Schlagloch Donald Trump: Ein perverses Vergnügen

Donald Trump lenkt nicht die Meinungen der Massen. Er ist ihr Produkt. Sie glauben nicht mehr an den amerikanischen Traum und protestieren.

Auf einem nackten weißen Oberarm prangt Donald Trumps Porträt.

Spucknapf des Volkes und Symbol weißer Chauvinisten Foto: reuters

Wer in diesen Wochen des wohl ungewöhnlichsten Vorwahlkampfs aller Zeiten in den Vereinigten Staaten von Amerika weilt, reibt sich manchmal die Augen. Aber nicht immer angesichts derselben Phänomene wie Betrachter im fernen Deutschland. Der vermeintliche Wahn, der sich in der Kampagne von Donald Trump äußert, wirkt im Kontext des amerikanischen Alltags weitaus weniger extrem. Genauso wie die deutschen Wahlergebnisse des letzten Wochenendes von New York aus betrachtet den einseitigen Eindruck erwecken könnten, das ganze Volk sei wieder drauf und dran, den rechten Bauernfängern nachzurennen.

Wenn man die apodiktisch-dämonische Rhetorik der republikanischen Kandidaten wegkratzt, tritt eine Entwicklung zutage, die alles andere als „verrückt“ ist. Im Gegenteil: Es wird offensichtlich, dass die Millionen, die seit Jahrzehnten immer weniger am Wohlstand des Landes teilhaben, Anwandlungen zeigen, im Rahmen der demokratischen Mechanismen zu protestieren. Sie spüren, dass der amerikanische Traum nicht mehr aus den Wegwerfartikeln der Müllhalde, auf der sie leben, zusammengesetzt werden kann. Und weil Jahrzehnte übermächtiger Propaganda sie gelehrt haben, sozialen und ökonomischen Erklärungen zu misstrauen, klammern sie sich an quasikulturelle Losungen.

An erster Stelle steht, nach Jahrzehnten von identity politics,die Rehabilitierung des Rassismus, der in alle Richtungen ausschlägt. Wer selbst frei von rassistischen Anwandlungen ist, kann schwer nachempfinden, als wie belastend die Tabuisierung gewisser Redeweisen seit der Bürgerrechtsbewegung empfunden worden sein müssen – erst recht, seitdem ein Schwarzer Präsident geworden ist. Nun fühlen sich offenbar viele wie befreit vom Dämon der political correctness.

Der in Brooklyn lebende Romancier Teju Cole hat zweifelsohne recht, wenn er in einem persönlichen Gespräch den Hauptgrund für die hasserfüllten Reaktionen so vieler Amerikaner auf Obamas Regierungszeit im Rassismus sieht. Das erklärt auch, wieso Trump bei seinen Reden am meisten Applaus für seine grobschlächtigen Attacken auf Obama ergattert, nicht für seine äußerst vagen Visionen eines anderen Amerikas.

Der Spucknapf des Volkes

Die vielen Kommentatoren, die Trump als autoritären Führer bezeichnen (Vergleiche mit Mussolini und Berlusconi füllen die Gazetten), übersehen, dass er nicht die Meinungen der Massen lenkt, sondern vielmehr ihr Produkt ist. Trump ist der leibhaftige Querschnitt aller Tiraden aus den Internetforen. Er ist der Spucknapf des schimpfenden Volkes. Darin liegt sein größter Vorteil.

Der texanische Senator Ted Cruz ist übrigens gefährlicher (wenn man die Wiedereinführung von Patriarchat, Autorität oder Frömmigkeit als gefährlich betrachtet), denn in ihm lauert der Wunsch, die Welt nach den Vorstellungen seines eigenen Fanatismus neu zu gestalten. Ein ehemaliger Kommilitone von ihm erzählte vor Kurzem in einem persönlichen Gespräch, Cruz habe an der Universität zu Princeton keinen einzigen Freund gehabt. Sein strategischer Intellekt sowie seine schneidende Kälte erinnern an Wladimir Iljitsch Lenin.

Trump ist der leibhaftige Querschnitt aller Tiraden aus den Internetforen

Die unzähligen Debatten zwischen den Kandidaten – im Gegensatz zu den Gepflogenheiten in Deutschland wird in den USA dauernd debattiert, in einer Woche gar viermal – ähneln am ehesten den geläufigen verbalen Schießereien im Netz. Es ist gewiss kein Zufall, dass die TV-Debattenkultur ihren Ausgang in den neunziger Jahren nahm, zeitgleich mit dem Aufstieg des Internets. Das Niveau des öffentlichen Diskurses hat davon nicht profitiert. Die Äußerungen der Kandidaten sind ähnlich verantwortungslos wie die Kommentare unter jedem erregungswürdigen Artikel.

Einige amerikanische Medien sind dazu übergegangen, den Wahrheitsgehalt der Aussagen live zu überprüfen. Die meisten erweisen sich als schlichtweg falsch oder im besten Fall einseitig oder übertrieben. Aber das gereicht den Rednern nicht zum Nachteil. Im Gegenteil: Wer die „Wahrheit“ sagt, entlarvt sich als Repräsentant des Establishments. Wer hingegen seiner Empörung freien Lauf lässt, beweist seine Volksnähe.

Standartenträger des Protests

Deswegen nimmt die Unterstützung für Trump nicht ab, egal, was er von sich gibt. Selbst die absurdeste seiner Aussagen ist keineswegs originell, sie wurde im Dämmerlicht des Netzes schon oft geäußert. Im Scheinwerferlicht der nationalen Medien erstrahlt sie dann als basisdemokratische Wiedergutmachung, vor allem am kleinen weißen Mann. Trump hat seinen opportunistischen Sattel auf das wildeste Pferd der gegenwärtigen Protestkultur geworfen. Und es ist geradezu ein perverses Vergnügen, zu beobachten, wie er, ein begnadeter Rodeoreiter des Ressentiments, sich im Sattel hält.

Deshalb kommt es bei seinen Wahlkampfveranstaltungen inzwischen immer öfter zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Seine Anhänger lassen sich ihr neu erkämpftes Protestmandat nicht von jenen streitig machen, die aus ihrer Sicht schon zu lange ein Monopol darauf erhoben haben: die Liberalen, die Schwarzen, die Hispanics, die Schwulen und so weiter und so fort. „Heutzutage zieht das Protestieren keinerlei Konsequenzen nach sich“, klagte Trump vor einigen Tagen vom Podium herab, während einige lautstarke Widersacher aus dem Saal getrieben wurden. „Unser Land muss härter werden, Leute, wir müssen härter werden. Diese Typen ziehen uns runter … Die sind schlecht für unser Land, ihr habt keine Vorstellung, Leute.“ Es entbehrt nicht der Ironie, dass der Standartenträger des Protests das Protestieren dämonisiert. Aber wie eh und je gilt auch hier: Quod licet Iovi, non licet bovi.

Trump kanalisiert die Wut der Entrechteten mit großem Erfolg. Sollte er republikanischer Kandidat werden, würde ihn mit Sicherheit auch das Establishment unterstützen. Denn seine gesamte Kampagne könnte unter das Stichwort anti-change gestellt werden – ein urkonservativer Gedanke.

Der Kern seines melodramatischen Protests ist die Affirmation. Wer das beängstigend findet, den müsste der Status quo längst das Fürchten gelehrt haben.

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ist Schriftsteller und Weltensammler. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. Darunter: „Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren“ (Residenz Verlag 2013) und „Stadt der Bücher“ mit Anja Bonhof (Langen/ Müller 2012). Im August erschien im S. Fischer Verlag „Macht und Widerstand“.

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