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Schwarz-RotDie nervöse Mitte – fragiles Modell gegen rechts

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Ein unbeliebter Kanzler, ein unklarer Koali­tionsvertrag, Krach über die AfD. Vielleicht steht die neue Regierung nicht auf Beton, sondern auf Papier.

Die Wohlfühlmitte gegen Rechts scheint die höheren Ränge der Politik zu verunsichern Foto: Moritz Frankenberg/dpa

S chwarz-Rot will ein Gegenmodell zum Rechtspopulismus sein. Das ist Rai­son d’Être dieser Regierung. Die rechte Proteststimmung soll mit erprobten politischen Tugenden eingehegt werden: Mitte und Maß, Kompromisse und Stabilität – plus in der Flüchtlingspolitik ganz viel Anpassung an rechte Antimigrationsstimmung. Das hat rohe, bösartige Züge, wie die bodenlose Kritik der Union an der lange vereinbarten Aufnahme afghanischer Flüchtlinge zeigt. Aber es ist kein Bruch mit dem bundesdeutschen Konsensmodell. Schon in den frühen 90er Jahren einigten sich SPD und Union auf den Asylkompromiss, um fremde Habenichtse abzuschrecken.

Schwarz-Rot verkörpert, in Schwundstufe, die bundesdeutsche Kompromisskultur. Der Koali­tions­vertrag steht in der Tradition des moderaten Ausgleichs der Interessen – hier harte Abschreckung von Flüchtlingen, dort Milliarden für Investitionen und keine Rentenkürzung. Nach dem Dauerzoff in der Ampel erscheint lautloses Regieren als ein Mittel, um die wütende Wählerschaft zu beruhigen.

Markus Söder hat Schwarz-Rot sogar zur „letzten Patrone der Demokratie“ erklärt. Daran verstört nicht nur die kokette Apokalyptik. Man nimmt verblüfft zur Kenntnis, dass es sich bei unserer Demokratie um eine nachladbare Waffe handelt. Richtig aber ist: Die Mitte war in der Bundesrepublik immer der magische Ort, der Sicherheit versprach. Funktioniert das noch?

Der schwarz-rote Start weckt Zweifel. Kaum war der Koalitionsvertrag besiegelt, begann der Streit, worauf man sich bei Steuersenkungen, Mütterrente, Mindestlohn eigentlich geeinigt hatte. Dies erinnert ungut an den Ampelstreit. Es ist auch kein bloß handwerklicher Defekt, sondern ein Zeichen, wie weit SPD und Union, die gebannt auf die AfD-Umfragezahlen starrt, auseinanderliegen. Schwarz-Rot bräuchte etwas von der langweiligen, sachlichen, beruhigenden Art, mit der Angela Merkel Probleme pragmatisch im Hintergrund klein zu raspeln verstand. Das fehlt bis jetzt.

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Jens Spahn: gewissenlos und begabt

Zweitens: Kanzler starten immer mit einem Vertrauensbonus. Man mag ja Sieger. Doch Merz’ Beliebtheitswerte neigen sich Richtung Keller, seit klar ist, dass er Kanzler wird. Denn der Kanzler in spe steht im langen Schatten des Oppositionspolitikers Merz, der mit haltlosen Versprechungen zu Migration und Schulden hantierte. Merz hat einen Kanzlermalus. Zudem pfeift die AfD der Union deren Wahlkampfslogans vor.

Beides macht die Union sehr nervös. Jens Spahn, gewissenlos und begabt wie kein Zweiter in der Union, entfesselt eine Debatte, ob man die AfD im Bundestag als normale Partei behandeln soll. Damit hat er ein Signal gesendet: Die Union hätte Alternativen, wenn Schwarz-Rot scheitert.

Ein unbeliebter Kanzler, ein unklarer Koali­tionsvertrag, Krach über die AfD. Vielleicht verfliegen diese Irritationen, wenn Schwarz-Rot regiert. Aber es können auch Vorzeichen sein, dass diese Mitteregierung nicht stabil und stark wird, sondern nervös, labil und verunsichert. Dass sie nicht auf Beton steht, sondern auf Papier.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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