Sachbuch „Die Erfindung der Hausfrau“: Mutti lädt das Gewehr nach
Evke Rulffes rekonstruiert in ihrem Buch die Erfindung und Entwicklung der Hausfrau. Es offenbart Einblicke in Moral, Ökonomie und Gendergap.
Lange Zeit durfte man auch als Feministin die Hausfrau als Horror- und Schreckbild betrachten, ihren (vermeintlich selbstgewählten) Rückzug ins Häusliche belächeln. Seit einigen Jahren verhält es sich anders.
Statt die Hausarbeit mit männlichem Blick abzuwerten, wird die ökonomische und soziale Bedeutung der unentgeltlich erledigten Care-Arbeit hervorgehoben. Trotzdem bleibt die Hausfrau eine Problemfigur. Evke Rulffes widmet ihr nun ein Buch: „Die Erfindung der Hausfrau“. Es liefert, anders als man zunächst annehmen könnte, weniger eine politische Streitschrift zur Rehabilitation der Figur als vielmehr einen kulturhistorischen Abriss der Entwicklung der Hausfrau.
Und der erweist sich als enorm spannend, zeigt er doch, wie die einst respektierte und qualifizierte Figur der Hausmutter, die das 17. und 18. Jahrhundert mit allerhand Traktaten bedachte, Schritt für Schritt zu einer sozialen Problemfigur wurde: von Konservativen zum Idealtypus stilisiert, vom linksliberalen Milieu eher abgewertet.
So konnte man noch vor gut einem Jahrzehnt in der Werbung das Lob auf die „Familienmanagerin“ hören. Das verwies einerseits auf professionelle Fähigkeiten des Wirtschaftens – weswegen sich auch ausgerechnet Angela Merkel auf die sprichwörtlich kluge wie sparsame „schwäbische Hausfrau“ berufen konnte. Andererseits deutete es aber auch auf die Unentbehrlichkeit der Mutter/Hausfrau hin – wie soll so ein Betrieb denn ohne eine Managerin laufen? Das freilich verlieh dem Lob einen reaktionären Twist.
Das Hausmuttermanagement
Rulffes zeigt nun, dass die anfängliche Rolle der Hausmutter tatsächlich eher im Management beispielsweise großer Gutshöfe bestand. Nie im Leben hätte die Hausmutter selbst gebacken oder die Wäsche gewaschen. Vielmehr leitete sie ihr Personal an und traf grundlegende ökonomische Entscheidungen für den Hof: Welche Waren des täglichen Bedarfs sollten selbst hergestellt werden? Vom einfachen Leinen bis zum Lampenöl musste für jede Haushaltsware eine sorgfältige ökonomische Kalkulation getroffen werden.
Die Autorin beleuchtet einen in Vergessenheit geraten Typus von Ratgeber, die Hausmutter- und Hausvater-Literatur. Besonders gründlich untersucht sie das Hausmutter-Buch von Christian Friedrich Germershausen, das nicht nur allerhand alltagspraktische Tipps, von Kuchenrezepten bis hin zu Serviervorschlägen, beinhaltet (man möge doch bitte die Maden vor dem Servieren aus dem Käse entfernen), sondern auch die groben Seiten des Hausmutterdaseins beleuchtet: Im Falle eines Überfalls auf das Haus fällt es der Hausmutter zu, das Haus zu verbarrikadieren und das Gewehr nachzuladen.
Evke Rulffes: „Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung“. Harper Collins, Hamburg 2021, 288 Seiten, 22 Euro
Die Pointe besteht aber darin, dass zu Germershausens Zeit die Hausmutter-Literatur aufgrund sozialer und ökonomischer Umwälzungsprozesse bereits überholt ist. So wie auch das gezeichnete Bild der Hausmutter/-frau immer schon Fiktion ist. „Ratgeberliteratur ist normative Literatur, die ein fiktives Ideal als Normalität verkauft.“
Das gilt auch für die Schriften Jean-Jacques Rousseaus, der ein neues Mutterideal formt, das das Bild der bürgerlichen Hausfrau und Mutter fortan prägt. Der Wandel von der managenden Hausmutter zur Hausfrau, die vor allem für Fragen der Reproduktion verantwortlich ist, „verläuft über die Schnittstelle der Figur der Mutter“.
Sie soll nicht arbeiten
Aber es muss noch ein weiterer Aspekt hinzutreten: Die bürgerliche Frau und Mutter soll, dem Ideal nach, nicht arbeiten; aber im Rahmen der ökonomischen und sozialpolitischen Umbrüche des 19. Jahrhunderts gelingt es bürgerlichen Männern nicht mehr, ein ausreichend großes Einkommen zum Unterhalt von Frau, Familie und Gesinde zu erzielen. Also fallen die vormals von Personal gegen Entgelt verrichteten Tätigkeiten der Hausfrau zu.
So stellt sich die Erfindung der Hausfrau als Abschluss eines Prozesses dar, der sowohl von moralphilosophischen Überlegungen wie ökonomischen Zwängen geleitet ist. Den ökonomischen Wert der Care-Arbeit auch für die Gesellschaft auszuweisen, ist daher der erste Schritt zur Überwindung der Entwertung der Figur der Hausfrau.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels