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Schamanismus in RusslandMagie gegen Putin

Alexander Gabyschew will von Sibirien nach Moskau laufen, um Russland von „Dämonen“ zu befreien. Ein erster Versuch endete in der Psychiatrie.

Schamane Alexander Gabyschew auf seiner Wanderung gegen die Kreml-Dämonen im Juli 2019 Foto: rfe

Moskau taz | Alexander Gabyschew ist wieder unterwegs – mit zwei Mitstreitern und vier Laikas, robusten sibirischen Rassehunden. 8.000 Kilometer Fußmarsch liegen vor den Wanderern. Als Ziel ist erneut Russlands Hauptstadt Moskau vorgegeben, wo Gabyschew das Land von dem „Dämonen“ Wladimir Putin im Kreml befreien möchte.

Am Stadtrand von Jakutsk wurde die Gruppe von FSB-Geheimdienstlern Anfang der Woche jedoch wieder festgesetzt, berichtet der Menschenrechtler Alexei Prjanischnikow, der die Festnahme auch auf Video festhielt. Angeblich wird dem Schamanen Widerstand gegen die Staatsgewalt zur Last gelegt. Gabyschew soll sich auf der Polizeiwache 2 in Jakutsk aufhalten.

Gabyschew war schon einmal im März bei 40 Grad unter null aufgebrochen. Sechs Monate zog er von Jakutsk mit einem Aluminiumkarren und einigen Anhängern durch die Weite Sibiriens. Im September war Schluss. Sicherheitskräfte setzten den Übersinnlichen in ein Flugzeug zurück in seine Heimatstadt Jakutsk.

Dort verschwand der 51-jährige Magier in einer psychiatrischen Klinik, die den friedliebenden Störenfried auf Zurechnungsfähigkeit untersuchte. Danach stieg der Schamane bei seiner Schwester in Jakutien ab.

Extremistische Umtriebe

Vorher musste er jedoch unterschreiben, dass er das Land nicht verlässt. Auch extremistischer Umtriebe wurde er noch bezichtigt. Extremismusvorwurf und Hausarrest wurden fallengelassen.

„Russland ist mit dir!“, „Freiheit für den Schamanen“ stand auf Plakaten, mit denen Demonstranten ihn nach der Zwangsrückkehr auf dem Leninplatz im ersten Schnee begrüßten. 2.000 Kilometer hatte er bis Transbaikalien schon zurückgelegt.

Auch nach dem Aufenthalt in der Psychiatrie beklagte er sich nicht. Ihm ginge es gut und es gäbe keine Klagen, behauptete er damals. Die repressive Sprache der Sicherheitskräfte schien ihm jedoch Angst einzujagen.

Zwei Dutzend vermummte Nationalgardisten hatten den Schamanen samt Anhängern in einer Nacht- und Nebelaktion am Baikalsee festgenommen. Vorausgegangen war eine Versammlung von Wählern in Ulan-Ude in der Nachbarregion Burjatien. Sie behaupteten, der Kreml-Kandidat für das Bürgermeisteramt sei nur mit gefälschten Stimmen ins Amt gelangt.

Künstliche Depression

„Sascha“ Schamane schaltete sich ein und fand aufmerksame Zuhörer. Eigentlich möchte er eine „Volksherrschaft“ errichten. Das Volk sei in eine künstliche Depression versetzt worden, meint er. Ihm wird auch nachgesagt, zerstörte Harmonie wieder ins Lot bringen zu können.

Ursprünglich plante Gabyschew bei einem durchschnittlichen Tagespensum von 25 Kilometern im August 2020 in Moskau einzutreffen. Dort wollte er den „Dämonen“ mit seinen Anhängern vertreiben. Sollte dies misslingen, würde er wenigstens die schlechten Geister des Präsidenten austreiben.

Gabyschews Mutter hatte ihn nach dem Tod seiner Frau in den Wald geschickt. An der Trauer sei er fast zerbrochen, sagt er. Drei Jahre in der Einöde hätten ihn zum Schamanen gemacht. Heute besäße er Kräfte, mit denen er negative Einflüsse vertreiben könne. Von Beruf ist Gabyschew Historiker, er arbeitete jedoch meist als Schweißer.

Gabyschew ist eine öffentliche Figur. Russland verfolgt sein Schicksal. „Anscheinend nehmen die Herrschenden die schamanische Welt als Bedrohung wahr“, meint Dichter Lew Rubinstein. „Sie glauben selbst an Zauberer und praktizieren den in Melanesien verbreiteten Kargo-Kult. Der besteht aus der rituellen Imitation von Erwachsenenwelt und Zivilisation.“

Kein Haar krümmen

Wahlen, Gerichte und Parlamente seien nur künstliche Nachbildungen, sagt Rubinstein. Die Amtsträger seien selbst „heidnische Schamanen“ und hätten Angst vor dem Geisterbeschwörer. „Plötzlich hat Gabyschew bessere Kontakte zur Welt der Geister als der Schamane aus dem eigenen Hause“, schmunzelt der Dichter.

