war die Sea-Watch 5 gerade mitten in einer Rettungsaktion. Kurz vor drei Uhr morgens hatten die Alarmglocken an Bord geläutet: „Close contact rescue, this is not a drill“. Die Crew des Schiffs, welches von der deutschen NGO Sea-Watch e.V. betrieben wird, sprang aus ihren Betten und eilte auf ihre Positionen.
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Seawatch Bordtagebuch 4

Ein Boot wurde von der Brücke aus in nächster Nähe gesichtet. Zu dieser Zeit befand sich die Sea-Watch 5 in internationalen Gewässern. Diese sind aber gleichzeitig Teil der libyschen Search and Rescue Region (SRR), wo die libysche Küstenwache operiert, etwas mehr als 40 Seemeilen vor der libyschen Küste.
Erste Alarmstufe: Crew und Gerettete werden ins Innere des Schiffs gebracht
65 Männer und eine schwangere Frau gelangten mithilfe der beiden Rettungsboote lebendig an Bord. Die zwei vermummten Fahrer des Glasfaserbootes, welches mit starken Motoren ausgestattet gewesen sein soll, lehnten laut Angaben des Rettungsteams ab, mit auf das Mutterschiff zu kommen. Sie seien stattdessen zurück in Richtung Süden davongefahren. Der Zustand der Geretteten sei stabil, erklärte das medizinische Team.
Während dieser Rettungsaktion sei es laut der Crew zu dem Vorfall mit einem Schiff der libyschen Küstenwache gekommen. Während des Einsatzes habe sich die Brücke „in Funkkontakt mit einem Schiff befunden, das sich als libysche Küstenwache identifiziert“ habe, sagt Einsatzleiterin Eliora Henzler. Die Küstenwache habe der Sea-Watch 5 befohlen, nach Norden zu fahren. Man habe geantwortet, dass eine Rettungsaktion laufe und man danach abdrehen werde.
Der taz-Reporter sah, wie ein graues, etwa dreißig Meter langes Metallboot in nächster Nähe des Schiffs vorbeifuhr – ein Fahrzeug der Corrubia-Klasse, welches laut Sea-Watch häufig von der libyschen Küstenwache verwendet wird. Die Schiffsführung schätzte die Entfernung zwischenzeitlich auf weniger als fünfzig Meter und damit als „sehr unsicher“ ein – erste Alarmstufe. Sowohl Gerettete als auch die Crew wurden daraufhin ins Innere des Schiffes gebracht.
Kurz darauf, als das Schiff bereits auf Kurs Nord war, etwa um vier Uhr, vernimmt Bootsmann Bebawi den Schuss. Ein Notruf wird abgesetzt. „Ich habe nicht gehört, dass sie das Schiff getroffen hätten, und sie waren sehr nahe, also nehme ich an, dass sie in die Luft geschossen haben“, sagt er. Einen Vorfall wie diesen habe er während seiner siebenjährigen Arbeit in der Seenotrettung noch nicht erlebt. Ob es wirklich zu keinem Treffer kam, wird sich erst im Hafen herausfinden lassen.
Kurs auf Süditalien
Das graue Boot sei der Sea-Watch 5 weitere 20 Minuten gefolgt, sei dann aber abgedreht. Daraufhin wurde auch die Alarmbereitschaft wieder aufgehoben.
Die meisten der am Freitag Geretteten kommen laut eigenen Angaben aus Bangladesch, andere gaben an, aus Ägypten, Pakistan, Somalia oder Eritrea zu stammen. Ein Mann aus Bangladesch erklärte gegenüber der taz, ihr Ziel sei die italienische Insel Lampedusa gewesen. Nach weniger als der Hälfte des Weges dorthin sei jedoch Wasser ins Boot gelaufen. Es habe ihm bis zu den Knien gereicht. „Ich hatte große Angst, dass wir es nicht schaffen“, sagte er.
Die Sea-Watch 5 hält momentan Kurs auf Neapel in Süditalien. Der dortige Hafen wurde der Schiffsführung von der italienischen Küstenwache als sicher zugewiesen. Dort sollen die Geretteten an Land gehen. Die libysche Seenotrettungsleitstelle ließ eine taz-Anfrage zu den Vorfällen von Freitagmorgen bislang unbeantwortet. Erst Ende August war das von der Organisation SOS Méditerranée betriebene Seenotrettungsschiff Ocean Viking unter starken Beschuss durch die libysche Küstenwache geraten.
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