Schauspieler über Racial Profiling: Hamlet mit Adjektiv
Murali Perumal spielte Rosenverkäufer, Taxifahrer und Islamisten. Dann machte er den Mund auf. Was für ein Stigma ist seine Hautfarbe heute?
Diese Stimme. Augen zu – und man hat keine Ahnung, wer der Schauspieler ist, dem sie gehört. Bariton-Stimmlage, aber manchmal, wenn er empört ist, steigt seine Stimme um Oktaven. Der Mann könnte in einem Klinkerhaus mit Edelstahldunstabzugshaube wohnen oder in einer Altbau-WG, so geschliffen ist das Hochdeutsch. Er könnte der Hamlet sein oder der Stewart auf dem „Traumschiff“. Die Stimme macht alles denkbar.
Dann macht man die Augen auf. Und die Frage, die jeder für sich beantworten muss, ist: Welche Assoziationen hat man, wenn man sieht, dass der Mann nicht weiß ist?
Murali Perumal hat Shakespeare gespielt, Kleist, den Pfleger in einer Bühnenfassung von „Ziemlich beste Freunde“, der in der Filmvorlage schwarz ist. Aber: keinen Hamlet, keinen Faust, keinen Wilhelm Tell. „Wenn ich den Tell spielen würde, dann wäre es als Stück über Terror angelegt“, sagt er.
Vor der Kamera stand er unter anderem als indischer Taxifahrer, als Rosenverkäufer, Computerspezialist, indischer Nachbar, Islamist und als Pakistaner, der „der Grieche“ genannt wurde.
Weil er nicht nur eine Stimme hat, sondern auch eine Hautfarbe.
Sind wir alle ein bisschen Racial Profiler?
Die Frage ist, nachdem nun wochenlang über Racial Profiling geredet wurde, angestoßen durch die Ereignisse der Kölner Neujahrsnacht, in deren Verlauf Männer, die ins Oberflächenraster „nordafrikanisch“ passten, von der Polizei eingekesselt wurden: Ist es nicht auf Dauer zu wenig, nur über die Polizei zu reden? Sind wir nicht vielleicht alle ein bisschen Racial Profiler? Und was ist mit Theater, Film, Fernsehen, Medien, also denen, die für Repräsentation zuständig sind?
In der Schauspielbranche, die gesellschaftliche Rollen reflektiert und aufführt, lassen sich die Subtilitäten der Stigmatisierung und die Fortschritte einer Gesellschaft jedenfalls wie durch einen Vergrößerungsapparat beobachten.
0 Schauspieler mit sichtbarem Migrationshintergrund spielten 2014/15 den Faust. In diesem Zeitraum brachten der Statistik des Deutschen Bühnenvereins zufolge 28 Theater in Deutschland, Österreich und der Schweiz Johann Wolfgang von Goethes „Faust“ auf die Bühne – „Faust I“, „Faust II“ und „Urfaust“ zusammengezählt. Der Klassiker stand zusammen mit der Bühnenfassung von Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ auf Platz 1 der Aufführungsstatistik
3 von 44 Ermittlern im „Tatort“ werden derzeit von Schauspielern mit sichtbarem Migrationshintergrund gespielt: Aylin Tezel (Dortmund), Sibel Kekilli (Kiel) und Fahri Yardım (Hamburg)
Knapp ein Fünftel der Einwohnerinnen und Einwohner Deutschlands hat einen sogenannten Migrationshintergrund, das sind etwa 15 Millionen Menschen. In einigen Ballungsräumen liegt der Anteil von Migranten und ihren Nachkommen bei mehr als 40 Prozent.
81 Prozent der Beiträge in ARD und ZDF, die den Islam thematisieren, waren 2007 negativ konnotiert. Forscher kritisieren daran nicht die Darstellung des Negativen, sondern die Ausblendung des Alltäglichen. In einer Studie von 2012 heißt es, das Islambild in Deutschland sei klischeegeprägt, es gebe etwa viel weniger Kopftuchtragende, als medial vermittelt werde. Ein Beispiel dafür, dass mediale und künstlerische Repräsentation und bestehende Vorurteile im Zusammenhang stehen dürften.
