Schweiz stimmt für 13. Rente: Volksabstimmung von links
Erstmals setzt sich eine linke wirtschaftspolitische Initiative durch. Ein möglicher Grund: Auch die Eidgenossenschaft blieb von Inflation nicht verschont.
Mit etwa 58 Prozent hat die Stimmbevölkerung am Sonntag die Einführung einer 13. Monatsrente durch die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) – die staatliche Vorsorge des Rentensystems – angenommen. Gegen die Empfehlung von Bundesrat und Parlament folgen die Stimmbürger:innen damit dem Vorschlag der Gewerkschaften und Linken, die AHV-Jahresrenten um 8,3 Prozent zu erhöhen.
Gleichzeitig erteilen sie der Renteninitiative der Partei der Liberalen Jungfreisinnigen, die eine Erhöhung des Rentenalters forderten, mit fast 75 Prozent Nein-Stimmen eine deutliche Absage.
Ein Ja zu einer linken Initiative, die den Sozialstaat ausbaut und die AHV mit ihrem Umverteilungsmechanismus stärkt, überrascht. Denn selbst das moderateste linke Anliegen wird in der Schweiz schnell als wirtschaftsfeindlicher Sozialismus verschrien. Jahrzehntelang scheiterten Initiativen von links – sei es die Einführung eines Mindestlohnes, einer Erbschaftssteuer oder einer öffentlichen Krankenkasse, oder der Ausbau staatlicher Leistungen.
Viele Schweizer:innen spüren die Teuerung
Doch seit Corona, den gestiegenen Krankenkassenprämien und Mieten und den milliardenschweren Staatskrediten für die Übernahme der Großbank Credit Suisse durch die Bank UBS scheint sich etwas zu ändern. 20 Prozent der älteren Menschen in der Schweiz sind von Altersarmut bedroht oder gefährdet – vor allem Frauen, Personen ohne Schweizer Pass und ohne hohen Bildungsabschluss. Für viele von ihnen bedeutet die zusätzliche Rente eine Entlastung.
Auch am Abstimmungssonntag scheinen bürgerliche Politiker:innen das aber nicht wahrhaben zu wollen und beklagen stattdessen die Individualisierung der Gesellschaft, die zum Ja geführt habe. Politolog:innen sehen das differenzierter und sprechen von einem Protestmoment: Viele Menschen spüren die Teuerung, stören sich gleichzeitig an der Ausgabenpolitik des Bundesrates.
Diesen Unmut in der Bevölkerung anzusprechen und ihm Ausdruck zu verleihen, macht die Initiative erfolgreich: Beinahe 60 Prozent der Stimmbevölkerung traten an die Urnen. Vor allem ältere Menschen haben laut Umfragen für die 13. AHV gestimmt, jüngere eher dagegen. Auch viele Wähler:innen der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) sprachen sich laut letzten Umfragen dafür aus, obschon die Partei sich einem Nein verschrieb.
Die SVP setzte am Sonntag dann gleich zu Erklärungsversuchen an: Das Votum sei ein Signal an den Bundesrat, der zu viel Geld für die Ukraine und im Asylwesen ausgebe. Diesen Populismus von rechtsaußen kennt man in der Schweiz. Doch man könnte daraus ableiten: In Volksinitiativen schafft es die Linke offenbar, jene Arbeiter:innen zu gewinnen, die sie in der Vergangenheit an die SVP verlor.
Nächste Initiative: Entlastung bei Krankenkassenprämien
Ob der Ausbau der staatlichen Rente ein einmaliger historischer Ausreißer bleibt oder den Startschuss für eine sozialpolitische Richtungsänderung einläutet, könnte die Prämienentlastungs-Initiative im Juni 2024 zeigen. Damit sollen die hohen Krankenkassenprämien – Ende 2023 laut Umfragen das größte Sorgenthema in der Bevölkerung – gedeckelt werden. Sollte es auch dann zu einem Ja kommen, wird man sich an gewerkschaftliche Freudentränen gewöhnen dürfen.
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