Schutz vor Corona für Geflüchtete: Zu sechst ein Zimmer, keine Seife
Räumliche Distanz ist in der Coronakrise das Gebot. In Sammelunterkünften für Geflüchtete ist sie unmöglich. Einige Heime stehen unter Quarantäne.
G erade kann ich nicht sprechen, ich stehe in der Schlange zum Fiebermessen“, sagt Marllow Kurdi am Telefon. Nach zwanzig Minuten ist seine Temperatur geprüft und er hat Zeit zum Reden. „Am Freitagmorgen kam viel Polizei und hat Zäune rund um die Gebäude aufgestellt“, sagt Kurdi, der eigentlich anders heißt. „Danach haben sie Durchsagen in verschiedenen Sprachen gemacht, in Kurdisch, Arabisch, Farsi oder Englisch.“ Der Inhalt war immer derselbe: Die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Sachsen-Anhalt (ZASt) in Halberstadt, in der Kurdi lebt, steht für 14 Tage unter Quarantäne. Die 839 Bewohner:innen dürfen das Gelände nicht verlassen. Kurz zuvor war ein Bewohner der Unterkunft nach Halle verlegt – und dort positiv auf das Coronavirus getestet worden, ebenso wie drei Kontaktpersonen des Mannes. Sie wurden in eine neue Isolierstation mit 80 Plätzen in Quedlinburg gebracht.
Die ZASt befindet sich auf einem alten NVA-Gelände. In drei orange-grauen Plattenbauten leben bis zu 360 Menschen. Die Hauptgebäude sind nun voneinander getrennt. Personal der Unterkunft und Polizei bewachen die Abzäunung. Der Sportplatz ist geschlossen, ebenso alle Aufenthaltsbereiche, in denen ein Mindestabstand von 1,5 Metern nicht möglich ist. Die Mitarbeitenden seien mit persönlicher Schutzausrüstung ausgestattet, erklärt die Verwaltung.
Die Flüchtlinge nicht. Räumliche Distanz ist die wirksamste Maßnahme für den Infektionsschutz. Doch genau das ist in Asylbewerberheimen nicht möglich. In der ZASt in Halberstadt etwa teilen sich bis zu sechs Personen ein Zimmer, sie waschen sich in Gemeinschaftsbädern. Die Kantine ist nun geschlossen, das Essen wird einzeln abgepackt verteilt. „Das ist sehr hygienisch“, sagt Kurdi. „Aber wir stehen mit vielen Leuten zusammen Schlange bei der Essensausgabe oder beim Fiebermessen.“ Bäder und Flure würden öfter desinfiziert als sonst. „Unsere Zimmer aber nicht, und wir haben keine Handschuhe, Masken oder Desinfektionsmittel. Wenn jemand hier krank wird, dann könnte das eine Katastrophe geben.“
Laut Statistischem Bundesamt wohnten 2018 rund 215.000 Geflüchtete in deutschen Sammelunterkünften. Diese unterscheiden sich regional stark, überall aber leben viele Menschen auf sehr engem Raum. Die einzige Gruppe, die ähnlich kaserniert ist, sind Bundeswehrsoldaten. Für diese hat das Verteidigungsministerium schon früh „besondere Maßnahmen zum Schutz vor einer Ausbreitung von Covid 19“ angeordnet. Für die kasernierten Flüchtlinge gibt es keine einheitlichen Regeln. Oft sogar gar keine. Doch wird ein Covid 19-Fall entdeckt, heißt es automatisch für Hunderte andere Bewohner: Zwei Wochen lang kein Ausgang, kein Einkauf – und Ansteckungsgefahr.
Europäische UnionDie geschlossenen Binnengrenzen bedeuteten auch einen Abschiebestopp innerhalb der EU: Am 23. März stoppte das Innenministerium die Rückführung in andere Schengen-Staaten.