Nestroyhof-Theater in Wien. Murali Perumal, 38, sitzt auf einer Bühne, die mit weißem Flokati überzogen ist, und streitet mit seinem Nebenbuhler, Fürst Myschkin. Perumal ist der Kaufmann Rogoschin in „Der Idiot“, beruhend auf dem Dostojewski-Roman. Sein schmaler Vollbart ist sauber geshavt, er trägt ein glänzendes weinrotes Jackett. Was man sich sofort einprägt, sind seine Augen, die einen ganzen Saal mit Wärme füllen, aus denen aber auch das Weiß des Augapfels stroboskopartig hervorblitzt, wenn er sie mit wutbeladener Mimik zur Seite dreht.
Und ja – auch wenn man so tun könnte, als spiele die Hautfarbe keine Rolle, weil sie keine spielen sollte: Man nimmt sie natürlich wahr. Und sie ist in der Lebensrealität des Schauspielers, der mit seinem Körper in andere Rollen schlüpft, sie also verkörpert, karriererelevant.
Murali Perumal, 1978 in Bonn geboren, Sohn einer nach Deutschland ausgewanderten südindischen Arbeiterfamilie, der Vater Chauffeur in der indischen und anderen Botschaften, die Mutter Putzfrau, gehört zu den deutschen Schauspielern in der Riege hinter den Stars, die Kommissare spielen oder Hauptrollen in Serien. Um so berühmt zu werden, muss man erst einmal solche Rollen bekommen.
Perumal wäre ein Hamlet mit Adjektiv
Perumal hat eine profilierte Schauspielschule besucht, in internationalen Produktionen mit Oscar-Preisträgern gearbeitet und überlebt seit 15 Jahren in diesem für viele prekären Beruf. Er spielt Theater, Comedy, Krimi; alles.
Das Problem ist nur: Wenn Murali Perumal den Hamlet spielen würde, wäre er für viele nicht einfach ein Hamlet, sondern ein migrantischer Hamlet – was Theaterverantwortliche dem, wie Perumal es vor Jahren einmal nannte, „Silbermeer“ im Publikum offensichtlich lieber nicht zumuten; wer weiß, wie groß die Verstörung wäre.
Perumal berichtet seit Jahren von der Logik hinter solchen Entscheidungen. Mal anklagend, wie in einem offenen Brief, den er 2013 schrieb: Die Theater hätten eine Verantwortung, „ein realistisches Bild unserer Gesellschaft abzubilden und nicht ein demografisches Szenario von 1920“. Häufiger abwägend oder auf die lustige Tour, schon weil Herumgepolter schnell Resistenzen hervorruft. Murali Perumal tut es in Diskussionen, Interviews und auf seiner Website, auf der er auch flapsig seine Rollen kommentiert („Als indischer Schauspieler in Deutschland spiele ich einen Ägypter in Tunesien. Knaller!“).
Murali Perumal und ich sind uns schon einmal begegnet. Im Januar 2002 studierte er Schauspiel am Wiener Max-Reinhardt-Seminar, ich Kulturwissenschaften in München. Einer meiner Kommilitonen, Alexander Hirl, begann in dieser Zeit einen Dokumentarfilm über ihn zu drehen, ein Langzeitprojekt, das nicht abgeschlossen ist. Ich hielt die Tonangel.
Perumal und Hirl redeten über Fragen, die heute an die Racial-Profiling-Debatte anschlussfähig sind: Hat ein Schauspieler im deutschsprachigen Raum, dem man ansieht, dass er nicht in zwölfter Generation aus Ostunterfranken kommt, ein Stigma? Wird er nach einer kurzen Gesichtskontrolle von Regisseuren, Produzenten und Zuschauern in Schubladen verräumt, aus denen er schwer wieder rauskommt? Wird Murali Perumal vor allem in der Rolle als indischer Blumenverkäufer Karriere machen?
Er hegte damals zumindest die leise Befürchtung, es könne ungefähr so kommen; erste Rollen, die ihn auf einen Exoten reduzierten, hatte er bereits gespielt.
Was hat sich getan in den vergangenen 15 Jahren?
Wir übernachteten in seiner Studentenbude im 14. Wiener Bezirk, Perumal wies uns in die Kunst des indischen Akzents ein, nur für den Fall, dass er mal als Rosenverkäufer oder Ayurveda-Masseur ausfalle. Wir waren alle nicht mal Mitte zwanzig und duzten uns.
Nun, im Januar 2017, möchte ich wissen, wie die Entwicklung seitdem verlaufen ist.
