Buch über Schlafstätte des Menschen: Eine Bettgeschichte
Die menschliche Ruhestätte war nicht immer nur privat: Nadia Durrani und Brian Fagan gehen in ihrem Buch der Kulturgeschichte des Bettes nach.
Wer heute einen Blick in William Shakespeares Testament wirft, dem sticht ein pekuniärer letzter Wunsch ins Auge: So vermachte der berühmte Dramatiker seiner Frau Ann nur das „zweitbeste“ Bett. Generationen von Shakespeare-Forschern zerbrachen sich deshalb den Kopf. Handelte es sich um eine Herabsetzung seiner Ehefrau? Oder stand der Frau schon aus geschlechterpolitischen Gründen nicht das beste Bett zu?
Was auch immer der Grund für das Bett zweiter Wahl gewesen sein mag, die kleine historische Anekdote verweist auf die vergessene Bedeutung des Bettes für die Menschheitsgeschichte. Abhilfe schaffen nun Nadia Durrani und Brian Fagan, die mit „Was im Bett geschah“ eine kleine Kulturgeschichte des Bettes vorlegen.
Den Autoren geht es in ihrem kurzweiligen, anekdotenreichen Buch einerseits um das, was schon immer im Bett stattgefunden hat – Schlafen und Sex etwa. Aber auch um all jene Dinge, die wir heute eher nicht mehr mit der Bettstatt verknüpfen. Höfische Kultur und Politik beispielsweise.
Zwischen Früher Neuzeit und dem Barock avanciert das Bett zum staatstragenden Ort. Das hat einen einfachen Grund. Betten waren teure Haushaltsgegenstände. Prunkvolle Betten in großer Zahl in seine Räumlichkeiten integrieren zu können, setzte Reichtum voraus, umso mehr, als sich eine große Dienerzahl um das tägliche Machen der Betten kümmern musste.
Die Geburt bezeugen
So mancher Monarch lenkte seine Regierungsgeschäfte vom Bett aus. Wenn es stets zwei Körper des Königs gibt – den tatsächlichen und den symbolischen –, ließe sich wohl sagen, dass das Bett stets den beiden Körpern des Königs diente. Auch Geburten zukünftiger Thronfolger fanden in Betten statt und konnten zu öffentlichen Ereignissen werden – jedenfalls für die Hoföffentlichkeit, die sie bezeugte.
In Großbritannien gehörte es über Jahrhunderte zur Pflicht des Innenministers, der Geburt des Thronfolgers beizuwohnen. Erst bei der Geburt von Prinz Charles 1948 verzichtete man auf diese Praxis.
Die Geburt ist überhaupt ein wichtiges Thema, verlagert sich aber erst spät in der Menschengeschichte ins Bett. So gibt es gleich zwei Bettrevolutionen im Kontext der Geburt: Über Jahrtausende hinweg hockten oder knieten Frauen bei Geburten, was etwa zur Entwicklung von Geburtshockern führte. Im Bett gebaren zuerst adelige Frauen – nicht unbedingt aus Gründen des Komforts; man konnte die Gebärende hier leichter mit Decken und Tüchern verhüllen und ihren Körper Ärzten zugänglich machen.
Dann folgt die zweite Revolution: Heute wird die absolute Mehrheit der Kinder, jedenfalls in den Industrienationen, in Krankenhausbetten geboren. Dieser Umstand gibt den Autoren die Gelegenheit, einen kleinen Abriss der Geburtsgeschichte zu liefern – mit bisweilen grausigen Details, etwa wenn man sich frühe Versuche der „Geburtshilfe“ vor Augen führt.
Ein anderer Schlafrhythmus
Unterhaltsamer geht es da schon in Fragen der Bettgymnastik zu. So wird ausführlich von den sexbezogenen Regularien und Riten des alten chinesischen Kaiserhofes berichtet. Und natürlich kommt auch das Kamasutra zu Wort.
Die vielleicht interessanteste Frage, der das Buch nachgeht, betrifft allerdings das Schlafen selbst. So gibt es inzwischen Forscher, die überzeugt sind, dass unser Schlafrhythmus, zu dem sechs bis acht Stunden Nachtschlaf gehören, erst mit der Industrialisierung und der künstlichen Beleuchtung aufkam. Es gibt jedenfalls Anzeichen dafür, dass Menschen zuvor in Intervallen schliefen.
Nadia Durrani, Brian Fagan: „Was im Bett geschah. Eine horizontale Geschichte der Menschheit“. Aus dem Englischen von Holger Hanowell. Reclam Verlag, Stuttgart 2022, 269 Seiten, 24 Euro
So wachte man vermutlich gegen Mitternacht auf, um sich ein Nachtmahl zu gönnen und etwas zu spielen oder sich anderweitig zu beschäftigen. Davon kündigen einige Tagebücher berühmter Persönlichkeiten, die ihre nächtlichen Aktivitäten immerhin erwähnen.
Dass so wenig über die Praxis des Schlafens vor der Moderne bekannt ist, liegt daran, dass sich niemand die Mühe machte, etwas über das Schlafverhalten zu notieren, handelte es sich doch um die alltäglichste Sache der Welt. Durranis und Fagans Bettgeschichten könnten nun aber dazu führen, dass man sein profanes Bett mit völlig neuen Augen betrachtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben