Schüler gegen Plastikmüll: Untragbare Tüten

Für die Plastiktüte wird es eng. Drei Jahre lang ist die Schüler-Initiative „Plastiktütenfreies Osnabrück“ gegen die Beutel ins Feld gezogen. Nun hat sich ihr der Rat angeschlossen.

So sieht es an manchen Stellen im Ozean aus: Ein nachgebauter Strudel aus Müll vom Ostseestrand. Foto: Stefan Sauer

Können Sticker die Welt retten? Von Schülern erdacht und verteilt, in einer Stadt in der norddeutschen Provinz? Können sie. Zumindest ein bisschen.

Wie das geht, zeigt sich kurz nach Nikolaus auf dem Osnabrücker Weihnachtsmarkt: 40 „Klima­bot­schafter“ der Osnabrücker Ursulaschule schwärmen aus, verleihen Stand auf Stand ihr Öko-Label „Plastiktütenfreies Geschäft“. Das ist klein, rund, hauptsächlich grün, hat ein Erledigt-Häkchen drauf und klebt gut. Außerdem lassen sie Papiertüten da.

„Fast alle Marktbeschicker waren sehr aufgeschlossen. Hätten wir gar nicht gedacht“, sagt der Lehrer Tobias Romberg, Initiator der AG, ohne die es die Aufkleber nicht gäbe. Auch Osnabrücks übriger Einzelhandel, von Penny bis Hornbach, von der Apotheke bis zum Restaurant, geht einen guten Weg: Über 100 Läden haben Rombergs Botschafter mittlerweile ausgezeichnet, den ersten Mitte 2015.

Warum sie das tun? Ihre AG, mit der internationalen NGO „Youthinkgreen“ vernetzt, hat ein großes Ziel: Osnabrück zur „plastiktütenfreien Stadt“zu machen. Ihr Zeitplan, als Ende 2014 alles anfing: drei Jahre. Die sind jetzt rum. Und, hat es funktioniert? Romberg, beeindruckt, dass seine Kids solange durchgehalten haben: „Naja, nicht ganz. Aber wir haben trotzdem viel bewirkt. Die Stadt denkt um.“

Roter Button für Tüten-Träger

Auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius bekam das zu spüren, der ja in Osnabrück wohnt. Vor ein paar Wochen lief er auf dem Nikolaiort 15 Ursula-Klimabotschaftern in die Arme. Die waren mit grünen und roten Ansteck-Buttons unterwegs. Wer eine Plastiktüte dabei hatte, bekam rot. Pistorius hatte. Peinlich.

Aus den Siebt- bis Neuntklässlern von 2014 sind heute einige schon im Abitur. Aber auch sie machen noch mit, an Tagen wie diesem. „Alle haben sich total reingekniet“, sagt Romberg. „Da steckt ungeheuer viel Fantasie drin, Kreativität, Wissen.“

Innenminister Boris Pistorius (SPD) lief vor ein paar Wochen Klimabotschaftern in die Arme. Wer eine Plastiktüte dabei hatte, bekam rot. Pistorius hatte. Peinlich

Eines der spektakulärsten Events ist der Flashmob Ende August 2017. Aktivisten sinken wie im Erstickungstod vor Einkaufenden zusammen, Plastiktüten über dem Kopf. Auch der Boxring Anfang Januar 2016 hat Schauwerte: Mitten in der Einkaufszone besiegt ein Jute-Känguru („GeBeuteltes Osnabrück“) ein Plastiktüten-Monster. Und dann ist da noch der Tütendetektor der „Plastiktütenpolizei“ Mitte Mai 2017: Wer mit Plastiktüte durchgeht, kriegt einen Alarmton zu hören.

Drei Jahre, prall gefüllt mit Aktivität: Mülltonnen werden zu „Sammelmonstern“ umfunktioniert – Tausende Plastiktüten kommen so aus dem Verkehr. „Plastiktütenfreies Osnabrück“ ist auf der Internationalen Kommunalen Klimakonferenz Anfang Oktober 2015 in Hannover dabei. Im selben Monat richtet EU-Umweltkommissar Karmenu Vella eine Videobotschaft an die AG: „We want to very warmly welcome this initiative“, sagt er, „well done“. Es gibt eine Plastiktüten-Mahnkette um das bischöfliche Generalvikariat.