Es herrscht eine trockene Kälte in Wien, minus ein Grad. Murali Perumal lebt mittlerweile in München, aber nun ist er für zwei Wochen zurück in der Stadt und spielt am Nestroyhof-Theater Hamakom in „Der Idiot“. Sieben Personen hat das Stück, nur einer der Darsteller ist nicht weiß, und der spielt den Mörder: Parfjon Rogoschin. Murali Perumal. Muss das sein?
„Ich bin hier der reiche Kaufmann, der leidenschaftlich ist, der eine Frau haben will und der auch über Mord geht“, sagt er. „Das ist aber kein klassischer Bösewicht, und schon gar nicht spiele ich den aufgrund meiner Herkunft. Nein, das ist eine ambivalente, spannende Figur – ich meine, das ist Dostojewski. Ich arbeite zum dritten Mal mit der Regisseurin, und sie hat mich jedes Mal unabhängig von Hautfarbe und Herkunft besetzt. Zuletzt spielte ich bei ihr einen Anwalt namens Heinrich Brand.“
„Was wäre ein klassischer Bösewicht?“
„Ein Terrorist, zum Beispiel, der in einem Stück eindeutig das Böse markiert. Ein Schlägertyp, ein Drogendealer. Wenn ich solche Rollen bekomme, bekomme ich sie aufgrund meiner Herkunft, so ist es jedenfalls oft im Fernsehen, wenn man dunkelhäutig ist.“
„Es gab etwa diesen ‚Tatort‘ über islamistischen Terror.“
„Das war an sich eine tolle Arbeit, und es ist wichtig für mich, von Millionen Leuten gesehen zu werden. Aber ich war eben ein Islamist. Das Problem bei solchen Rollen ist, dass viele Regisseure und Produzenten mich dann als pakistanischen Terroristen im Kopf haben. Bei einigen reicht die Fantasie nicht, dass man mich auch anders besetzen kann. Und das andere ist, dass man mit solchen Rollen auch ein Bild schafft in der Gesellschaft. Der türkische Schlägertyp, der schwarze Drogendealer, der orientalische Terrorist, da schwingt immer auch mit: Schaut, die sind kriminell, sag ich doch.“
„Viele Schauspieler würden gern einen Bösewicht im ‚Tatort‘ spielen.“
„Ich wäre gern ein Bösewicht, der einfach ein gewiefter Typ ist. Ich kriege aber von Herkunft wegen nur den Terroristen.“
„Hat sich die Befürchtung, vor allem nach Hautfarbe und Herkunft besetzt zu werden, also bewahrheitet?“
„Es gibt in Fernsehen und Film Verbesserungen, muss ich sagen. Es gibt immer mehr Leute mit sichtbarem Migrationshintergrund, die eingesetzt werden; nicht oft in Hauptrollen, aber es gibt mehr. Und im Theater: mehr und mehr. Aber natürlich gab es eine ganze Weile diese Engstirnigkeit: Schiller, was hat der Junge im Schiller zu suchen?“
Alexander Hirl, der Murali Perumals Karriere mit der Kamera begleitet, hat ihn in den vergangenen 15 Jahren Dutzende Male getroffen. Er ist mit ihm nach Südindien gereist, zu seiner Familie, die Bonn wieder verlassen hat, er war in Magdeburg und in Köln, als Perumal dort Theater spielte.
Nun steht Hirl, 36, in seinem Büro, ein Souterrain in Alt-Schwabing, und durchsucht zwei Spindeln nach einer DVD – die mit dem Interview in Wien, Januar 2002. „Hier, such du mal den Stapel durch, wir brauchen die mit der Nummer eins.“
„Er hatte“, sagt Hirl über Perumal, „damals schon Zweifel, ob er als Schauspieler Geld verdienen kann.“ Zumal es Leute gab, die warnten, Perumal müsse doppelt so gut sein wie die anderen. „Er war damals aber zugleich in einer besonderen Aufbruchstimmung“, sagt Alexander Hirl: „Ich schaffe das, und zwar jetzt erst recht.“ So sagt es auch Perumal: „Ich wollte manchen Zweiflern zeigen, dass es möglich ist, es als indischstämmiger Schauspieler zu schaffen. Auch wenn es vor mir keine bekannten indischen Schauspieler in Deutschland gab.“
Seine Schauspielausbildung stand damals vor dem Abschluss, er selbst vor dem Umzug nach Berlin. Er hatte gerade erstmals eine große Kinoproduktion mitgemacht, „Anatomie 2“, ein Horrorfilm mit Heike Makatsch. Seine Figur, ein Arzt, hieß Dirk. Das war ein Signal für Perumal: Dirk, einfach Dirk, wie Stefan oder Thomas. Ein Name, der ihn nicht als Migranten markierte. „Ich habe Dirk gespielt und dachte, jetzt geht’s ab“, sagt er. Ging es aber nicht.
