Schattenwolf nicht mehr ausgestorben: Und da heulen sie nun rum
Die Gen-Manufaktur Colossal Biosciences will den Schattenwolf wieder zum Leben erweckt haben. Zum vor Jahrtausenden ausgestorbenen Urtier fehlt allerdings noch so einiges.
Wann ist ein Mann ein Mann?“, knödelte Herbert Grönemeyer einst, und wem schon diese Frage Kopfzerbrechen bereitet, dessen Begeisterung dürfte sich in Grenzen halten über die Meldung, der Schattenwolf sei wieder da. Denn die Frage, wann ein Schattenwolf ein Schattenwolf ist, ist um einiges komplizierter. Bekannt geworden sind die Tiere vor allem im Fantasy-Genre, zuvorderst durch „Game of Thrones“, wo sie als Superwölfe, Wappentier und etwas exaltierte Familienhunde agieren.
Es gab sie allerdings tatsächlich. Sie ähnelten den heute noch lebenden Wölfen, sind aber nicht ihre Vorfahren. Mit ihrem deutlich massigeren Schädel, kräftigeren Zähnen und den kurzen Beinen am größeren Körper bespielten sie vermutlich eher die ökologische Nische heutiger Hyänen.
Der Name wurde erst in den letzten Jahren populär, zuvor wurde die Art meist etwas sperrig Aenocyon dirus oder Canis dirus genannt, was „Schreckenshund“ bedeutet und im Englischen zum „dire wolf“ führte. Aber der Hundeartige hörte eh nicht drauf, denn er ist vor über 10.000 Jahren ausgestorben. Bis zum Oktober letzten Jahres jedenfalls, folgt man den Verlautbarungen der Genmanufaktur Colossal Biosciences, die sich der De-Extinktion verschrieben hat, also der Kunst, ausgestorbene Arten wieder zum Leben zu erwecken.
Das ist ihr im Fall des Schattenwolfes nun also geglückt, wie sie auf X begleitet von einer Tonspur postet, auf der es so erbärmlich heult, als habe Elon Musk gerade die aktuellen Tesla-Charts gesehen – das erste Schattenwolfheulen seit über 10.000 Jahren. Wissenschaftliche Sensation oder Wolfshit?

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums. Gelebte Debattenvielfalt.
Bekannt aus Game of Thrones
Aus einem 72.000 Jahre alten Schädel und einem 13.000 Jahre alten Zahn haben die Colossals das Genom von Aenocyon dirus extrahiert, es anschließend mit dem des heutigen Wolfes abgeglichen und dabei 20 Unterschiede in 14 Genen erkannt. Die betreffenden Gene wurden per Genscherentechnik editiert, das neu zusammengebastelte Schattenwolfgenom in eine entkernte Hundeeizelle gepflanzt, die wiederum einer Hündin als Leihmutter eingesetzt.
So kamen schließlich drei Schattenwolfwelpen zur Welt, die auf die Namen Romulus, Remus und Khaleesi – eine Game-of-Thrones-Anspielung – getauft wurden. Die Tiere wachsen in einem geheim gehaltenen Privatreservat im Norden der USA auf, zertifiziert vom – kein Witz – US-Tierschutzverein. Und da heulen sie nun rum.
Sieht aus wie ein Schattenwolf, klingt wie ein Schattenwolf – also wird es wohl einer sein? Auch wenn das Genom zu über 99 Prozent übereinstimmt, bleiben vermutlich nicht nur die detektierten 20, sondern womöglich Millionen genetischer Unterschiede zwischen Schatten- und Wolf.
Zurechtgeschnitten wurden vermutlich einfach einige Gene, die bestimmte Merkmale im Aussehen bestimmen, weshalb die Newcomer dem verblichenen Vorgänger womöglich gleich oder ähnlich sehen. Das gesamte Genom aber trägt massenhaft weitere Informationen, deren Bedeutung wir gar nicht kennen, die aber entscheidend sind für das, was eine Art und ihre Anpassungsfähigkeit ausmachen, jenseits so einfacher Merkmale wie „massiger Schädel“.
Exorbitante Kosten
Hinzu kommt, dass ein authentischer Schattenwolf nicht nur genetisch geprägt wäre, sondern wichtige Verhaltensweisen von den Eltern und dem Rudel gelernt haben dürfte, wie es bei Wölfen auch der Fall ist. Mangels Role Models entwickeln Romulus & Co sich also mit ziemlicher Sicherheit zu etwas ganz anderem als dem Tier, das vor 13.000 Jahren einen Zahn verloren hat, selbst wenn sie sich äußerlich gleichen mögen.
Und schließlich macht eine Tierart nicht nur das Genom eines Individuums aus, sondern gerade seine genetische Variation zwischen verschiedenen Individuen. Colossal Biosciences schraubt allerdings, von solchen Einwänden unbeeindruckt, auch an der Wiederauferstehung von Dodos, Beutelwölfen und Mammuts herum. Bei Letzteren konnte die Firma kürzlich den wohl vor allem Frisöre schockierenden Erfolg vermelden, Wollmäuse gezüchtet zu haben, also Mäuse mit Haargenen von Wollmammuts und entsprechend zotteliger Frisur.
Gut möglich also, dass es in absehbarer Zeit zu einer Art Prehistoric Park kommen könnte. Und da ja alle gerade nach sicheren Anlagetipps suchen: Das wäre einer! Denn die Faszination, wieder zum Leben erweckte, vormals ausgestorbene Tiere zu sehen, dürfte ungebrochen sein – wen kümmert es da, wie nah dran am Urtier sie wirklich sind?
So oder so: Den Schutz heute lebender Arten ersetzt das Gengeschnippel nicht. Schon allein wegen der exorbitanten Kosten, aber auch, weil eine Tierart mehr ist als bestimmte sichtbare körperliche Merkmale einzelner Individuen. Weshalb ein Schattenwolf eben auch mehr wäre als ein genetisch veränderter Wolfshybrid. Da kann er rumheulen, wie er will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politologe über Brandmauer und CDU
„Wenn die CDU jetzt klein beigibt, ist sie bald überflüssig“
Juristin über Ja-heißt-Ja-Reglung
„Passives Verhalten bedeutet nicht sexuelle Verfügbarkeit“
Ole Nymoen und die Frage des Krieges
Kampflos in die Unfreiheit?
SPD-Jugendorganisation
Jusos lehnen Koalitionsvertrag ab
Diskussion über Mindestlohn
Der Bluff der SPD-Führung
Nächste Bundesregierung
SPD-Mitglieder stimmen über Koalitionsvertrag ab