Schlagloch weißer Feminismus: Kopftuch inklusive
Säkularen weißen Mittelschichtsfrauen steht ein Besitzanspruch auf Emanzipation nicht zu. Es fehlt eine Vision von Emanzipation, die verbindet.
I st zum Kopftuch alles gesagt? Nicht ganz. Es ist Zeit, den Blick auf die weißen Flecken dieser Debatte zu lenken. Weiß sind die Leerstellen im wörtlichen Sinn, verraten sie doch eine eurozentrische Blässe vor allem jener Argumente, die feministisch daherkommen.
Es fehlt uns ganz offensichtlich ein zukunftstaugliches Bild der befreiten Frau – es fehlt eine Vision von Emanzipation, die in der Einwanderungsgesellschaft über die Grenzen von Religion, Hautfarbe und Lebensstil hinweg verbindend sein könnte. Wir sind fern davon, uns auf eine Vorstellung von Selbstbestimmung einigen zu können, die auf unterschiedliche Weise praktiziert werden kann, ohne dass wir den Respekt der jeweils anderen verlieren.
Heute stehen sich gleichsam zwei kleine Frauenbewegungen feindselig gegenüber. Junge Musliminnen wollen mit Kopftuch ihren beruflichen Ehrgeiz verwirklichen. Ältere Feministinnen (meiner Generation) sehen in ihnen die Speerspitze des Rückschritts, Symbole der Unterwerfung unter patriarchalische Muster.
Bereits zu Beginn der Kopftuch-Debatte vor zwölf Jahren habe ich dafür plädiert, die Frage der Selbstbestimmung in den Mittelpunkt zu rücken – und dies scheint mir weiterhin die einzig sinnvolle feministische Position.
In der alten Bundesrepublik war es die Debatte über die Freigabe von Abtreibung, die den Begriff Selbstbestimmung erstmals populär machte. Der Streit währte nahezu zwei Jahrzehnte, an seinem Ende war Selbstbestimmung, soweit sie den § 218 betraf, zwar nicht Gesetz, aber in der Gesellschaft doch weithin gebilligt. Akzeptiert war damit die Grundlage des modernen Frauenbildes: Dass eine Frau ein für sich selbst verantwortliches Wesen ist – weder ein wildes Tier, das vor sich selbst in Schutz zu nehmen ist, noch ein Werkzeug des Mannes ohne eigene Stimme.
Selbstbestimmung ist nicht begründungspflichtig
Der Kopftuchstreit ist die zweite Marathon-Debatte, die ausschließlich weibliches Verhalten betrifft. Nun aber ist gerade für Feministinnen Selbstbestimmung nur als Nein zum Kopftuch denkbar, nicht als ein Wert, den die Kopftuchträgerin genauso für sich in Anspruch nehmen kann. Und genau das versperrt den Blick in die Zukunft.
ist freie Autorin und wurde mit ihren Reisereportagen aus muslimischen Ländern bekannt. Ende 2014 erschien ihr neuestes Buch bei Pantheon: „Mali oder das Ringen um Würde. Meine Reisen in einem verwundeten Land“
Denn es wird über den Charakter dieses Tuchs niemals ein anderes Einverständnis geben können als dieses: Wer es tragen möchte, soll es tragen dürfen – wo auch immer. Alles andere wird umstritten bleiben, auch innermuslimisch. Das Tuch als „Pflicht“ zu sehen, wird durch religiöse Texte nicht ausreichend gedeckt – trotzdem sind Millionen Frauen weltweit dieser Ansicht. Religion ist eben keine Frage von Logik. Die Verschleierung ist vielmehr Ausdruck einer weiblich-muslimischen Globalisierung. So wird es noch mindestens ein Jahrzehnt bleiben und dann – wer weiß?
Unterdessen ist es völlig korrekt, wenn Musliminnen wie Fereshta Ludin die Gründe ihrer Entscheidung nicht mehr öffentlich diskutieren wollen. Selbstbestimmung ist nicht begründungspflichtig.
Weltweit haben Frauen gezeigt, wie viel Emanzipation mit Kopftuch möglich ist: Verschleierte Musliminnen wurden Regierungschefin, Zentralbankdirektorin, Universitätspräsidentin, Chefärztin. Und weltweit ist ebenso ersichtlich, wie viel Emanzipation misslingen kann ganz ohne Kopftuch. Gerade Deutschland ist dafür ein Beispiel: gläserne Decken, blockierte Aufstiegschancen, ungleicher Lohn, Quoten-Debatten.
Kopftuch nur als Aufstiegsmodell suspekt
Uns, den säkularen weißen Mittelschichtsfrauen, steht ein Besitzanspruch auf Emanzipation deshalb nicht zu. Auch nicht die Arroganz, Frauen mit einem muslimisch geprägten Lebensstil „Unterwerfung“ nachzusagen. Es soll Feministinnen geben, die 18 Ehejahre lang akzeptiert haben, dass Männer genetisch unfähig sind, Kindersocken im Kleiderschrank zu finden. Muslimische Frauen gehen, ebenso wie andere, Wege und Irrwege, und manchmal ist beides erst im Nachhinein auseinanderzuhalten.
Suspekt ist das Kopftuch ja nur als Aufstiegsmodell. Nie hat jemand so viel Gewese um die kaukasischen, griechischen, schwäbischen Großmütter mit Tuch gemacht oder um die erste Generation der migrantischen Fabrikarbeiterinnen. Die wirklich Unterdrückte war weniger anstößig als die Verschleierte auf der Karriereleiter. Warum ist es so schwer, sich auf ein simples Prinzip zu verständigen: Jede junge Frau sollte auf ihrem Weg in Beruf und Karriere unterstützt werden?
Heute tragen selbstbewusste junge Frauen High Heels von einer Art, die wir früher als Zeichen sexistischer Versklavung betrachtet hätten. Ihnen wird keine „Unterwerfung“ vorgeworfen. Aktivistinnen lassen bei Protestaktionen ihren Tanga sehen, wenn sie nicht gleich barbusig auf einen Altar springen. Das kann man fortschrittlich finden, muss es aber nicht. Das Recht auf Nacktheit ist in den westlichen Gesellschaften unbestritten; die Zeit, da Entblößung einen progressiv-utopischen Gehalt hatte – Freikörperkultur, Aktzeichnen – ist lange vorbei.
Die Kritik an der kapitalistischen Verwertung des weiblichen Körpers ist heute leise geworden. Instinktiv schließen sich nichtmuslimische Frauen gegen die Kopftuchträgerin lieber mit dem Kapitalismus zusammen als ein Stück Religion zu akzeptieren. Warum stört uns eine Werbung, die die Frau zur Ware degradiert, so viel weniger als die Verhüllung, zu der sich eine Frau selbst entschließt?
Differenz und Gemeinsamkeiten müssen in der Einwanderungsgesellschaft neu bewertet werden. Ist häusliche Gewalt in muslimischen und in nichtmuslimischen Familien substanziell verschieden? Und warum opfern sich hier wie dort fast ausschließlich Frauen für die Pflege der Alten auf? Vor allem aber: Gehen uns die Kümmernisse der „Anderen“ etwas an oder sind sie nur Wasser auf unsere Mühlen der Abgrenzung?
Wer ohnehin gegen Moscheen ist, wird sich nicht mit Frauen solidarisieren mögen, die dort für akzeptable Frauenbereiche eintreten. Und solange Musliminnen bei anderen Frauen nur Missbilligung spüren, werden sie, um der Islamophobie keine neue Nahrung zu liefern, ihre Benachteiligung lieber kaschieren.
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