Schleswig-Holstein setzt auf Kriegswaffen: Sturmgewehre für die Polizei
Jeder Streifenwagen in Schleswig-Holstein könnte ein G36-Gewehr bekommen. Landesregierung will 14 Millionen in die Polizei investieren.
Die Bundeswehr will es wegen angeblicher Präzisionsprobleme und Anfälligkeit gegen Hitze ausmustern, doch für die Polizei ist das Sturmgewehr G36 offenbar gut genug. In Schleswig-Holstein jedenfalls sollen die Polizisten künftig mit dieser Waffe ausgerüstet werden, berichteten die Lübecker Nachrichten. Neben dem G36 von Heckler & Koch – Stückpreis ca. 4.500 Euro – sollen demnach auch Helme und schwere Schutzwesten an Bord jedes Streifenwagens mitgeführt werden. Die von SPD, Grünen und Süd-Schleswigschem Wählerverband (SSW) gebildete Landesregierung wolle noch in diesem Haushaltsjahr 14 Millionen Euro für die Aufrüstung der Landespolizei zur Verfügung stellen, heißt es in dem Bericht.
Nach Angaben von Landesinnenminister Stefan Studt (SPD) ist aber noch keine endgültige Entscheidung über die Anschaffung der Sturmgewehre gefallen. „Wir sind uns politisch einig, dass wir alles tun werden, um unsere Polizisten und die Bevölkerung vor radikalen Einzeltätern so weit als möglich zu schützen“, sagte er. Derzeit werde geprüft, „inwiefern die vorhandene Ausrüstung so zeitnah als möglich ergänzt und erweitert werden kann“.
Studt zeigte sich „zuversichtlich, dass wir bereits in Kürze ein Gesamtpaket aus passiven und aktiven Sicherungsmaßnahmen im Kabinett verabschieden werden“. Einen formellen Beschluss könnte die Landesregierung bereits in der nächsten Woche treffen. Ob die Beamten dann auch eine spezielle Schießausbildung an den Gewehren erhalten, ließ der Minister offen.
Die Grünen hatten entsprechende Aufrüstungsforderungen der oppositionellen CDU noch vor wenigen Wochen als Symbolpolitik bezeichnet. „Durch militärische Sturmgewehre wie das G36 in Polizeihand erhöhen wir in Schleswig-Holstein die Sicherheit mit Sicherheit nicht“, sagte etwa Ende Juli der innenpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Burkhard Peters. Und noch am Mittwoch lehnte der Rechtsausschuss des Landtags mehrheitlich einen Antrag der Union für eine „bessere Bewaffnung“ der Polizei ab.
„Wenn das Kabinett jetzt endlich die Notwendigkeit einer besseren Bewaffnung der Polizei erkennt, dann wird diese sicherlich nicht an der CDU scheitern“, sagte nun der CDU-Fraktionsvorsitzende Daniel Günther. „Hoffentlich scheitert diese wichtige innenpolitische Kurskorrektur nicht wieder am Veto der Grünen.“
Der Kurswechsel der Landesregierung setzte wohl bereits nach den jüngsten Terroranschlägen in Frankreich ein, war offenbar aber auch eine Reaktion auf die Festnahme von drei IS-Terrorverdächtigen am Dienstag. Die Syrer sollen im vergangenen November über die sogenannte Balkanroute nach Deutschland gekommen sein und möglicherweise eine „Schläferzelle“ gebildet haben – so vermutet es jedenfalls das Bundesinnenministerium. Hinweise auf konkrete Anschlagsplanungen gab es demnach aber nicht.
Andere Bundesländer haben sich bereits für eine militärische Bewaffnung der Polizei entschieden. Neben den Spezialkommandos erhalten vielerorts auch die Streifen- und Bereitschaftspolizisten neue Ausrüstungen. Hamburg und Bremen kaufen ebenfalls groß ein, sie haben bei Heckler & Koch gemeinsam rund 160 Sturmgewehre geordert, 33 davon gehen an die Bremer Polizei.
Niedersachsen investiert derzeit rund 2,5 Millionen Euro vor allem in neue Visiereinrichtungen von Maschinenpistolen, Schutzwesten und die Ausstattung aller Streifenwagen mit sogenannten ballistischen Plattenträgern, die zum Beispiel vor Beschuss durch Maschinengewehre schützen sollen. Auch der Bund ist dabei: Innenminister Thomas de Maizière (CDU) plant auch Bundespolizei, BKA und Verfassungsschutz aufzurüsten. 328 Millionen Euro sind dafür bis 2019 eingeplant.
Bislang gehören bei den Schusswaffen lediglich Pistolen und Maschinenpistolen zur Standardausrüstung der Streifen- und Bereitschaftspolizei. Die Spezialeinsatzkommandos der Länder haben allerdings eine erweiterte Ausrüstung, zu der auch Sturm- und Scharfschützengewehre sowie Repetierflinten mit Sondermunition gehören. Die GSG 9 der Bundespolizei verfügt etwa über Maschinengewehre und Gewehre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland