Scholz im Bundestag: Die neue Kanzlerin
Olaf Scholz outet sich bei seiner Antrittsrede als Merkel – nur ohne Humor. Baerbock und Lindner polieren unterdessen ihr Englisch auf.
D ie Minderjährige, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehört, findet mich wenig unterhaltsam. Immer wenn ich aushole, um ihr die Welt zu erklären oder wenigstens das, was mir gerade politisch interessant erscheint, sinken die Augenlider sofort auf Halbmast. Alsbald klammert sie sich mit beiden Händen ans Handy, der Blick wird glasig. Lediglich wenn ich das Denglisch von Annalena Baerbock imitiere, ist mit Aufmerksamkeit zu rechnen. Sie findet es allerdings im Original lustiger.
Die neue Außenministerin wird gerade noch getoppt from se new finance minister Christian Lindner, der diese Woche mit Ausspracheproblemen und Wortfindungsstörungen in die Anglosphäre eintrat. Doch Peinlichkeit ist reine Gewohnheitssache. Der Ausruf, „du bist peinlich“, ist beispielsweise mein ständiger Alltagsbegleiter. Ich bin inzwischen gar nicht mehr so erschrocken wie zu Anfang.
Je nach Minderjährigenlaune reicht das Peinliche, das von meiner Person ausgeht, vom Mitsingen „Alter-Leute-Musik“ bis hin zum schlichten Ein- und Ausatmen. Christian Lindner ist ähnlich abgehärtet. Seine Peinlichkeitskarriere begann früh. Schon in der Oberstufe ging er als Businessman verkleidet in die Schule. In ihren dunklen Anzügen sehen Christian und sein Geschäftsfreund-Klassenkamerad Christopher aus wie Babyrobben auf dem Weg zu einer Beerdigung. Irgendwie niedlich, aber auch albern.
Dank des Jugendmagazins „100 Grad“ der Deutschen Welle sind diese Szenen aus dem Jahr 1997 für die Nachwelt überliefert. Lindner beendet diesen Beitrag mit den Worten: „Probleme sind nur dornige Chancen.“ Wow. Seitdem frage ich mich: Ist Lindner als Finanzminister vielleicht nur eine dornige Chance? Werden wir, während er sein „Th“ übt, durch ein Dornengestrüpp gezerrt, um am Ende der Legislatur die Chance zu haben, ihn abzuwählen?
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Wie man hört, hat die CDU/CSU-Fraktion ein Problem damit, im Bundestag neben der AfD zu sitzen. Doch die neue Ampelregierung hat die Union diese Woche ohne jedes Mitgefühl für die muttilose Gemengelage überstimmt, damit die Koalitionär*innen zusammensitzen können. Die FDP rückt in die Mitte auf und die Union wird nach rechts geschoben. Aber keine Sorge, liebe Union, Probleme sind nur dornige Chancen.
Zum Beispiel die Chance, sich immer hübsch deutlich abzugrenzen von den uncoolen Sitznachbarn. Ich freue mich auch schon darauf, im nächsten Personalgespräch – sollte es etwa Klagen über den stets zu spät befüllten Themenplaner oder vergessene Bildunterschriften geben –, die Chefinnen auf Probleme als dornige Chancen zu verweisen.
Überhaupt ist so viel zu lernen in diesem neuen Ampelzeitalter, vor allem sprachlich gilt es sich nun schnellstmöglich anzupassen. Bei Bundeskanzlerin Olaf Scholz ist es noch relativ einfach. Man streut einfach möglichst oft das Wort Respekt ein, ob es nun passt oder nicht. So wie in seiner ersten Regierungserklärung diese Woche; sein Coming-out als Angela Merkel ohne Humor.
Bei Baerbock ist ein Wort zu lernen, dass in dieser Form noch nie so ungebremst in die Sätze purzelte. Ein Tweet von dieser Woche: „Eine gemeinsame EU-Außenpolitik ist für mich nicht die Summe des kleinsten gemeinsamen Nenners. Brauchen gemeinsamen Takt für gemeinsame Außenpolitik.“ Das setzt ganz neue Standards.
Superklimawirtschaftsminister Robert Habeck liebt indes das Wort „Wirklichkeit“. Die Ampel ist ein „Aufbruch in die Wirklichkeit“, man müsse sich „mit der Wirklichkeit auseinandersetzen“ und natürlich auch „die Wirklichkeit verändern“. Jetzt steht es fest: Wir leben wirklich in der wirklichen Wirklichkeit. Wer hätte das gedacht.
Die Minderjährige wünscht sich nun auch einen Aufbruch in die Wirklichkeit. Sie würde die Wirklichkeit gern dahingehend verändern, dass meine Erwartungen an sie angepasst werden. In der Wirklichkeit ist es nämlich so, dass Mahlzeiten vor dem Fernseher so viel unterhaltsamer sind. Es wäre respektvoller, gemeinsamer und auf eine dornige Art wirklicher.
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