Zuvor, in seiner ersten Fernsehfilmrolle, hatte er den Inder Shirkan gespielt – wie der Tiger Shir Kan im „Dschungelbuch“ –, der in Niederösterreich strandet. Indische Tablamusik, die sich mit Kirchenglocken vermischt, war Teil des Soundtracks – die Unterstellung inklusive, dass da etwas nicht zusammenpasst. Mit solchen Sachen ging es nach „Anatomie 2“ erst einmal weiter. Perumal spielte den indischen Nachbarn mit Obstkorb, einen Küchenjungen oder den besagten Rosenverkäufer. Die Figuren hießen Magesh Tiganjani, Abhay Dhiri, Amal Chopra oder Moraji Desai.
In einer Probenpause, es ist 16 Uhr, zwei Tage vor der Premiere in Wien, sitzt Murali Perumal, beiger Wollkragenpullover, in einem japanischen Restaurant neben dem Theater und bestellt gebratene Nudeln. „Die Namen der Figuren“, sagt er, „sind gar nicht so entscheidend. Es ist vor allem erst einmal wichtig, dass man nicht zum Beispiel Herkunft und Beruf klischeemäßig gleichsetzt: der türkische Gemüsehändler. Oder der indische Rosenverkäufer. Das heißt nicht, dass ich nicht gern Inder spiele, aber ich bin nicht der Inder vom Dienst. Und wenn, dann will ich wenigstens die Community repräsentieren – aber die Inder aus der zweiten oder dritten Generation in Deutschland werden völlig vernachlässigt. Das sind auch Versicherungsmakler und Banker.“
Der Kellner läuft vorbei, Perumal bittet ihn um eine Gabel anstelle der Stäbchen.
„Wenn man jemand Dummen spielt, darf es nicht mit der Herkunft zusammenhängen“, sagt er. „Das muss man trennen. Das war aber leider oft nicht so.“
„Wie kam das mit der Rolle des Dirk?“
„Eine Casterin hat mich ausgewählt, der Dirk musste auffällig aussehen. Das lag daran, dass er an vier verschiedenen Stellen im Film auftaucht und man sich dann jeweils an ihn erinnern muss. Das musste kein Inder sein. Aber mit einem Durchschnittsblonden wäre es schwierig geworden.“
„Schauspieler werden ständig einem Profiling unterzogen, oder?“
„Ja.“
„Ist das problematisch?“
„Nein, das ist ganz normal, diese Typenbesetzung. Es werden im Casting immer bestimmte Typen gesucht. Es könnte aber mehr Typen geben, finde ich.“
„Verläuft die Karriere der meisten Schauspieler dann nicht unter ähnlichen Bedingungen? Auch der Stewart auf dem ‚Traumschiff‘ ist ein Klischee.“
„Nee, nee, meine Karriere verläuft schon anders. Meine Hautfarbe kann ich nicht leugnen, möchte ich auch nicht, aber ich bin ein Mensch mit einer eigenen Persönlichkeit. Und als solcher will ich besetzt werden. Aber die Schauspieler aus Afrika, aus Mittelamerika, aus Asien, die haben es immer schwerer, weil sie in eine einzige Richtung geschoben werden, unabhängig davon, was sie können.“
„Können wir von Racial Profiling am Theater sprechen?“
„Ja. Es ist an Theatern, wenn es um feste Engagements geht, oft so gewesen, dass Bewerbungen anhand des Fotos aussortiert werden, weil es heißt: Nee, da haben wir ja gar keine Rollen für. Aber Sultan Saladin aus „Nathan der Weise“ wird auch oft von Deutschen gespielt, und das ist ein Perser.“
München, Türkenstraße, Alexander Hirls Büro. „Trinkst du Kaffee?“, fragt er und antwortet selbst: „Ach so, ja, du bist ja Journalist.“ Wir gehen über die Straße in ein Café und blättern in den Erinnerungen, die sich 2002 in Wien eingeprägt haben, wie in einem Fotoalbum.
Da war Schnee. Die Schauspielschule, prächtiges Haus. Ich erinnere mich an das Bad von Murali Perumal – weil es, für den Besuch von Verwandten, auch mit einer in Indien gebräuchlichen Waschkanne ausgerüstet war. Bilder wirken, auch wenn sie es gar nicht sollen.