Tragetaschen aus Oberhemden

Die Klimabotschafter lassen alte Plastiktüten zu dauerhaft haltbaren Taschen upcyceln. Workshops finden statt, Netzwerktreffen, Wettbewerbe. Tragetaschen aus ausgedienten Oberhemden entstehen. Die ARD dreht über die AG einen Film für den Kinderkanal. Und auch die AG selbst dreht Filme: Einer davon zeigt den Sieg der Jutetasche über die Plastiktüte in schwarz-weißer Wochenschau-Optik.

Einer der wichtigsten Momente: Die Bingo-Umweltstiftung macht 49.000 Euro für eine Koordinierungsstelle beim „Forum Osnabrück für Kultur und Soziales“ locker, „um das alles stadtweit ausstrahlen zu lassen“, wie sich Koordinator Sergej Friesen erinnert. Die AG selbst war da längst an ihren Grenzen. Ende 2017 läuft Friesens Stelle allerdings aus.

Was nicht heißt, dass das Projekt jetzt stirbt. „Es findet fortan nur punktueller statt“, sagt Friesen. Außerdem hat Romberg schon eine neue Generation von Klimabotschaftern am Start, neue Siebt- bis Neuntklässler, und die haben neue Themen auf dem Zettel. „War aber eine supertolle Zeit“, sagt Friesen. „Und so ein bisschen bleib ich ja auch dabei, ehrenamtlich, für die Homepage.“

Plastiktüten: 45 werden pro Kopf und Jahr in Deutschland verbraucht. Ihre Herstellung emittiert viel CO2. Entsorgt werden die meisten schon nach nur wenigen Minuten Einmalgebrauch. Ihr Verfall zieht sich teils jahrhundertelang hin. Viele zerfallen als Müll in der Natur in Mikropartikel – eine Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier.

Klar also, dass der Kampf gegen die Plastiktüte gut zum Masterplan „100 Prozent Klimaschutz“ der Stadt Osnabrück passt – bis 2050 sollen CO2-Emissionen und Energieverbrauch drastisch sinken. Aber ganz so einfach scheint es dann doch nicht zu sein. Ausgerechnet Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) enthält sich, als der Osnabrücker Rat 2014 appelliert, auf Plastiktüten zu verzichten. Kurios, immerhin ist er Schirmherr von „Plastiktütenfreies Osnabrück“.

Gut, Osnabrück ist nicht die einzige norddeutsche Stadt, in der es der Plastiktüte an den fossilen Kragen geht – und auch nicht die erste. In Kiel gab es dazu 2014 einen Ratsbeschluss, in Emsdetten 2016, in Hamburg brachten die Grünen das Thema schon 2009 auf die Tagesordnung. In Billerbeck ging Steffen Hertz als „Mr. Unplastic“ von Haus zu Haus, für „Unplastic Billerbeck“. Aber in Osnabrück kommt der Vorstoß aus der Bevölkerung, nicht aus dem Rat.

Emily Glomb und Gesa Feldmann sind zwei der Neuen in der AG. Auch sie sind bei der Weihnachtsmarkt-Aktion ihrer Vorgänger dabei. Schon mal schauen, wie sich das anfühlt: Öffentlichkeit, Finger in Wunden legen. Mit welchen Themen sich die AG in Zukunft beschäftigt? Mit Massentierhaltung, Mobilität, Klimawandel. „Im Moment bereiten wir ein Theaterstück vor, für die Innenstadt“, sagt Glomb. „Da beziehen wir dann spontan Passanten mit ein, kommt im Mai.“ Und an die lokalen Politiker wollen sie ran: „Damit die begreifen, was geschehen muss, damit wir alle noch eine Zukunft haben!“

Auch die Neuen haben schon einen Film gedreht, eine Art Öko-Krimi. Und auch die Neuen sind trotz ihrer Jugend schon sehr, sehr reflektiert. Klingt nach einem neuen Drei-Jahres-Plan.

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