Gabyschew hielt auch nach seiner Festnahme an seinem Vorhaben fest: „Geh freiwillig, Wladimir“, bat er. Niemand werde Putin ein Haar krümmen. Den Marsch auf Moskau wolle er später fortsetzen, sagte Gabyschew.

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12 Kommentare

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  • Ich glaube, wenn sonst jemand auf dem Standstreifen einer Autobahn läuft, egal in welchem Land, wird da auch eingegriffen. Macht zuweilen sogar Sinn.

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @Hampelstielz:

      Dann müsste aber das an der "Autobahn" parkende Auto links im Bild auch schnell in die Psychartrie geschleppt werden. :)

    • @Hampelstielz:

      Naja, manche Kommentatoren sind der Ansicht, dass alles, was nicht gegen die Menschenrechte verstößt, zu respektieren sei...

  • Vor ein paar Wochen ist meine über 90jährige Tante im Regen aus ihrem Haus losgelaufen, weil sie meinte, sie würde da von irgendwelchen Gerichten und Leuten von der Stadt und vom Staat beobachtet und es lägen Tote in dem Haus.

    Der Rettungsdienst hat sie glücklicherweise frühzeitig entdeckt, bevor sie bis nach Berlin zur Regierung laufen konnte und in die psychiatrische Geriatrie vorläufig gebracht. Ich glaube auch, dass das besser für sie war.

  • Die Anastasia-Bewegung, die in Russland 1997 erfunden wurde, gibt es nun auch in Deutschland. sie macht Propaganda für Familienlandsitze und Siedler, ganz mit Arierkult und esoterischem Antisemitismus. Bei deren "Friedensweg" sind "russische Schamanen" der "anastasia" dabei und



    Scharlatane wie Erich Hambach.



    Politiker der Russischen Regierung begrüßten diese Erneuerungsbewegung.



    vgl. www.herder.de/hk/h...sches-gedankengut/

  • Ob die Mösenaufsteherinnen, Eiernagler Pawlenski oder nun dieser Frischluftguru:



    Jede obskure Gestalt wird abgefeiert. Hauptsache sie krakeelen gegen den gewählten Präsidenten.

    • @Linksman:

      Putin ist für Sie ernsthaft ein frei und willentlich demokratisch gewählter Präsident???

      Die klitzekleinen Vorfälle mit seinen Opponenten haben Sie dabei ja erfolgreich verdrängt...aber macht ja nichts, in Russland gehört das ja zur Demokratie, ist schon alles noch im normalen Bereich. Weitermachen. Jubeln. Verbeugen. Kniefall.

  • Der ist glaub ich schon eine ganze Weile unterwegs - dachte mir schon, dass sie ihn gleich in die Klapse schicken.



    Als nächstes kommt dann ein vermutlich unbekanntes Umerziehungslager.

    Solche Leute haben nämlich tatsächlich das Vermögen, Zauderer und unterdrückt Unzufriedene zu wecken und eine Welle zu machen - und Wellen kann der Kreml ja nun gar nicht leiden.

    Ich wünsch ihm viel Glück.

  • Lieber Herr Donath, ist Gabyschew jetzt der neue Pawlenski, über den wochenlang in westlichen Medien berichtet wurde. Sich die Hoden auf den Roten Platz annageln oder eine FSB-Tür anzünden, wurde als vom Russen verfolgte Hohe Kunst gebrandmarkt. Als er das Gleiche in Frankreich machte und sofort im Knast landete, in dem er noch immer sitzt, krähte kein Hahn mehr nach ihm.

    • 9G
      92489 (Profil gelöscht)
      @Thomas Müller:

      Es ist schlicht und ergreifend die Geschichte eines, durch seine Exzentrik sympathisch erscheinenden, Menschen, der, neben vielen anderen, mit Putin unzufrieden ist und seinen Protest auf - mehr oder weniger im eigentlichen Sinne des Wortes - bemerkenswerte Art zum Ausdruck bringt. Ich habe den Text sehr genossen, denn er präsentiert eine friedvolle Initiative, die, bei allem Ernst der Angelegenheit und trotz der beschwerlichen Reise, eine gewisse Leichtigkeit vermittelt und vor allem vielleicht zeigt, dass bis jetzt wohl noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, um ein Problem zu Lösen. Erinnert ein bisschen an ein Märchen.

    • 9G
      90118 (Profil gelöscht)
      @Thomas Müller:

      leider immer noch aktuell: die feinde meines feindes sind meine freunde.



      nicht mehr und nicht weniger.



      echte humanisten und demokraten benötigen für die eigentliche argumentation nicht die missbräuchliche berufung auf derartige märtyrer.