Mutterschaft zum Gruseln: Diese Wut in ihrer Brust

Eine Mutter mit sechs Zitzen? Der Roman „Nightbitch“ der jungen US-amerikanischen Autorin Rachel Yoder stellt das Mutterbild auf den Kopf.

Portrait der Schriftstellerin Rachel Yoder.

Rachel Yoder geht der Frage nach: Was, wenn die skandalöse Seite der Mutterschaft durchbricht? Foto: Nathan Biehl

Gleich zu Beginn des Romans „Nightbitch“ ertastet die namenlose Protagonistin ein winziges Büschel schwarzer Haare in ihrem Nacken. „What the fuck?“, fragt sie sich da noch. Von da an geht ihre Verwandlung zügig voran.

Ihre Eckzähne werden immer spitzer, ihre Augenbrauen buschiger, ihr Geruchssinn schärfer. Eines Tages entdeckt sie einen schmerzenden Hubbel am Ende ihrer Wirbelsäule, aus dem schon bald Haare sprießen. Unter ihren Brüsten wachsen vier weitere Nippel. Oder besser gesagt Zitzen. Aus der Mutter eines zweijährigen Sohnes wird „Nightbitch“: eine Art Hund-Mensch-Wesen, eine Chimäre, ein Monster.

Selten hat sich ein Roman so stark nach Befreiungsschlag angefühlt wie dieser Debütroman der US-amerikanischen Autorin Rachel Yoder. In den USA wurde er bereits gefeiert, mit Amy Adams in der Hauptrolle wird er gerade verfilmt.

Viel ist in den vergangenen Jahren über die existenzielle Erfahrung der Mutterschaft geschrieben worden. Über die alles verschlingende Unglaublichkeit, ein Lebewesen zu gebären. Die nie endende Verantwortung. Den entfremdeten Körper. Die Müdigkeit. Die eigenen und gesellschaftlichen Erwartungen. All diese Unfassbarkeiten. Die schon immer, je länger darüber nachgedacht wird, etwas Mons­tröses hatten und haben. Und die von den meist pastellfarbigen und weich gezeichneten gesellschaftlichen Vorstellungen von Mutterschaft weit entfernt sind.

Die skandalöse Seite der Mutterschaft

Es sind genau diese Gedanken, die Yoders Roman mit seiner Mutter-Hund-Werdung konsequent zu Ende denkt. Was passiert, wenn die wilde, die skandalöse, die unfassbare Seite der Mutterschaft radikal durchbricht? Und sich dann in ihrer unglaublichen Monstrosität in aller Öffentlichkeit zur Schau stellt?

Rachel Yoder: „Nightbitch“. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Klett-Cotta, Stuttgart 2023, 304 Seiten, 24 Euro

Auch Yoders Protagonistin hat versucht, eine perfekte Mutter zu sein, ja sogar die „beste unter allen Müttern“. Ihre Karriere als Künstlerin hat sie aufgegeben, um „rund um die Uhr für ihren Sohn da sein zu können“. „Sie wusste, sie war eine dieser privilegierten, überqualifizierten Hausfrauen in der amerikanischen Provinz.“ „Glück ist eine Entscheidung“, sagt auch ihr sich ständig auf Geschäftsreise befindender Ehemann zu ihr. Er ist ein echter Homo Faber: Ein Ingenieur, der „wenig Zeit für Gefühle“ hat und „Intui­tion mit geduldiger Herablassung“ betrachtet.

Yoders Roman funktioniert ein bisschen wie eine Versuchsanordnung. Da ist die fast schon überzeichnete Banalität des Mütteralltags in einer US-amerikanischen Kleinstadt-Idylle. Da werden Wickelbeutel aus Kinderwägen gezerrt, Schnodderspuren aus dem Gesicht gewischt, Achseln nass geschwitzt.

Treffen der Mütter aus Spielplätzen

Da treffen sich Mütter auf Spielplätzen, bei Vorlese-Events in der Bibliothek und beteiligen sich an dubiosen Geschäftsmodellen mit esoterischen Kräutermischungen. Und da gibt es natürlich die perfekte Anführer-Mutter mit ihren immer adrett gekleideten Zwillingen.

Was für ein Vergnügen für Yoder – und den Leser –, wenn sie diese Stepford-Welt mit zum Teil urkomischen, surrealen Momenten, grotesken Szenen und mythischen Figuren aufmischt, die die Verwandlung ihrer Protagonistin mit sich bringen und vorantreiben. Denn für diese fühlt es sich – allem Glück zum Trotz – eben auch so an, als sei seit der Geburt ihres Sohnes „die Last der gesamten Menschheit bei ihnen eingezogen“.

Und dann ist da diese Wut. Diese Wut, „die immer stärker in ihrer Brust brennt“ und sie eines Nachts, als ihr Sohn weint und der Ehemann einfach weiterschläft, mit lautem Geheul und nackten Füßen durch die Scherben der auf den Boden gefallenen Nachttischlampe laufen lässt. Seit dieser Nacht ist sie nicht mehr „Mutter“, sondern „Nightbitch“.

Und das ist nur der harmlose Anfang. Im Laufe des Buchs wird „Nightbitch“ noch die Nachbarsgärten vollkacken, diversen Kaninchen und anderen Kleinnagetieren lustvoll den Hals umdrehen und der Hauskatze mit einem Messer den Bauch aufschlitzen. Sie wird ihrem Sohn eine Hundeleine kaufen, ihn in einem Hundebett schlafen lassen und rohes Fleisch zum Essen geben.

Auch wenn sie sich anfangs noch dagegen wehrt: Umso mehr „Nightbitch“ ihrem animalischen Trieb nachgibt, um so besser geht es ihr

Am Ende des Romans wird sie als Mutter-Hund-Wesen auf einer Bühne stehen und ihrem Sohn während einer weltweit für Furore sorgenden Performance ein lebloses Kaninchen überreichen.

Auch wenn sie sich anfangs noch dagegen wehrt: Umso mehr „Nightbitch“ ihrem animalischen Trieb nachgibt, um so besser geht es ihr. Und tatsächlich ist Nightbitchs Hund-Werdung geradezu kathartisch. Nicht nur für Nightbitch. Auch für ihren Sohn, ihren Ehemann. Und für – nun ja – nicht alle. Aber für alle, die diese Wildheit, das Brodeln unter dem Funktionieren, dem Kompromissemachen und dem Irgendwie-einfach-so-vor-sich-hin-Leben auch verspüren. Das macht Yoders Roman so erfrischend. Sie gibt dem Thema Mutterschaft ein ganz neues, ein utopisches Potenzial.

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