piwik no script img

Schwierige Regierungsbildung in SpanienJetzt kommt Sánchez an die Reihe

Der konservative Alberto Nuñez Feijóo verfehlt erneut die nötige Mehrheit, jetzt bekommt der amtierende Sozialist Pedro Sánchez wohl seine Chance.

Freude bei Spaniens amtierendem Ministerpräsidenten Sánchez über Feijóos Scheitern Foto: Bernat Armangue/ap

Madrid taz | Auch 48 Stunden nach der ersten Abstimmung konnte der Vorsitzende der konservativen Partido Popular (PP) keine Mehrheit im spanischen Parlament erzielen. Erneut stimmten 177 Abgeordnete gegen Alberto Nuñez Feijóo als Regierungschef und nur 172 für ihn – neben seiner PP, die rechtsextreme VOX sowie zwei Abgeordnete regionaler rechten Formationen.

Anders als am vergangenen Mittwoch hätten diesmal die einfache Mehrheit der Stimmen – also mehr Ja- als Nein-Stimmen – gereicht. Doch Feijóo hatte keine zusätzliche Unterstützung mobilisieren können, da niemand zusammen mit VOX stimmen wollte. Eine Stimme war ungültig.

Spaniens König Felipe VI wird jetzt erneut alle Fraktionschefs zu sich laden, um dann zu entscheiden, ob er einen anderen Politiker mit der Regierungsbildung beauftragt. Dieser hat dann bis zum 27. November Zeit, eine Regierungsmehrheit zu schmieden. Gelingt das nicht, wird am 14. Januar erneut gewählt.

Es ist zu erwarten, dass der Monarch den bisherigen sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez bittet, sein Glück zu versuchen. Dieser hat bereits angekündigt, in der Lage zu sein, eine Mehrheit hinter seiner Linkskoalition aus seiner sozialistischen PSOE und der linksalternativen Sumar versammeln zu vereinen. Dazu bräuchte er all diejenigen, die gegen Feijóo stimmten, das sind vor allem nationalistische Parteien aus dem Baskenland und Katalonien.

Sánchez braucht Deal mit Unabhängigkeitsparteien

Leicht wird es nicht. Denn die Parteien aus Katalonien verlangen einen hohen Preis. Sie wollen zum einen eine Amnestie für über 1700 AktivistInnen, die das von Madrid verbotenen Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober 2017 ermöglichten.

Es handelt sich vor allem um LehrerInnen, DirektorInnen und Eltern an Schulen, die als Wahllokal öffneten. Aber auch im Exil lebende ehemalige Mitglieder der katalanischen Regierung, unter ihnen der einstige Präsident Carles Puigdemont, gehören dazu.

Ausserdem wollen die beiden Unabhängigkeitsparteien aus Katalonien, die in Barcelona regierende Republikanische Linke (ERC) und die Partei von Puigdemont, Gemeinsam für Katalonien (JxCat) einen Dialog eintreten, der in einem Referendum in beiderseitigem Einvernehmen endet.

ERC und JxCat einigten sich auf eine gemeinsame Verhandlungsstrategie. Konkret verlangen sie von einer künftigen Sánchez-Regierung, „sich dafür einsetzt, Bedingungen für die Durchführung des Referendums über die Selbstbestimmung zu schaffen“, ohne dass dies impliziert, dass es während der nächsten Amtszeit des PSOE-Führers durchgeführt werden muss.

„Die Amnestie ist der Beginn einer Verhandlung“, mahnte die ERC-Sprecherin Teresa Jorda vor der Abstimmung im Parlament.

Sozialisten sind in der Zwickmühle

Wie die Verhandlungen enden, ist bisher völlig offen. Denn die Sozialisten haben immer wieder erklärt, nichts „ausserhalb der Verfassung“ akzeptieren zu wollen. Und diese sieht in ihrer jetzigen Form keine Unabhängigkeitsreferenden für Nationen wie die Basken oder Katalanen vor.