Murali Perumal ist nicht der Einzige in der deutschen Schauspielszene, den das Thema umtreibt, aber er war einer derer, die schon vor Jahren den Mund aufmachten.
Es ist dadurch einiges in Bewegung geraten. Rund um die Münchner Kammerspiele läuft eine Debatte unter anderem darüber, wie sehr ein Theater die Gesellschaft über seine traditionelle bürgerliche Klientel hinaus repräsentieren soll: Besetzt man Stücke auch mit Schauspielern, die Deutsch mit Akzent sprechen? Der Intendant bejaht das, einer „zeitgenössischen Repräsentation der Stadtgesellschaft Münchens“ wegen, wird dafür aber auch kritisiert.
Das Gorki-Theater als Vorbild
Am Berliner Maxim-Gorki-Theater passiert, was Perumal fordert und lobend hervorhebt: Schauspielerinnen und Schauspieler unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe bekommen Engagements, und das Ergebnis ist, dass die Frage, wer wie aussieht, in den Hintergrund gerät – sie sind einfach da.
Auch Murali Perumal selbst hatte ein festes Engagement, am Schauspiel in Köln. 2007 castete das Theater so konsequent Schauspielerinnen und Schauspieler mit sichtbarem Migrationshintergrund, dass die Einwohnerschaft von Köln grob repräsentiert war. Man wollte, sagte Intendantin Karin Beier damals, „eine Selbstverständlichkeit“ herstellen, „so dass nicht jede Besetzung eine dramaturgische Bedeutung hat, sobald ein Darsteller eine andere Hautfarbe hat, als die gewohnte“.
Im Fernsehen gibt es heute mehr migrantische Darsteller. Sibel Kekilli. Pegah Ferydoni. Fahri Yardım ist „Tatort“-Ermittler. Elyas M’Barek ein Posterboy. Und auch für Perumal blieb es nicht bei Rosenverkäufern. Der nächste Dirk kam 2009, sieben Jahre später, eine Rolle als Drogenfahnder in einer ZDF-Krimireihe. Er hieß einfach Herbert Reiser, fertig.
„Es gab immer wieder Regisseure, die das gemacht haben“, sagt Perumal. Heiko Sutter, Rüdiger Zimmermann – auch Figuren mit diesen Namen spielte er. „Und es hat sich niemand beschwert. Warum auch, die Leute fragen sich doch nicht, ist der adoptiert, oder was? Als ich den Herbert spielte, hat eine Zuschauerin geschrieben, welcher Rasse ich angehöre. Aber das war ein Kommentar!“
Die Rolle, die am besten bebildert, was er an der Besetzungspolitik kritisiert, war 2010 die des Rachid im Josef-Hader-Zweiteiler „Der Aufschneider“. Rachid ist ein Taxifahrer, der seinen Fahrgästen mit indischem Akzent von Südfrüchten erzählt. Klassisches Rollenklischee. Bis eine Freundin, gespielt von Meret Becker, ins Taxi steigt.
Sie: „Rachid?“
Er, vor sich hinmurmelnd, dreht sich um und erkennt sie. „Anke?“
Sie: „Was redst denn du für einen beschissenen Akzent?“
Er: „Das ist Indisch.“
Sie: „Das ist Scheiße.“
Er: „Mit Hochdeutsch krieg ich doch keine Kundschaft in Wien.“
Nur, bei aller Bewegung – es gibt, speziell in der Theaterlandschaft, auch noch die Gegenbewegung, die Diversity für Gedöns hält. Am Schauspiel Köln etwa blieben die vielen Ensemblemitglieder mit sichtbarem Migrationshintergrund dann doch weitgehend in der zweiten Besetzungsreihe oder spielten in Stücken, die von Migration handelten. Es gibt Theater in deutschen Großstädten, die keine oder nur eine Person of Colour im festen Ensemble haben. Es gebe nicht genügend gute nicht weiße Schauspieler, heißt es oft zur Erklärung. Wobei man sich dann fragen muss, woher Theater wie das Berliner Gorki die ganzen tollen Leute haben.
Es tut sich etwas. Es tut sich wenig. Wir sind auf einem guten Weg. Wir sind nicht sehr weit. Stimmt alles, je nach Perspektive.
