Schutz vor Corona für Geflüchtete: Abstand nicht möglich
In ersten Flüchtlingsunterkünften gibt es Corona-Fälle. Schwierig ist besonders die Lage von Menschen ohne Aufenthaltstitel.
Die Infizierten und direkte Kontaktpersonen seien unter häusliche Quarantäne gestellt worden, es gehe ihnen gut, sie zeigten bisher keine Symptome und würden gut versorgt, erklärt Verena Gros, Pressesprecherin der Regierung Oberbayern, auf taz-Anfrage. Alle übrigen der rund 450 Bewohner*innen stünden nicht unter Quarantäne, unterlägen aber einer besonderen Gesundheitsbeobachtung. Das gleiche gelte für die Beschäftigten vor Ort.
In allen anderen Unterkünften seien die vorbeugenden Maßnahmen intensiviert und Personal und Bewohner*innen aufgeklärt und sensibilisiert worden. Schon seit Ende Januar würden neu ankommende Asylsuchende verdachtsunabhängig auf das Virus getetstet. Derzeit würden Vorbereitungen getroffen, „um über ausreichende Kapazitäten für eine isolierte Unterbringung und Quarantäne zu verfügen“, so Groß. Außerdem seien Desinfektionsmittel, Masken und Handschuhe bereitgestellt worden.
„Die Securities und andere Angestellte kommen nur noch mit Masken“, bestätigt Mohamed. „Aber wir haben keine bekommen.“ Er fühlt sich auch nicht ausreichend informiert. Was er über das Virus und die Verhaltensvorgaben wisse, stamme aus dem Internet. „Bei Facebook und Youtube, da kann man schon mitkriegen, dass man aufpassen muss“, sagt er. „Es ist eine Katastrophe hier. Vor allem für die Familien mit Kindern.“
Ausgangssperre für 533 Menschen
Deutlich dramatischer ist die Lage im thüringischen Suhl. Dort sitzen seit dem Wochenende die 533 Bewohner*innen der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Quarantäne. Am Freitagabend war dort ein Bewohner positiv auf das Coronavirus getestet worden. Der Mann war erst am gleichen Tag in die Unterkunft gekommen. Er wird nun isoliert untergebracht. Sämtliche Bewohner*innen dürfen sich zwar im Haus frei bewegen – das Gelände aber nicht verlassen.
Medien berichten, dass die Lage in der Unterkunft angespannt ist. Mehrere Bewohner*innen hätten bereits versucht, über den Zaun zu klettern, konnten aber durch Gespräche davon abgehalten werden. Die Polizei sei rund um die Uhr vor Ort. Dem Nachrichtenportal inSüdthüringen.de sagte ein Bewohner, man fühle sich „alleingelassen“. Es gebe keine Schutzmasken und die medizinische Versorgung sei dürftig.
Die Ein- und Ausganssperre gelte für mindestens 14 Tage, erklärt das Thüringer Migrationsministerium auf Anfrage. Es werde „alles getan, um die Situation für alle Beteiligten, insbesondere die Bewohner/innen, möglichst entlastend zu gestalten“. Aufgrund der Quarantäne könne derzeit niemand neu in der Unterkunft aufgenommen werden. Im Moment würden keine Flüchtlinge nach Thüringen zugeteilt.
Pro Asyl bekräftigt angesichts der aktuellen Lage seine alte Kritik an Sammelunterkünften: „Wenn Menschen auf engem Raum in Lagern leben müssen, ist die Gefahr groß, dass viele krank werden. Ohnehin ist die Belastung in Großunterkünften groß, weil es kaum Privatsphäre und Rückzugsorte gibt und weil die Betroffenen isoliert und ohne sozialen Anschluss am Rande von Ortschaften leben“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer der NGO.
Abschiebungen aussetzen
Es sei nun höchste Zeit, die Großunterkünfte zu schließen und die Menschen zügig auf die Kommen zu verteilen. Nur so könne eine Ausbreitung des Virus verhindert werden.
Ähnliches fordern auch die Flüchtlingsräte. Zudem müssten mit Blick auf die weltweite Krise alle Abschiebungen ausgesetzt und Duldungen verlängert werden, damit die Menschen seltener zur Ausländerbehörde müssten, erklärt etwa der Flüchtlingsrat Thüringen. Informationen müssten dringend mehrsprachig zur Verfügung gestellt werden. Außerdem dürften wegbrechende Beschäftigungsverhältnisse keine negativen aufenthaltsrechtlichen Auswirkungen für Geflüchtete mit unsicherem Status haben.
Infos über das Corona-Virus in Leichter Sprache gibt es auf https://www.bundesregierung.de/breg-de/leichte-sprache/corona-virus
Das Bundesgesundheitsministerium erklärt auf Anfrage, dass die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zum Umgang mit Verdachtsfällen „für Asylsuchende und andere Menschen gleichermaßen“ gelten. Was die konkrete Umsetzung angehe, seien die Länder gefragt. Eine Anfrage an das Bundesinnenministerium blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Neben den Bewohner*innen von Sammelunterkünften ist die Corona-Pandemie für Menschen ohne regulären Aufenthaltstitel ein besonderes Problem. Menschen also, die den Kontakt zu Behörden wenn möglich meiden, weil sie sich vor einer Abschiebung fürchten.
Aus Angst nicht zum Arzt
Zwar ist die medizinische Behandlung dieser Gruppe über das Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Wenn es nicht um Notfälle geht, müssen Betroffene aber erst einen Krankenschein bei der Sozialbehörde beantragen – und die muss das der Ausländerbehörde melden. „Da haben natürlich viele Angst vor Repressionen“, sagt Carolin Bader von Ärzte der Welt Deutschland. Die Hilfsorganisation betreibt ehrenamtliche Anlaufstellen für Menschen ohne Krankenversicherung.
Ein anderes Problem sei die Abrechnung: Gerade in der aktuell angespannten Lage sei der bürokratische Mehraufwand für viele Krankenhäuser gar nicht zu leisten. Oft würde dann doch eine Privatrechnung ausgestellt, sagt Bader. „Bei vielen Betroffenen führt auch nur die Befürchtung, am Ende selbst zahlen zu müssen dazu, dass sie gar nicht erst zum Arzt gehen“, sagt Bader. Das treffe auch auf andere Menschen ohne Krankenversicherung zu – etwa prekär Beschäftigte aus anderen EU-Staaten.
Besser sei die Lage in Bundesländern, die einen anonymen Krankenschein haben – etwa in Berlin oder Thüringen. Vertrauensärzt*innen können diesen Schein ausstellen, die Betroffenen können sich damit anonym bei einer anderen Ärztin behandeln lassen – und diese rechnet die Kosten dafür über Vereine wie den Anonymen Krankenschein Thüringen ab. Das Geld kommt vom Land.
„Wenn Angela Merkel in der Corona-Krise zu Solidarität aufruft, muss diese deshalb vor allem auch für marginalisierte und damit besonders gefährdete Gruppen gelten“, so Ärzte der Welt. „Corona macht keinen Unterschied nach Aufenthaltsstatus, Versicherungsstatus oder Wohnsituation“, sagt François de Keersmaeker, Direktor der Organisation in Deutschland. „Ein Gesundheitssystem kann es sich nicht leisten, diesen Unterschied zu machen.“
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