Feijóo hofft darauf, dass die Verhandlungen scheitern und er dann in erneuten Wahlen eine zweite Chance bekommt. „Ich werde euch keine Regierung geben können, aber ich werde euch Sicherheit und Hoffnung geben können, erst aus der Opposition und eher früher als später in der Regierung, im Dienste des Volkes“, erklärte er in der Rede vor seiner zweiten Parlamentsniederlage.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • amnestie waere ja nun das mindeste. wer noch die bilder im kopf hat, wie frauen an den haaren von polizisten in voller kampfmontur die treppe einer schule heruntergezerrt wurden, der fragt sich, was die rechte in spanien eigneltich fuer einen rechtsstaat hier staendig hochhalten will. das hat mit demokratie so rein gar nichts zu tun, wie immer geheuchelt wird, sondern eher was mit den nachwehen einer faschistichen diktatur. das sollte eigentlich auch jedem buerger spaniens klar sein.

  • Ein "Referendum in beiderseitigem Einvernehmen" wäre vorbildlich.



    Ein deutliches Statement , wie mit politischen Konflikten weltweit zu verfahren wäre.



    Ein Zeichen für eine bessere Welt, egal wie sich die Bevölkerung in den beiden Regionen letztendlich entscheiden würde.



    Eine "Zwangsehe" unterschiedlicher Nationen funktioniert in der Regel nicht, wie wir immer wieder sehen können, und passt auch nicht zu den demokratischen Grundwerten der EU.

    • @Priest:

      Die Verfassung von Spanien sieht aber vor das in ganz Spanien so ein Referendum abgehalten werden muß. Und ein solches gab es schon, und es wurde abgelehnt. Und Pedro Sánchez möchte nicht verfassungwidriges machen. Was ja in Ordnung geht. Und weil das spanische Verfassungsgericht das Begehren wieder kippen würde. Das sind demokratische Grundwerte.

      Und in Deutschland wäre es überhaupt nicht möglich das sich Zb. Bayern als autonome Replubik verabschiedet.

      • @Martin Sauer:

        "Und ein solches gab es schon, und es wurde abgelehnt."



        Was meinen Sie genau mit diesem Satz?

        Wenn der Wunsch in Bayern nach einem eigenen Staat so groß wäre wie in Katalonien, würde die Bundesrepublik politische Verhandlungen aufnehmen, und bei Bedarf die Verfassung nach ein paar Jahren Verhandlung mit Sicherheit den Gegebenheiten anpassen.

        Gerade die undemokratische Reaktion des spanischen Zentralstaats auf jahrelange Forderungen nach einem ausgehandeltem Referendum (event. auch in ganz Spanien, mit der Möglichkeit, das Ergebnis in Katalonien sichtbar zu machen), also zuerst ein Ignorieren des Problems, eine gewalttätige Intervention am Tag des Referendums - welche die EU erschütterte und die Welt überraschte - eine Absetzung und Inhaftierung einer demokratisch gewählten Regierung, eine Verurteilung zu irrationalen Haftstrafen, die Kriminalisierung der gesamten Bewegung der Befürworter der Unabhängigkeit und die daraus abgeleitete maßlose ilegale Bespitzelung mittels Pegasus ("Catalan Gate") machen aus der Bevölkerungsgruppe von Millionen Menschen eine objektiv identifizierbare diskriminierte Minderheit, welche sich gerade auch deshalb internacionale Rechte wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker erworben hat.



        Die EU kann das Problem zwar weiterhin ignorieren, macht sich aber dadurch unglaubwürdig und an Verletzungen demokratischer Grundwerte mitschuldig.

      • @Martin Sauer:

        Wobei das spanische Verfassungsgericht des öfteren irregulär zusammengesetzt ist.



        Manchmal werden neue Richter nicht rechtzeitig gewählt (über Jahre hinweg), und die alten bleiben einfach im Amt.



        Mit einem solchen Vorstand könnte kein Karnickelzüchterverein in Deutschland ein gültiges Rechtsgeschäft abschliessen.

        • @Carsten S.:

          Absolut Ihrer Meinung.

          Übrigens wird die Zukunft Nordirlands nach langwierigen Verhandlungen und nach am Ende vorbildlicher Einigung von der Bevölkerung in Nordirland entschieden werden.



          Wenn also irgendwann der Wunsch nach einer Vereinigung mit der Republik Irland dort überwiegt, wird sie kommen.



          Und die Bürger:innen Nordirlands dürfen ihre zukünftige Staatsbürgerschaft, sogar die doppelte, frei wählen. Vorbildlich!

    • @Priest:

      Ja, die Zwangsehe klappt nicht, aber ist denn die Aufspaltung in immer kleinere Länder die Lösung?