International
Einen generellen Abschiebestopp gibt es nicht. Faktisch kann aber kaum noch abgeschoben werden. Die Fluglinien haben ihren Betrieb extrem heruntergefahren, viele Flughäfen weltweit sind geschlossen und könnten entsprechend auch nicht mit Charterabschiebungen angeflogen werden. Hinzu kommt: Fast überall auf der Welt gelten Menschen aus Deutschland als potentiell Corona-Infiziert – und müssten in Quarantäne. Bundespolizei und Auswärtiges Amt haben eine Liste erstellt. In 89 Ländern der Welt ist demnach aktuell eine Abschiebung überhaupt nicht möglich, in weiteren 64 nur eingeschränkt, etwa weil BegleitpolizistInnen bei Einreise in Quarantäne kämen. (cja)
Man sei „bemüht“, diese Ausnahmesituation „so erträglich wie möglich zu gestalten“, heißt es beim Landesverwaltungsamt am Montag. Für Kinder seien zusätzliche Spielzeuge zur Verfügung gestellt worden. Da die Bewohner:innen derzeit nicht selbst einkaufen gehen könnten, gebe es eine „gezielte Versorgung“, etwa mit Hygieneartikeln und Lebensmitteln. Besondere Bedarfe würden „so weit möglich befriedigt“. Insgesamt sei die Stimmung in der ZASt bisher „relativ ruhig“. Am Mittwoch dann die Nachricht, dass ein Bewohner aus dem Fenster sechs Meter in die Tiefe stürzte und sich schwer verletzte. Ein Fremdverschulden ist wohl auszuschließen, er soll aber vorher einen Streit mit seiner Ehefrau gehabt haben. Der Flüchtlingsrat berichtet von einer „angespannten Stimmung“ in der Unterkunft. Ob der Streit oder gar der Sturz etwas damit zu tun haben, ist unklar.
Doch das Leben im Lager ist auch ohne Corona durch Monotonie geprägt. Kommen Ausgangssperren oder Quarantäne hinzu, schnurrt der Alltag noch viel enger zusammen als bei Menschen, die eigene Wohnungen und Arbeit haben. Auch wo keine Fälle registriert sind, hat die Epidemie das Leben verändert.
„AUSGANGSSPERRE. Die Strafe ist 2 Jahre oder 25.000 Euro.“ Das etwa steht auf Aushängen, die das Landratsamt von Landsberg am Lech in den Flüchtlingsunterkünften des Landkreises hat aufhängen lassen. Genau wie alle andern Bayer:innen dürfen sie nicht hinaus. Zwar herrscht in Bayern keine Ausgangssperre, sondern eine Ausgangsbeschränkung, und die angedrohten Strafen sind theoretische Höchststrafen. Aber der Effekt des Aushangs auf die Flüchtlinge ist klar: Verunsicherung, Angst.
„Das Bemühen der Behörden, die Flüchtlinge zu informieren, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt“, sagt Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Die Arbeit läuft derzeit fast nur noch über Telefon, E-Mail und WhatsApp, ganz hat er aber noch nicht auf Homeoffice umgestellt. Gerade sitzt er in seinem Büro in der Münchner Innenstadt.
Grundsätzlich gelten für Flüchtlinge dieselben Regeln wie für alle anderen in Bayern auch: Abstand halten, nicht ohne triftigen Grund die Unterkunft verlassen. Einkaufen, zum Arzt gehen, sich draußen bewegen ist erlaubt – nur eben allein oder mit Menschen aus ihrem Haushalt. In diesem Fall ist das aber die gesamte Unterkunft. Und gibt es da einen Infektionsfall, stehen gleich alle Heimbewohner:innen unter Quarantäne.
So wie auch im bayerischen Landshut. Hier hat es am 27. März die Gemeinschaftsunterkunft in der Porschestraße getroffen. Hier, im Norden der niederbayerischen Hauptstadt, leben rund 150 Menschen, darunter der 29-jährige Nigerianer Justice Aikhu. Fernsehen, schlafen und mit Freunden telefonieren sind seine einzigen Beschäftigungen. Gut, er könnte einen „Spaziergang“ machen – einmal den Korridor entlang, in die Küche oder runter zum Eingang. Wenn man sich dort mit seinem Mobiltelefon nahe genug beim Büro der Heimleitung platziert, kann man sich sogar ins WLAN des Hauses einloggen.
