Satirischer Roman von Jörg-Uwe Albig: Wackliges Unternehmensmodell
Amüsant für die Geiseln des Marktes: Die kapitalismuskritische Satire „Das Stockholm-Syndrom“ von Jörg-Uwe Albig läuft nicht ganz rund.
Doch, wer der Coaching- und Optimierungskultur unserer Tage und deren inhärentem Neusprech skeptisch gegenübersteht, der wird sich mit diesem Roman des Öfteren gut amüsieren. Das liegt in erster Linie an der Ich-Erzählerin Katrin Perger, die nach abgebrochenem Psychologiestudium und einer Arbeit als Familientherapeutin nun als Business-Coach bei der Firma Human Solutions eingestellt wird. Gegenüber jenen, die sie coacht, sagt sie Dinge wie: „Wie geht es Ihnen heute mit Ihrem Thema?“, „Ich möchte Ihnen gern einmal spiegeln, wie Ihr Verhalten auf mich wirkt“ oder „Ich lade Sie ganz herzlich ein, dabei mit mir zusammenzuarbeiten“.
Doch das junge Unternehmen, bei dem Katrin Perger anheuert und das sich in der Selbstbeschreibung mit blumiger Prosa schmückt, ist keine normale Firma. Human Solutions hat sich auf Entführungen spezialisiert und sondiert den Markt nach geeigneten Opfern.
Ihr aktueller „Klient“ ist der Kunstsammler Frido von Sendmühl, den man auf einer Berghütte gefangen hält. Coach Katrin Perger wiederum verfügt über – allerdings etwas dünne – Expertise in Sachen Entführungsopfer: In ihrer unvollendeten Diplomarbeit hat sie sich mit dem als Stockholm-Syndrom bekannt gewordenen Phänomen beschäftigt, nach dem sich Geiseln mit ihren Geiselnehmern solidarisieren – und dieses Prinzip auf den Kapitalismus übertragen. Nach dem Motto: Wir sind alle Geiseln des Marktes, er hält uns gefangen, aber wir lieben ihn. Der Titel ihrer Arbeit: „Das Stockholm-Syndrom und der sadomasochistische Geist des Kapitalismus“.
Das neue Buch des Journalisten und Schriftstellers Jörg-Uwe Albig, das genauso heißt, ist, man ahnt es, eine Kapitalismussatire. In der Handlung macht Albig sich einerseits über die Start-up-Kultur lustig und darüber, was der Business-Slang im Zeitalter des Digitalkapitalismus verschleiert. Anderseits seziert er den (Selbst-)Optimierungswahn unserer Zeit. Albig hat zuletzt die gefeierte Satire „Zornfried“ (2019) vorgelegt, in der er den medialen Umgang mit neurechten Thinktanks, wie Götz Kubitschek sie betreibt, thematisiert.
Nicht einen Cent wert
Wie wacklig das Unternehmensmodell von Human Solutions ist, soll sich gleich im Fall Frido von Sendmühl zeigen. Denn niemand aus seiner Familie ist bereit, die von der Firma geforderten Millionen zu zahlen. Sowohl Geisel als auch Geiselnehmer geraten so in eine Krise, beide haben einen Coach wahrlich nötig.
Jörg-Uwe Albig: „Das Stockholm-Syndrom und der sadomasochistische Geist des Kapitalismus“. Klett-Cotta, Stuttgart 2021, 240 Seiten, 20 Euro
So erfährt Frido von Sendmühl schmerzlich, dass er seiner Familie und seiner Frau nichts wert ist, was Therapeutin Perger ihn auch wissen lässt, als sie ihn in seinem Verlies besucht: „Ich will keine voreiligen Schlüsse ziehen, fuhr ich fort. Aber man könnte die Hypothese aufstellen, dass Sie ihr [seiner Frau] nichts wert sind. Nicht zwanzig Millionen, nicht zehn, nein, nicht mal einen einzigen Cent. […] Wie geht es Ihnen, fragte ich mit gedämpfter Stimme, wenn Sie das hören.“
In dieser scheinbar ausweglosen Situation, die Albig da heraufbeschwört, spiegelt sich das Stockholm-Syndrom natürlich in genau jener zweifachen Hinsicht, die in der Diplomarbeit behauptet wird. Das ist geschickt angelegt. Neben der Haupthandlung streut Albig Passagen aus dieser unfertigen Abschlussarbeit ein, darin stehen Aussagen von Entführungsopfern wie Natascha Kampusch neben soziologischen Thesen über den heutigen Kapitalismus und Schriften über Sadomasochismus.
Das ermüdet in der Redundanz manchmal, denn es läuft oft auf ähnliche Schlussfolgerungen hinaus. Das klingt dann so: „Wie der moderne Kapitalismus sagt der Geiselnehmer zu seinen Geiseln: Wir sitzen alle in einem Boot. Wenn es mir gut geht, habt ihr es auch gut. Wenn es mir schlecht geht, seid ihr verloren.“
Was Albig gut gelingt, ist die Leerformeln der schönen, smarten neuen Unternehmenswelt zu entlarven. Gut unterhalten nimmt man auch so manchen Kalauer in Kauf (eine Firma, die mobile Toiletten vermietet, heißt etwa „Lokus Pokus“, hm …).
Mit der Analogie zwischen Stockholm-Syndrom, Kapitalismus und psychosexuellen Phänomenen, wie sie hier aufgemacht wird, geht es einem aber zuweilen wie mit der Diplomarbeit von Katrin Perger: Sie scheint ein bisschen unfertig, es scheint alles zu einfach aufzugehen, und man kann ihre Annahmen – so wie ihr Professor in der Handlung – durchaus anzweifeln. Dass die in Teilen wirklich gelungene Satire auf diesem Gedankenspiel basiert, das eher an der Oberfläche bleibt, ist somit ein Grundproblem dieses Buchs.
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