      Ich denke nicht!

      Die Lösung könnte ein vermehrter Fokus auf Europa sein, den in den 90ern begonnenen Weg hin zu einer Art Vereinigten Staaten von Europa zu gehen, so illusorisch das aktuell scheinen mag.

      Jenseits der jeweils in den einzelnen Nationen bestehenden Herrschaftsformen sind wir eigentlich auch gar nicht so weit davon entfernt, siehe Schengen, siehe europäische Gesetzesnormen, die viel Dinge des Alltags gleichartig regeln.

      In einem offenen Europa ist es egal, ob ich mich in D oder AT oder IT befinde - ich befinde mich in der deutschsprachigen alpenländischen Region. Oder in der baskischen Region, oder in der flämischen Sprachregion.



      Genauso, wie die europäische Einigung auch die Basis für Frieden in Irland und Nordirland geschaffen hat, liegt die Lösung in der über-nationalen Ordnung.

      Wohin Referenden führen, zeigt genau Nordirland mit dem Brexit.

      Von daher ist die spanische Linke in meinen Augen gut beraten, nicht das nationalistische Spiel der Separatisten mitzuspielen. Lieber sollte weiter auf europäischer Ebene die Integration der Regionen gefördert werden.

      • @Ringsle:

        Ohne "über-nationale Ordnung" würde ich den Menschen in Katalonien genauso wenig Chancen auf die Unabhängigkeit einräumen wie z.B. Biafra oder Hongkong.



        Da Spanien aber in der EU ist, die spanische Justiz der europäischen Justiz untergeordnet ist, sehe ich mittelfristig große Chancen für weitere Staaten in Europa, wenn dies die Achtung demokratischer Grundwerte und elementarer Menschenrechte nötig machen.

        Wären die Menschen in Tschechien und der Slowakei heute wirklich glücklicher oder wohlhabender in einem gemeinsamen Staat?



        Dann wäre eine Wiedervereinigung wohl ein Bedürfnis eines Großteils dieser Menschen und auch kein Ding der Unmöglichkeit.

        • @Priest:

          "Wären die Menschen in Tschechien und der Slowakei heute wirklich glücklicher oder wohlhabender in einem gemeinsamen Staat?'

          andersrum gefragt: wären sie denn unglücklicher?

          Bei Spanien kommt noch hinzu: der Wunsch der Katalanen nach Unabhängigkeit ist stark wirtschaftlich motiviert. Nicht vergessen werden sollte auch, dass ein sehr großer Teil der Bevölkerung Kataloniens gar kein catalan spricht; wenn Katalonien ein eigener Staat würde - wer ist dann eigentlich Staatsangehöriger?



          Und dann gibt es noch die Basken, Galicien, Asturien, etc. pp - Jugoslawien lässt grüßen (bewusst überspitzt...)

          • @Ringsle:

            "Wenn sie unglücklicher wären", gäbe es wohl wichtige Parteien, welche eine Wiedervereinigung anstreben würden.

            "Der Wunsch der Katalanen nach Unabhängigkeit ist stark wirtschaftlich motiviert."



            Das halte ich für unionistische Propaganda.



            Die Kluft zwischen Menschen in Katalonien und dem restlichen Spanien ist durch die Verfolgung (Pegasus) und Kriminalisierung (Haftstrafen für Aktivisten) der Unabhängigkeitsbewegung größer als je zuvor.

            Seit vielen Jahren sprechen sich drei Viertel der Menschen in Katalonien für ein klärendes, verbindliches Referendum aus, da eine demokratische Lösung dieses politischen Problems angestrebt wird.

            Gerade um einen Krieg wie in Jugoslawien oder Terrorismus wie damals im Baskenland (ETA, GAL) zu verhindern, brauchen wir vor allem in der EU Diplomatie und Politik, und die Einhaltung elementarer Menschenrechte.

            Sprache und Staatsbürgerschaft spielen meiner Meinung nach keine größere Rolle.



            Die jungen Generationen, auch Immigranten, lernen in der Schule sowieso Katalanisch, neben Spanisch und Englisch.



            Eine doppelte Staatsbürgerschaft, wie sie in Nordirland bei einer Wiedervereinigung der Insel vorgesehen ist, halte ich auch in Katalonien zumindest als Übergangsregelung für gut möglich.