Aber Justice Aikhu bleibt lieber mit seiner Familie im Zimmer. Vor drei Jahren ist er mit seiner Frau Maris nach Deutschland geflüchtet. Jetzt haben sie Angst vor Ansteckung, vor allem wegen ihrer Kinder. Michael ist zwei Jahre alt, Ella vier Monate. Die Familie versucht, wo immer möglich, den Kontakt zu Mitbewohner:innen zu vermeiden. In die Gemeinschaftsküche gehen sie nur noch ganz früh am Morgen oder sehr spät abends, wenn dort kaum jemand ist.
Justice Aikhu aus Landsberg
Angefangen hat das Ganze vor zwei Wochen, als sich ein junger Mann im zweiten Stock unwohl fühlte. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Sie haben ihn abgeholt, ins Krankenhaus gebracht. Noch am selben Abend wurde das ganze Haus unter Quarantäne gestellt. Zweimal sei in den darauffolgenden Tagen ein Pulk von Ärzt:innen in das Heim gekommen, hätte einige der Bewohner getestet. Nach welchen Kriterien, ist Justice Aikhu schleierhaft. Er wollte, dass er und seine Familie getestet werden, aber das wurde abgelehnt. Warum, verriet ihm niemand. Dabei seien noch etliche Menschen im Haus positiv getestet worden, darunter die Familie im Nachbarzimmer. Sie wurden mit einem Bus abgeholt.
Geflüchtete haben in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts – oder wenn sie nur geduldet sind – nur eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsleistungen. Was das genau bedeutet, ist seit vielen Jahren rechtlich umstritten. Die Kosten für einen Corona-Test aber würden übernommen, wenn dieser zur „Behandlung erforderlich“ oder „zur Verhütung von Krankheit medizinisch geboten“ sei, heißt es im Bundessozialministerium. Auch die stationäre Behandlung einer Covid-19-Erkrankung werde bezahlt.
Ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums sagte der taz, man nehme die Situation sehr ernst, auch, um Vorwürfen entgegenzutreten, die Unterkünfte seien „Orte der Seuche“. Wie in den anderen Bundesländern werde jeder Neuankömmling für 14 Tage separiert untergebracht. Zusätzlich werde, anders in einigen anderen Ländern, seit dem 27. Februar jeder getestet, der seit dem 30. Januar ankam. 2.000 Tests seien seither in Bayern durchgeführt worden. „Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, hier sei der Weg, wie das Virus eingeschleppt wird. Da läuft nichts Unkontrolliertes an uns vorbei“, so der Sprecher.
Auch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein testen jeden neu ankommenden Schutzsuchenden. Schleswig-Holstein bringt bestätigte Fälle in einem eigenen Quarantänehaus unter. Die meisten Fälle nach Bayern bestätigt Mecklenburg-Vorpommern, dort sind es 27. Erkrankte Personen mit milder Symptomatik werden in einer Ausweichunterkunft untergebracht. Bei akuten Fällen erfolge eine stationäre Behandlung. In Berlin haben sich 16 von 94 Verdachtsfällen bestätigt. Auch in der Hauptstadt werden Neuankömmlinge grundsätzlich zwei Wochen lang separiert. Am Dienstagnachmittag waren insgesamt 106 Infektionen in zwölf Bundesländern bestätigt. 37 davon in Bayern.
„Das größte Problem“, sagt Justice Aikhu aus Landshut, „sind die Toiletten.“ Über 20 Menschen teilen sich auf seinem Stockwerk eine. Es gebe keine Seife, kein Desinfektionsmittel.“ Er glaubt, dass noch mehr Leute dieses Virus bekommen. Vielleicht habe er es ja auch schon. „Wie kann ich das wissen?“ Die Unsicherheit macht alles noch schlimmer. „Die Leute fragen sich: Wann werden wir frei sein? Das habe ich auch unseren Unterkunftsleiter gefragt. Er sagte, er weiß es nicht. Er warte auf Informationen von der Regierung.“ Nächste Woche hätte ein Integrationskurs beginnen sollen, an dem Aikhu teilnehmen wollte.
Fehlende Seife, fehlendes WLAN – die Probleme, von denen Justice Aikhu berichtet, sind nicht die Regel, aber auch keine Seltenheit in bayerischen Flüchtlingsheimen, sagt Stephan Dünnwald vom Flüchtlingsrat. Es gebe aber auch Positivbeispiele: In einer Unterkunft in Kelheim etwa habe eine über 70-jährige Frau mit Vorerkrankung sofort ein Einzelzimmer mit eigener Toilette bekommen.