Murali Perumal sagt auch: „Die Flüchtlingsdebatte hat uns gesellschaftlich zurückgeworfen.“ Die Räume für Menschen „mit sichtbarem Migrationshintergrund“, wie er sie nennt, gerade für die der zweiten und dritten Generation, die in Deutschland aufgewachsen sind, seien dadurch wieder enger geworden.
„Hat sich die Polizei in der Kölner Neujahrsnacht angemessen verhalten?“
„Die Polizei hat vor einem Jahr so hart eins auf den Deckel bekommen, dass sie gezwungen war, zu handeln. Es ist für mich verständlich, dass sie dann umso mehr Strenge zeigen wollte. Leider sind diese Dinge damals passiert, und leider waren da Flüchtlinge, Migranten dabei, und daher wurden die halt in die Mangel genommen. Es ist vertrackt. Ich heiße diese Kontrollen, die auf Äußerlichkeiten beruhen, nicht gut, aber ich bin auch froh, dass kontrolliert wird. Die unkontrollierte Öffnung der Grenzen hielt ich für einen Fehler.“
„Kann man am Kontrollaufkommen erkennen, wie die Weltlage ist?“
„Ich wurde kurz nach dem 11. September 2001 zum ersten Mal kontrolliert. Ich habe danach mehrfach die Erfahrung gemacht, dass an einer Grenze ein Zollfahnder in den Zug kommt, schnurstracks auf mich zugeht und danach schnurstracks wieder raus. Ich empfehle Beamten einfach, noch zwei andere Menschen zu kontrollieren. Dann ist es für mich weniger schlimm, auch wenn ich vorher weiß, dass ich dabei bin. Es gab aber auch Phasen, in denen ich nicht kontrolliert wurde. Vielleicht hatte ich ein Buch in der Hand, ich passte irgendwie nicht ins Schema.“
„Vor 2001 gab es keine Kontrollen?“
„Nicht für mich. In Bonn, als Jugendlicher, hatte ich eine großartige Zeit. Bonn war Hauptstadt und entsprechend international. Ich ging auf eine Unesco-Schule, es gab im Grunde alle Nationalitäten, so dass es eigentlich keine Rolle spielte, woher jemand kam.“
„Es gab keine Unterschiede, weil alle unterschiedlich waren.“
„Ich habe mich jedenfalls in meiner Zeit in Bonn nur ein einziges Mal ausgegrenzt gefühlt – als ein Lehrer mich für die Hauptschule empfahl. Meine Eltern waren indische Arbeiter; ich glaube, er traute mir einfach nicht mehr zu. Das zweite Mal war erst, als ich schon an der Schauspielschule war und hörte: ‚Du wirst es schwer haben.‘ “
20.55 Uhr im Nestroyhof. Nach zehn Stunden Proben fällt die Spannung vom Ensemble ab. Raus aus den Kostümen, rein in die Jeans. Probenkritik. Es gibt weißen Spritzer, Weinschorle.
Später in einer Bar im zweiten Bezirk, einen Steinwurf vom Prater entfernt. Elektronische Musik, an der Bar sitzt ein älterer Mann mit Kordjackett und raucht Kette. Ein Journalist? Nein, dafür lächelt er zu viel. Dramaturg? Auch nicht, er trinkt Bier. Vielleicht Uni-Dozent, sagt Perumal.
„Diese Neujahrsnacht in Köln …“
„Ich hätte wahrscheinlich ins Raster der Polizei gepasst. Mich quatschen ja sogar Jugendliche auf Arabisch an. Zu mir hat mal ein Fahnder bei einer Kontrolle gesagt: „Wir haben halt unsere Zielgruppe.“ Aber ich frage mich dann halt, was ist denn die Zielgruppe, indische Hindus?“
„Man kann nicht unsichtbar werden, so wie die meisten anderen.“
„Ja. Und das ist ein Modernitätsverlust.“
„Was tun?“
„Wir, ich meine jetzt uns Schauspieler mit sichtbarem Migrationshintergrund, brauchen Chancen, uns zu zeigen. Wir müssen zeigen können, dass wir in diese Gesellschaft gehören.“
„Und die Zuschauer fragen sich dann: Was soll uns die Besetzung dieses Wilhelm Tell sagen?“
„Mag sein. Aber sobald da noch eine Chinesin im Ensemble steht, ist es anders. Dann schaltet im Kopf etwas um. Dann fällt der, der den Tell spielt, nicht mehr als anders auf. Dann ist das Normalität, eine Selbstverständlichkeit. Dahin würde ich gern. Dass ich nicht der Inder Murali bin. Sondern der Murali.“
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