Schlagloch Deutsche Polizei: Unsere inländischen Deppen

Was tote Gefangene, Neonazis und ertrunkene Flüchtlinge eint? Eine unfähige und systematisch rassistische Justiz und Polizei in Deutschland.

„Und ihr, liebe Staatsvertreter, behauptet wirklich, dass bei Oury Jalloh und den NSU-Morden kein rassistisches Muster erkennbar wird?“ Bild: ap

Ich muss mich bei den Leser_innen entschuldigen. Völlig naiv schrieb ich in meinem letzten Schlagloch: „Zusatzversicherungen sind das Gebot der Stunde. Vielleicht werden bald auch Zusatzversicherungen für die Aufklärung von Gewaltverbrechen angeboten: ’Ihr Sohn wurde erschossen, und die Polizei arbeitet nicht ordentlich? Wir übernehmen Ihre Detektivkosten!‘“

Ich meinte das sarkastisch, aber es ist ein hervorstechendes Merkmal der Politik, zumal der „Ausländerpolitik“ unserer Regierung, dass es keinen Sarkasmus gibt, der nicht noch von der Realität überboten wird.

Mir war völlig entgangen, dass Oury Jallohs Unterstützer schon vor Jahren aus eigener Tasche einen Gutachter bezahlen mussten, um feststellen zu lassen, dass der Kopf des Opfers eingeschlagen war. Letzte Woche bekanntlich der große Knall: Ein an Händen und Füßen Gefesselter kann sich mit einem nicht vorhandenen Feuerzeug gar nicht selbst anzünden.

Wieder mussten die Unterstützer etliche Tausend Euro sammeln, um den Gutachter zu bezahlen, der so etwas wissenschaftlich nachweisen kann.

Blind, taub und ignorant

Letztlich hat sich das viele Geld aber gelohnt, denn nun: Das Gericht zeigt sich „überrascht“. Dass ein deutsches Gericht von so etwas überrascht wird, überrascht mich nicht mehr. Nachdem Marwa El-Sherbini 2009 im Landgericht Dresden ermordet worden war, las ich sämtliche zugängliche Materialien, inklusive Auszüge aus dem der Tat vorausgehenden rassistischen Hassbrief des Täters an das Gericht.

Nach diesem Brief konnte man einfach nicht ahnen, dass von dem Mann eine Gefahr ausging – jedenfalls nicht, wenn es um eine rassistische Gefahr geht und man den deutschen Strafverfolgungsorganen angehört. Die sind nämlich nicht nur auf dem rechten Auge blind, sondern haben gerade für Mord einen ganz schlechten Riecher. Und die Ohren sind auch nicht geputzt.

Erst vor knapp zwei Monaten wurde im NSU-Prozess über einen der Morde bekannt: Der Betreiber eines Internetcafés wurde erschossen und lag in einer Blutlache am Boden. Ein Angehöriger des hessischen Verfassungsschutzes surfte derweil – zufällig! – in exakt demselben Internetcafé. Er bemerkte nichts. Als er gehen wollte, konnte er den Betreiber nicht finden (klar, der war ja tot) und legte 50 Cent auf die Theke, hinter der der Tote lag. In erwähnter Blutlache.

Dieser Verfassungsschützer, in dessen Gegenwart jemand erschossen wird, den er nachher nicht in seiner Blutlache liegen sieht, passt exakt zu einem Polizisten, der nicht bemerkt, dass jemand mit einem Kanister Benzin und einem Feuerzeug in eine Zelle geht, passt zu einem Pathologen, der nicht merkt, dass der verstorbene Gefangene einen zertrümmerten Schädel hat, passt zu einem Richter, der davon überrascht wird.

Wie dumm sind Beamte?

Und ihr, liebe Staatsvertreter, behauptet wirklich, dass bei all dem kein Muster erkennbar wird, dass das kein System hat? Wenn das nicht skrupellos, sondern nur dumm sein soll – wie kolossal dumm ist der durchschnittliche deutsche Beamte dann eigentlich? Wenn sie mental so schlecht ausgerüstet sind, können sie überhaupt den Text ihres Diensteids verstehen? Wo kriegt ihr diese Typen her, und ist das der wahre Grund, warum aus anderen Ländern nur die Superausgebildeten einwandern dürfen sollen – damit nicht eventuell ausländische Unschlaue unsern einheimischen Deppen die Posten im Staatsdienst wegnehmen?

Ein ganz heller Stern strahlt auch an der Spitze unseres Innenministeriums. Immerhin, der Mann hat noch Werte: „Rücksicht zu nehmen und sich respektvoll zu begegnen, das Wohl der Nächsten im Blick zu haben, Bedürftigen beizustehen, Mitgefühl mit Leidtragenden zu haben, dem Nachbarn zu helfen und den Menschen, denen wir im Laufe eines Tages begegnen, ein freundliches Wort zu schenken – gleich welcher Herkunft und Religion sie sind.“ So schön kann sich unser Innenminister ausdrücken, wenn er das Wort an andere richtet. Hier an Muslime während des Opferfests im August.

Da war er hübsch christlich. Nicht ganz so christlich klang es, als er wenige Tage nach dem Ertrinken von 500 Flüchtlingen im Mittelmeer sagte, ihm sei „völlig unbegreiflich“, dass von Deutschland größere Solidarität verlangt werde. Vermutlich ist Solidarität nur etwas für Sozis. Unser Innenminister investiert lieber in Systeme, die verhindern, dass die Flüchtlinge überhaupt so nah an die europäischen Küsten herankommen, dass sie von ihrem Menschenrecht auf Schutz vor Verfolgung Gebrauch machen können.

Helfen gerne, aber beim Geld hört der Spaß halt auf. Wer übrigens meint, die EU-Staaten hätten sich wenigstens untereinander auf Freizügigkeit geeinigt, den belehrt Friedrich: „Aber Freizügigkeit heißt nicht, die Freiheit zu haben, nur wegen höherer Sozialleistungen das Land zu wechseln.“

Beim Geld hört der Spaß auf

Bedürftigen beistehen, logisch! Mitgefühl mit Leidtragenden haben, immer! „Den Menschen, denen wir im Laufe eines Tages begegnen, ein freundliches Wort zu schenken“, zum Beispiel auch dieses: „Wir glauben, dass wir nicht die deutsche Staatsangehörigkeit wie Sauerbier irgendjemandem anbieten müssen.“

Gewiss, Sauerbier wird da nicht helfen. Aber wie wär’s einfach mal mit politischer Verantwortung? Warum ist nie irgendwer für irgendwas verantwortlich? Ich hab schon von Leuten gehört, die wegen einem geklauten Kugelschreiber entlassen oder für paar spendierte Hotelnächte aus dem Amt gemobbt wurden.

Aber wenn 500 Leute im Mittelmeer ertrinken, warum übernimmt dann niemand Verantwortung für deren Leben? Wenn Unbewaffnete, Hilflose inmitten unserer staatlichen Einrichtungen erschossen oder angezündet werden, warum muss dann niemand den Hut nehmen? Warum können Menschenleben riskiert, verschleudert, zynisch der größten Gefahr ausgesetzt werden, während sowohl der „kleine Beamte“ als auch dessen Vorgesetzter als auch deren oberster Dienstherr mit einem Schulterzucken davonkommen? Das find ich längst nicht mehr überraschend, aber es ist mir völlig unbegreiflich.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

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