Viele Flüchtlingsräte schlagen vor, Flüchtlinge in kleineren Gruppen in Hotels und Pensionen unterzubringen. „Auf diese Weise könnte man auch gleich etwas für bayerische Hotelbetriebe tun. Und man könnte an manchen Orten die Belegungsdichte halbieren,“ sagt Dünnwald.
Denn das Infektionsrisiko zu drücken ist in den bestehenden Unterkünften nicht einfach. Bernhard Rieger ist als Betreuer zuständig für drei Flüchtlingsunterkünfte im Landkreis Dachau. In der größten davon, einem Containerbau, leben 50 Menschen. Früher waren sie hier zu sechst auf einem Zimmer untergebracht, jetzt meist zu dritt oder viert. Weniger sei nicht möglich, sagt Rieger, weil er keine freien Zimmer mehr habe.
Von Problemen wie fehlender Seife oder mangelhafter Kommunikation habe er auch schon gehört, sagt Rieger, der sich auch ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagiert. Aber immer nur über fünf Ecken. „In den Unterkünften, für die ich sprechen kann, habe ich schon den Eindruck, dass die Flüchtlinge gut informiert werden. Da läuft auch viel über ehrenamtliche Helfer. Die sind über WhatsApp oft schneller, als ich Aushänge an die Tür hängen kann.“ Auch von einem „Lagerkoller“ der Flüchtlinge habe er bei sich im Landkreis noch nichts feststellen können. „Aber ich kann mir vorstellen, dass die Situation in ein, zwei Wochen eine andere sein wird.
So wie im thüringischen Suhl. Vor zwei Wochen riegelte die Polizei dort den umzäunten Plattenbaukomplex der Erstaufnahmestelle ab. Ein neuer Bewohner hatte sich am Coronavirus infiziert, über Nacht wurde eine zweiwöchige Quarantäne verhängt. Es war die erste große Flüchtlingsunterkunft, die es getroffen hatte. Nach einiger Unruhe kam es zu einem Polizeigroßeinsatz – und bundesweitem Aufsehen. Am vergangenen Samstag ist die Quarantäne in Suhl wieder aufgehoben worden. Pouria Zahedi aus Iran und 532 weitere Geflüchtete haben seither einen Teil ihrer Freiheit zurück.
„Keiner wusste zuerst, was los war“, sagt Zahedi. Er habe beim Frühstück gehört, dass das Tor verschlossen sei, niemand mehr hinaus dürfe, Einkäufe nicht mehr möglich seien. Als sie bei einer Sozialarbeiterin nachfragten, hieß es, es sei wegen Corona. „Natürlich hatten wir Sorge“, erzählt der 19-Jährige am Telefon. Er belegt ein Vierbettzimmer zusammen mit einem Landsmann, ein Glücksfall. Neben den Betten steht nur noch ein karger, weißer Tisch, ihre Wäsche haben die Männer an einer Schnur am Doppelstockbett aufgehängt. „Es gab keine Ärzte, am Anfang keine Desinfektionsmittel oder Schutzmasken, es wurde nichts extra sauber gemacht.“ Nur eine Krankenschwester war noch vor Ort.
Auch sich über das Internet zu informieren, sei schwierig, berichtet Zahedi. WLAN gebe es nur an einer Stelle im Haus. Er habe versucht, die Quarantäne-Tage draußen auf dem Hof zu verbringen. Aber beim Abholen des Essens – das nun nur noch einmal täglich gekommen sei, für alle drei Mahlzeiten gleichzeitig – seien sich alle weiter über den Weg gelaufen, auch in den Waschräumen. „Ich fand das gefährlich.“ Und es habe nichts mehr zu tun gegeben: keine Sprachkurse, keine Freizeitangebote, auch das „Interview“ für sein Asylgesuch sei bis auf Weiteres verschoben.
