Saisonstart Volksbühne Berlin: Bewaffnete Thesen
Ab Samstag spielen die Theater wieder. Die Volksbühne machte den Aufschlag mit dem „Kaiser von Kalifornien“ von Alexander Eisenach.
Im gerade erschienenen Jahrbuch von Theater heute sieht man ein großes Bild von den leeren Treppenstufen vor der Berliner Volksbühne, das an die Zeit des Lockdowns erinnert. Jetzt dürfen die Theater wieder spielen, unter Auflagen, bei großem Abstand zwischen den Zuschauern. Kleine Gruppen standen also am Donnerstagabend wieder auf der Treppe der Volksbühne, die mit einer „Nachspielzeit“, vom Frühjahr auf Spätsommer verschobenen Premieren, die neue Saison beginnt. Auch das Gorki Theater und das Deutsche Theater laden zu ersten Premieren an diesem Wochenende.
Und doch ist die Stimmung verhalten, die große Freude bleibt aus. Man geht mit klammen Schritten in den großen Saal, ahnt man doch, dass für so wenige Besucher zu spielen ein Verlust für die Kassen des Hauses sein muss. Dabei ist eine Uraufführung angekündigt, „Der Kaiser von Kalifornien“, in der der Regisseur Alexander Eisenach vom Goldrausch in Kalifornien erzählt, von der Sehnsucht nach einem besseren Leben, von der Hoffnung auf ein Paradies anderswo.
Fast ohne Text kommt Eisenach die ersten zwanzig Minuten aus, ein Treck zieht über die Bühne und durch schwarz-weiße Filmbilder, nimmt die Bildsprache von Western und Siedlergeschichten auf. Ein Fort steht auf der Bühne, ein Mühlrad dreht sich. Die ersten Weinreben werden gepflanzt, das erste Brot wird verteilt, für einen kurzen Moment glauben die Auswanderer, sie seien im Paradies angekommen.
In einer triumphierenden Rede erinnert ihr Anführer (Johanna Bantzer) daran, dass viele auf dem Weg dorthin in der Wüste verdurstet oder im Meer ertrunken sind. Da wird die Geschichte von den frühen weißen Siedlern in den USA und ihrer Suche nach Glück wie selbstverständlich überblendet von der der Migranten von heute, die nach Europa wollen.
Live-Musik treibt voran
Dieser erste Teil enthält schon das Versprechen, die Geschichte mit der Gegenwart zu verbinden. Er ist packend inszeniert, im Rhythmus von Livemusik (von Sven Michelson und Niklas Kraft) und der Bewegung der Performer fast ein suggestives Tanztheater, leicht pathetisch überhöht in den Filmbildern, aber auch schon ironisch gebrochen. Vor dem ersten Kameramann, der auf sie zukommt, weichen die Schauspieler:innen angstvoll zurück, ziehen sich Tücher vor Mund und Nase, wie überhaupt das Tuch des Westernhelden, das den von Hufen aufgewirbelten Staub fernhalten soll, hier wiederholt als Mund-Nasen-Schutz genutzt wird. Kein wichtiges, aber ein dankbar registriertes Detail.
Das Farmleben also hat sich in dieser ersten Episode prächtig entwickelt, da wird Gold gefunden. Mit spitzer Hacke drischt eine Schauspielerin (Sarah Franke) auf den Bühnenboden ein und malt ein Bild vom Leben als Glücksspiel. Ihre Aktion lässt keinen Zweifel, ab jetzt hat man es mit Wahnsinnigen zu tun.
Nach dieser Szene entwickelt sich das Geschehen auf der Bühne sprunghaft. In einem großartigen Dialog diskutieren zwei Kopfgeldjäger über den Fortschritt und das Glück: Während der eine (Robert Kuchenbuch) einem Freiheitsideal anhängt, das sich nur in der Wildnis verwirklichen kann, die er schwer romantisiert, kotzt den anderen (Sebastian Grünewald) diese Fortschrittsfeindlichkeit an, und er verteidigt die Zivilisation und die beginnende Industrialisierung, verliert sich aber schließlich im zärtlichen Streicheln einer Maschine.
Eine Geschichte? Eine Geschichte gibt es nicht
Ihr Gefangener (Manolo Bertling), der sich währenddessen schon fast verpisst hat, hört schließlich fasziniert zu. Später gründet er mit einem der beiden eine Bank.
Es gibt also die Siedler, die Goldgräber, die Banker, aber in eine Geschichte eingespannt erlebt man diese Figuren kaum. Das erschwert auf die Dauer die Aufmerksamkeit, der Sog des Anfangs ist dahin. Man fühlt sich ein wenig, als hätte man einen Abenteuerroman kaufen wollen und stattdessen ein Sachbuch in den Händen, von frischen Studienabgängern der Soziologie oder Ökonomie geschrieben.
Die Reden der Figuren, von denen man nur aus der Vorankündigung weiß, dass sie auf historischen Vorlagen beruhen, sind metaphernreich, essayistisch, sie entwerfen verschiedene Konzepte von Glück, von Fortschritt, von Kapitalismus, die sie im großen Showdown mit Pistolen und Gewehren gegeneinander verteidigen.
Das hat stellenweise Witz, zieht sich aber oft auch ganz schön lang hin. (Die Aufführung geht über zweieinhalb Stunden, das Belüftungssystem der Volksbühne erlaubt diese Dauer.) Nicht selten fühlt man sich, schließlich sitzt man in der Berliner Volksbühne, an das Theater von Frank Castorf oder die Worttiraden von René Pollesch erinnert, aber eher mit einem schwachen Abklatsch des Originals. Der Text, den Alexander Eisenach selbst geschrieben hat, will zu viel auf einmal. In ein, zwei Sätzen hüpft er von Goldgräbern über Derivatehändler ins Silicon Valley. Der Blick aufs große Ganz aber versuppt in unklarer Brühe.
Einmal geht der eiserne Vorhang herab, und durch eine kleine Tür tritt ein Schauspieler vor, der von der großen Pause redet, dem Moment, in dem man hätte überlegen können, ob die Welt zu verändern nicht doch möglich wäre. Aber seine Gedanken verfangen nicht, seine Stimme verliert sich in dem großen Raum, bald läuft die Theatermaschine weiter.