Sanktionen für mündige Fußballprofis: Wirrer Widerspruch
Antirassistische Bekenntnisse gehören nicht bestraft. Sogar die Fifa stellt fest, dass ihre Regeln mit dem gesunden Menschenverstand unvereinbar sind.
Die Lage ist verwirrend. Einerseits finden die großen Fußballverbände Rassismus, Diskriminierung und Gewalt so im Allgemeinen voll daneben. Um das zu demonstrieren, bedrucken sie Spielertrikots gern mit dem Wort „Respekt“, damit es auf dem Spielfeld vor Respektbotschaftern nur so wimmelt. Besonders beliebt ist es unter den passionierten Spielregelhütern, dem Rassismus einfach mal plakativ die rote Karte zu zeigen. Andererseits mögen die Fußballfunktionäre beim DFB und der Fifa Proteste, die für die konkrete Umsetzung dieser Grundsätze werben, gar nicht. Plötzlich kippt das Ganze in ihren Augen ins Politische. Und Politik hat auf dem Spielfeld nichts zu suchen. Eine eherne Sportregel, die sich in den Satzungen der Sportverbände wiederfindet.
Deshalb hat der DFB nun erklärt, dass man die Gedenkbekundungen am Wochenende von Weston McKennie, Marcus Thuram, Jadon Sancho und Achraf Hakimi mit dem verstorbenen Schwarzen US-Amerikaner George Floyd, der Opfer rassistischer Polizeigewalt wurde, einerseits irgendwie toll und andererseits irgendwie blöd findet. DFB-Präsident Fritz Keller bekundete, er sei stolz auf Spielerinnen und Spieler, die Haltung zeigten. Und: „Moralisch kann ich die Aktionen am vergangenen Wochenende absolut verstehen.“
Erläutert wurde aber in dem gleichen Schriftsatz, warum die DFB-Justiz nun Untersuchungen anstellen muss. Es ginge um einen möglichen Verstoß einer Fifa-Regel, der man sich unterworfen habe und die man brav zitierte: „Die Ausrüstung darf keine politischen, religiösen oder persönlichen Slogans, Botschaften oder Bilder aufweisen.“
Sprich: Der um moralisch Integrität bemühte DFB verwies auf eine höhere Macht. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im Jahre 2014 bereits der damals für den 1. FC Köln stürmende Anthony Ujah sich mit einer T-Shirt-Botschaft solidarisch mit dem Schwarzen US-Amerikaner Eric Garner zeigte, der zu der Zeit ebenfalls von einem weißen Polizisten zu Tode gewürgt wurde. Trotz der Fifa-Regel verzichtete der DFB in diesem Fall auf eine Strafe. DFB-Chefankläger Anton Nachreiner kündigte damals jedoch an, mehr Ausnahmen werde es künftig aber nicht mehr geben.
Angst vor Imageschaden
Möglicherweise hat die Erinnerung daran die Fifa nun aufgeschreckt. Um in der politisch aufgeheizten Atmosphäre einen größeren Imageschaden vom Fußball abzuwenden, empfahl der Weltverband am Montagabend bei der Beurteilung der aktuellen Ereignisse in der deutschen Bundesliga die Nutzung des „gesunden Menschenverstands“. Man verstehe „die Tiefe der Gefühle und Bedenken, die viele Fußballer angesichts der tragischen Umstände des Falles George Floyd zum Ausdruck bringen“.
Die Fifa wirbt also unverhohlen für einen Freispruch der Regelbrecher. Das Eingeständnis, dass das eigene Regelwerk nicht in Einklang mit dem gesunden Menschenverstand gebracht werden kann, ist so spektakulär wie folgerichtig. Das Bekenntnis der Fußballverbände zum Antirassismus ist mit einer neutralen politischen Haltung noch nie zu kombinieren gewesen. In der zugespitzten politischen Stimmungslage scheint dieser Widerspruch selbst den Fifa-Funktionären nicht mehr vermittelbar zu sein.
Gegen den gesunden Menschenverstand verstieß es allerdings auch, als die Fifa 2016 die britischen Fußballverbände mit einer Geldstrafe sanktionierte, weil sie in ihren WM-Qualifikationsspielen mit einer Klatschmohnblüte an den Tag des Waffenstillstandes im Ersten Weltkrieg erinnerte. Die Fifa sollte die aktuellen Ereignisse zum Anlass nehmen, ihr Regelwerk zu überarbeiten. Sie sollte nicht diejenigen kriminalisieren, die das umgesetzt sehen wollen, wofür die Fifa und der DFB sich gern mit großen Kampagnen einsetzen: für Respekt und ein Miteinander ohne Rassismus, Diskriminierung und Homophobie.
Wenn der DFB-Chefankläger nun dank der Fifa-Einflüsterung vermutlich von einer Sanktion absieht, sollte er in seiner Begründung das Wort Ausnahme meiden. Die Ausnahme muss endlich zur Regel gemacht werden. Engagement gegen Rassismus sollte nicht allein den PR-Strategen in den Verbänden vorbehalten bleiben.
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