Schrottimmobilie im Wedding: Mitte nutzt neue Mittel

Nach der Räumung eines verwahrlosten Hauses prüft das Bezirksamt zumindest eine temporäre Enteignung. Die Zukunft der Bewohner ist unklar.

Polizisten mit Schutzmasken schauen aus dem Fenster

Kurz zuvor haben hier noch Menschen gelebt Foto: dpa

BERLIN taz | Nach der Räumung eines verwahrlosten Hauses im Wedding will das Bezirksamt Mitte die Zukunft der Schrottimmobilie nun selbst in die Hand nehmen. Dazu werde die Möglichkeit einer Zwangsverwaltung geprüft, erklärte der zuständige Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Gesundheit und Soziales, Ephraim Gothe (SPD).

Das Eckhaus in der Kameruner Straße, Ecke Lüderitzstraße wurde am Montagmorgen von der Polizei geräumt. Anschließend wurden alle Eingänge verschlossen. Für Gothe wäre die Zwangsverwaltung gewissermaßen ein Pilotprojekt, da sie sich aus der Neufassung des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes ergibt, die erst am 1. Mai in Kraft tritt.

Demnach ist bereits ein Leerstand von drei Monaten als Zweckentfremdung zu werten, der nicht mehr nur durch Bußgelder geahndet werden kann. Zukünftig ist es den Bezirken erlaubt, einen Treuhänder einzusetzen, um den Wohnraum wieder für Wohnzwecke herzustellen. Etwaige Renovierungskosten werden dem Eigentümer anschließend in Rechnung gestellt.

Auch der Stadtsoziologe Andrej Holm sprach sich auf taz-Anfrage dafür aus, diese Möglichkeit zu nutzen. Zwar steht das Gebäude im Wedding erst seit der Räumung am Montag leer, doch es galt schon länger als nicht bewohnbar.

Verwahrlostes Haus

Der Eigentümer hatte die Immobilie verwahrlosen lassen. Wasser- und Stromversorgung gab es seit einigen Monaten nicht mehr, vermehrt wurde über Schimmelbefall, Müll und Ratten im Haus geklagt. Derselbe Eigentümer besitzt diverse Immobilien in Berlin, von denen einige verwahrlost sind oder zu großen Teilen leer stehen. Die Verschmutzung der Wohnungen solle man, so Holm, als Zweckentfremdung deklarieren, notfalls brauche man dafür ein wenig „Fantasie“.

Auch für die Grünen-Abgeordnete Susanna Kahlefeld ist die Prüfung einer Zwangsverwaltung der richtige Schritt. Dennoch fordert sie eine Überarbeitung des Wohnungsaufsichtsgesetzes. Einen Vorschlag haben die Grünen bereits vorgelegt. Eine wichtige Änderung sei, dass die für den Bezirk anfallenden Kosten, die durch solche Problemimmobilien verursacht werden, in das Grundbuch eingetragen werden könnten. So wären verrottende Gebäude für verantwortungslose Eigentümer deutlich schwerer zu verkaufen.

Susanna Kahlefeld, Grüne

„Es ist nicht so, dass wir etwas gegen Enteignungen haben“

Eine tatsächliche Enteignung hält Kahlefeld in diesem Fall für unrealistisch. „Es ist nicht so, dass wir etwas gegen Enteignungen haben“, sagte Kahlefeld der taz. Die rechtlichen Hürden seien jedoch sehr hoch.

Dass ihr grüner Parteikollege und Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, den pragmatischeren Weg einer Zwangsverwaltung geht, sei daher richtig, sagte Kahlefeld. Außerdem stehe von Dassel im Wedding nun vor der komplexen Situation der Unterbringung der ehemaligen BewohnerInnen. Für Kahlefeld sei es deshalb verständlich, dass der Bezirksbürgermeister nicht „auf der anderen Seite noch einen Schaukampf führe“.

Enteignungskompetenz ist da

Die Zwangsverwaltung, als Form der temporären Enteignung, soll nun einen längeren Leerstand des Hauses vermeiden. Doch es gibt viele heruntergekommene Gebäude, an denen sich ein solcher „Schaukampf“ der Zwangsenteignung möglicherweise juristisch durchfechten ließe. Kompetenz ist in der Stadt vorhanden: Die landeseigene Enteignungsbehörde hat zwischen 2012 und April 2017 100 Anträge auf Enteignungen bearbeitet, meist ging es dabei um Grundstücke für große Infrastrukturprojekte wie den Bau der Autobahn 100.

Für ein Gebäude sei dies noch nie gemacht worden, heißt es dazu auf taz-Anfrage aus der Pressestelle der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Dies verlange eine intensive juristische Prüfung. Notwendig sei bei einer Enteignung in jedem Fall, dass das Interesse der Stadt nachgewiesen und der Eigentümer entschädigt wird.

Die Linke hatte auf ihrem Parteitag am Samstag beschlossen, Enteignungen bei spekulativem Leerstand prüfen und angehen zu wollen. „Solche Enteignungen hat es bislang nicht gegeben und es ist ein schwieriger und langwieriger Weg“, hatte Stadtentwicklungssenatorin Kat­rin Lompscher gesagt. Als letztes Mittel seien Enteignungen gegen Entschädigungen aber durchaus legitim. Ob die Partei in dieser Frage einen Senatsbeschluss erwirken kann, ist unklar.

Unklare Zukunft für Bewohner

Unklar scheint auch die Zukunft der ehemaligen BewohnerInnen des Hauses im Wedding. Ein Großteil der am Montag von der Polizei angetroffenen Personen stammt aus Osteuropa. Bezirksbürgermeister von Dassel ließ zunächst die Personalien aller aufnehmen und bot Beratung durch das Sozialamt an. „Jeder Bewohner wurde ausführlich beraten“, erklärte Stadtrat Gothe dem rbb und bestätigte, dass alle, die keine alternative Unterkunft hatten, vom Sozialamt untergebracht worden seien.

Doch wer darüber hinaus langfristig einen Anspruch auf eine Unterbringung habe, müsse noch geklärt werden, sagte von Dassel. Gegebenenfalls müssten einige wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Ein bulgarischer Bewohner hatte am Montag gegenüber der taz gesagt, er wisse nicht, wie es für ihn weitergehe. Laut dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (Asog) dürfen die Sozialämter Menschen jedenfalls nicht aufgrund von Nationalität oder Aufenthaltsstatus abweisen.

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