Einige Bewohner reagierten panisch auf die Quarantäne. Fotos zeigen Bewohner, die sich am ersten Tag hinter den Zäunen drängen. Einige versuchten darüber zu klettern, Wachleute verhinderten es. Zahedi hatte dafür wenig Verständnis: „Die konnten sich nicht kontrollieren.“ Aber auch immer mehr Wachleute der Unterkunft fielen krank aus, Polizisten mussten aushelfen. Am vierten Tag rückten 150 Polizisten an, teils in weißen Ganzkörperoveralls, fuhren Wasserwerfer auf. Die Beamten holten 22 Geflüchtete aus der Unterkunft, die sie als „Störer“ ausmachten. „Follow the instructions“, tönten Lautsprecher. Der Einsatz habe ihm anfangs Angst gemacht, sagt Zahedi. Weil er sich an dem Tag krank fühlte und Sorge hatte, es gehe darum, Kranke aus der Unterkunft zu holen. Auch wenn die Polizei von einem ruhigen Einsatzverlauf sprach, fabulierten nun rechte Blogger von einem „Aufstand“. Den habe es nie gegeben, sagt Zahedi. „Als klar war, worum es ging, haben viele einfach weiter Fernsehen geguckt.“
Ellen Könneker vom Thüringer Flüchtlingsrat kritisiert den Polizeieinsatz. „Es hätte wohl eher eine bessere Informationspolitik im Vorfeld gebraucht.“ Gerade für Kinder und Traumatisierte sei der Einsatz beängstigend gewesen. Könneker kritisiert zudem die Quarantäne-Situation: Vorerkrankte lebten in Suhl weiter auf engstem Raum, bei medizinisch prekärer Lage. Rückzugsräume gebe es nicht, keine separaten Kochecken, Distanz sei unmöglich. „Unterbringungen auf engstem Raum sind so schon belastend“, sagt Könneker. „Bei einer Pandemie aber wird es zum extremen Risiko.“
Bundesweit fordern Flüchtlingsräte, die Sammelunterkünfte zu schließen und die Bewohner in Wohnungen zu verteilen, erst recht in Zeiten von Corona. Allein in Thüringen zählt der Flüchtlingsrat 5.500 Geflüchtete in Sammelunterkünften. „Aus der desaströsen Situation in Suhl muss gelernt werden“, so dessen Forderung.
Die schwierige Lage in Suhl erkannte auch Suleman Malik. Der Sprecher der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde in Thüringen engagiert sich seit Jahren in der Geflüchtetenhilfe. Die Suhler Unterkunft besuchte er gleich zu Beginn der Quarantäne, zusammen mit Thüringens Integrationsbeauftragter. „Da herrschte noch eine große Unruhe, die Menschen hatten überhaupt keine Infos. Wir haben versucht, mit Übersetzungen auf unserem Handy die Situation zu erklären.“ Malik bot Hilfe an: Er könne Ärzte auftreiben, die ehrenamtlich während der Quarantäne helfen könnten. Etwas später stand Malik tatsächlich mit drei Ärzten der Hilfsorganisation Humanity First in weißen Overalls in der Unterkunft. Und die Bewohner kamen: wegen Kopfschmerzen, einem kranken Kind oder weil sie Informationen wollten.
Auch Pouria Zahedi bestätigt, dass die Quarantäne am Ende besser organisiert wurde. „Alle gaben sich Mühe.“ Schutzmasken seien besorgt worden, auch dringende Einkäufe wie Babynahrung. Kurz vor Ende der Quarantäne gab es noch mal Verunsicherung. Eine Mutter und ihr Kind hätten Coronasymptome gezeigt. Später dann das Testergebnis: negativ. „Gott sei Dank hat sich in den zwei Wochen niemand angesteckt.“ Als die Quarantäne aufgehoben wurde, lief Zahedi als Erstes vier Kilometer in die Stadt, um einen Kaffee und Süßigkeiten zu kaufen. „Das war ein schöner Spaziergang.“ Nun sitzt der Iraner weiter in der Erstaufnahmestelle, die allgemeine Kontaktsperre gilt weiter. Kurse oder einen neuen Termin für seine Asylanhörung gebe es weiter nicht. „Schlafen, essen, rausgehen, mehr gibt es nicht zu tun.“ Dabei würde der 19-Jährige, der wegen seines christlichen Glaubens aus dem Iran floh, gerne ehrenamtlich arbeiten, später Informatik studieren. „Dann, wenn diese Zeit vorbei ist.“
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