Sechs Hamburger Grüne flüchten zur SPD: Grüne Selbstzerstörung
Sechs grüne Abgeordnete aus Hamburg-Mitte wechseln zur SPD. Auslöser waren Islamismus-Vorwürfe. Internes Papier belegt: Landesvorstand ist längst zurück gerudert.
Das Pikante: Die Islamismus-Vorwürfe gegen den Abgeordneten Fatih Can Karismaz hat der grüne Landesvorstand längst fallen gelassen. Das geht aus einem internen Papier des Landesvorstands hervor. Darin heißt es: Der Beschuldigte „konnte die gegen ihn aufgekommenen Bedenken nachvollziehbar ausräumen“.
Meyrem Çelikkol, die zu den sechs Abtrünnigen gehört, erklärte dazu: „Dass diese schwerwiegenden, öffentlich gemachten Anschuldigungen haltlos waren, hat der Landesvorstand nie publiziert, geschweige denn sich bei Fatih dafür entschuldigt.“
Die sechs Kommunal-ParlamentarierInnen hatten ihren gleichzeitigen Austritt aus der grünen Partei am Dienstagabend auf den – postalischen – Weg gebracht. Damit kamen sie einem von den Hamburger Grünen angestrebten Parteiausschluss zuvor – nicht ohne noch einmal schwerwiegende Vorwürfe in Richtung des Landesvorstandes zu schicken. Dieser hätte mit seiner „rassistischen Vorverurteilung“ die grüne Fraktionsgemeinschaft in Mitte zerstört und damit „die eigene Partei schwer geschädigt“.
Beispiellose Selbstzerstörung
Der Parteiwechsel beendet nun vorläufig einen beispiellosen grünen Selbstzerstörungsprozess. Im Mai waren die Grünen aus den Hamburger Bezirkswahlen als strahlender Sieger hervorgegangen, eroberten vier der sieben Hamburger Bezirke von der SPD, darunter mit 29,3 Prozent auch überraschend den traditionell „roten“ Bezirk Mitte.
Doch die Freude währte nur kurz. Über das Abendblatt machte die Landeschefin Anna Gallina publik, dass die Parteispitze zwei der gewählten Abgeordneten, Shafi Sediqi und Fatih Kaismaz, wegen islamistischer Bestrebungen verdächtige.
Der Bericht war Ausgangspunkt einer massiven Presseberichterstattung über die beiden angeblichen Islamisten, die Sediqi nach eigenen Bekunden den Job kostete. Gleichzeitig wirkten Gallina und ihr Vorstands-Vize Martin Bill darauf hin, dass die beiden Beschuldigten erst einmal nicht in die Grünen-Fraktion in Mitte aufgenommen wurden. Vier gewählte grüne Abgeordnete solidarisierten sich mit den Ausgeschlossenen, gründeten mit ihnen die Fraktion „Grüne 2“. Der Landesvorstand wiederum antwortete mit einem Parteiausschlussverfahren gegen die sechs Abtrünnigen.
„Der Umgang innerhalb der Grünen mit uns war niederschmetternd“, sagt Meyrem Çelikkol. Die Gruppe habe einen „klaren Schlussstrich“ ziehen müssen und wirft vor allem dem grünen Landesvorstand vor, „Unwahrheiten verbreitet und mit Vorverurteilungen an die Medien gegangen zu sein“.
Neue Machtkonstellation
Mit dem Parteiwechsel der sechs Abgeordneten ändert sich nun auch die Machtkonstellation im Bezirk. Mit ihrem Beitritt hätte die SPD 20 Abgeordnete und zusammen mit der CDU eine hauchdünne Mehrheit mit 26 von 51 Sitzen.
Die Christdemokraten beschlossen noch am Dienstagabend, Koalitionsverhandlungen mit der SPD aufzunehmen. Für den grünen Kreisvorsitzenden in Mitte, Farid Müller, würde eine solche Koalition an „Wahlbetrug“ grenzen. Müller „verurteilt“ nicht nur den avisierten Parteiwechsel seiner ehemaligen Parteifreunde, sondern auch eine Große Koalition, die „den Wählerwillen“ nicht „widerspiegeln“ würde. Müller, aufgrund der Krise gerade erst zum Kreischef gewählt, hatte ein rot-grünes Minderheitsbündnis für den Bezirk ins Gespräch gebracht.
„Leider hat Müller das bislang nur über die Medien und nicht mir direkt kommuniziert“, geht der mächtige SPD-Kreischef Johannes Kahrs auf Distanz zu seinem Amtskollegen. Er selbst wünsche „eine stabile Verbindung“ mit parlamentarischer Mehrheit, da sei das Müller’sche Minderheitsmodell „nicht so toll“.
Kommenden Mittwoch will die SPD entscheiden, ob sie die sechs Ex-Grünen aufnimmt und mit der CDU Koalitionsgespräche führt. Den Grünen in Mitte wirft Kahrs in ihrem internen Konflikt „ein Kollektivversagen, ein Aufwerfen schwerster Vorwürfe, ohne sie belegen zu können“ vor.
Es sei „mindestens verantwortungslos, wie man zwei Menschen als Islamisten und Radikale in der Öffentlichkeit bloßstellen kann und nichts bewiesen wird“, sagte Kahrs. Die grüne Spitzenkandidatin Katharina Fegebank müsse sich zu den Vorfällen endlich „erklären“, da die Landesvorsitzende Anna Gallina „eher Teil des Problems, als teil der Lösung“ sei.
Gallina selbst bedauerte am Mittwoch nur, „dass es so weit gekommen ist“, während sich ihr Kollege Bill darüber freute, dass die sechs Abgeordneten, endlich der „Aufforderung des Grünen-Landesvorstands“ nachkämen, „die Partei zu verlassen.“
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