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Sacharow-Preis für Alexei NawalnySie sind nicht vergessen

Kommentar von Barbara Oertel

Symbolische Solidarität für die russische Opposition ist wenig und besser als nichts. Aber beileibe nicht genug.

Alexej Nawalny bei einer Gerichtsanhörung im Juni in Moskau Foto: Uncredited/Babuskinsky District Court/AP/dpa

E rst der Friedensnobelpreis für den Journalisten Dmitri Muratow, jetzt der Sacharow-Preis für Menschenrechte, mit dem das EU-Parlament den Kremlkritiker Alexei Nawalny ehrt: So viel internationale Aufmerksamkeit und Solidarität von höchster Stelle für die russische Opposition gab es schon lange nicht mehr.

Die damit verbundene Botschaft lautet: Ihr seid nicht vergessen, wir lassen euch nicht allein. Das macht Mut und verleiht Stärke – zumindest moralisch. Vor allem für diejenigen, die ein anderes Russland wollen und dafür Leib und Leben riskieren, ist das nicht wenig und besser als nichts. Aber beileibe nicht genug.

Denn zu glauben, der Sacharow-Preis könne für den inhaftierten Nawalny zu einer Art Lebensversicherung werden oder sogar zu seiner Freilassung führen, ist eine Illusion. Warum sollte sich ausgerechnet Wladimir Putin, der Nawalny nicht einmal beim Namen nennt, davon beeindrucken lassen?

Vielmehr dürfte der Kreml die Auszeichnung aus Straßburg als weiteren Affront verbuchen. Aber angesichts der Tatsache, dass die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen mittlerweile noch frostiger sind als zu Zeiten des Kalten Krieges, kommt es auf eine „Provokation“ mehr oder weniger auch nicht mehr an.

Das Beispiel Memorial

Die Zeichen stehen weiter auf Repression im Umgang mit Andersdenkenden, und das härter denn je. Das zeigt auch das Beispiel Memorial. Die Nichtregierungsorganisation, die sich der Aufarbeitung des Stalinismus verschrieben hat, wurde 2009 mit dem Sacharow-Preis bedacht.

Heute firmiert Memorial auf der Liste „ausländischer Agenten“ und das heißt in der Praxis: Strafverfahren, Geld- und Haftstrafen infolge von Schauprozessen gegen Memorial-Mitarbeiter*innen. Erst vor wenigen Tagen wurde die Vorführung eines Films über die Hungersnot in der Ukraine in den 30er-Jahren von Sicherheitskräften gesprengt und viele der anwesenden Gäste festgenommen.

Auch die Schikanen gegen Nawalny und seine Mistreiter*innen, die mittlerweile als „Extremist*innen“ gelabelt werden, gehen unvermindert weiter. Am Mittwoch, nur wenigen Stunden nach Bekanntwerden der Entscheidung in Straßburg, tauchte Ljubow Sobol, als Juristin für Nawalnys Anti-Korruption-Fonds tätig, in Russland auf einer Fahndungsliste auf. Zufall? Von wegen!

Nein, Putin fühlt sich unantastbar. Er weiß nur zu gut, dass es auch im Westen mit dem hehren Anspruch, für Menschenrechte einzutreten, nicht mehr weit her ist – nämlich dann, wenn es um knallharte wirtschaftliche Interessen geht. Das wird schon alsbald zu besichtigen sein. Und zwar dann, wenn die erste russische Gaslieferung via Nord Stream 2 in Europa ankommt.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Natürlich ist Alexei Nawalny "vergessen". Diktator Putin hat gesprochen, gehandelt und "den Westen" erneut und zum wiederholten Male düpiert. Reaktionen: keine nennenswerten.

    Außerdem, der Feind meines Feindes ist noch lange nicht mein Freund!

    Herr Nawalny hat -zwar vor Jahren- aber belegbar wiederholt rassistische und homophobe Äußerungen abgegeben, sich für Abschiebung & Deportation von Minderheiten stark gemacht!

    Zudem hat er über Jahre rechtspopulistische und nationale Themen bedient, Flüchtlingen in Russland die Menschenrechte streitig gemacht und immer wieder zu menschenverachtender Sprache gegriffen; das macht diesen - sicher zu unrecht inhaftierten-, nicht zum heldenhaften Freiheitskämpfer.

    Der Sacharow-Preis war unangebracht und verstellt die Sicht auf einen hoch-problematischen Politiker Nawalny.

    • @Renate Schmitz:

      Ich habe vor einiger Zeit schon mal den Versuch unternommen, mich mit einigen dieser Vorwürfen detailliert auseinanderzusetzen.

      z.B. in den Kommentaren hier:



      taz.de/Menschenrec...bb_message_4122065

      oder hier:



      taz.de/Amnesty-Int...bb_message_4087173

      Das ließe sich weiter fortsetzen. Die Diskussionsrunden zum Thema Migration aus dem Moskauer Bürgermeisterwahlkampf 2013 kann man auf Youtube anschauen, das Wahlprogramm von 2013 und 2018 nachlesen. Desgleichen Nawalnys Position zu Krimannektion und dem Angriffskrieg im Donbass. Wenn man Russisch kann.

      In seinem Feldzug gegen Bürger N. hat der Kreml im Laufe der Jahre eine ganze Reihe von imageschädigenden Kampagnen entworfen, eine davon, speziell auf das westliche Publikum zugeschnitten, handelt vom Rassisten und Nationalisten Nawalny.

      Sacharow hat übrigens - das war zwar Jahre bevor er den Friedensnobelpreis bekommen hat - eine der schlimmsten Massenvernichtungswaffen der Menschheit entwickelt. Es war also sehr unangebracht, ihm den Friedensnobelpreis zu verleihen, und dann auch noch ausgerechnet nach ihm einen Menschenrechtspreis zu benennen. Das war jetzt natürlich ironisch gemeint. Menschen sind Menschen, und keine Heiligen. Und sollten auch keine Pharisäer sein.

      Pharisäertum ist, wenn man Einzelheiten (z.B. Verbalentgleisungen oder Wasserstoffbomben) kritisiert, ohne bereit zu sein, das Gesamtbild zur Kenntnis zu nehmen. Und zu diesem Gesamtbild gehört Putins chauvinistische, korrupte, menschenverachtende Diktatur, die Grundrechte mit Füßen tritt und seit über 20 Jahren nach innen und außen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht. Und auf der anderen Seite die Menschen, die sich dem widersetzten und das nicht selten mit der Vernichtung ihrer bürgerlichen Existenz, dem Verlust ihrer Freiheit oder ihrem Leben bezahlen. Und von denen hat in den letzten zehn Jahren nun mal keiner dem System so viele Wirkungstreffer zugefügt wie Nawalny.

  • Immer wieder gern vergessen wird hingegen Julian Assange.

    • @yul:

      Der kritisiert ja auch die Falschen - und legt dann auch noch Beweise dafür vor. Ob J.A. eines solchen Preises tatsächlich "würdig" wäre, steht noch einmal auf einem anderen Blatt...

  • Ich denke, das beste, was "wir" [1] dagegen derzeit tun können ist, unsere Arme für politische Flüchtlinge aus der Ecke zu öffnen und ihnen die Möglichkeit geben, in der Diaspora ihren Widerstand fortzusetzen. Das tun wir doch auch. Oder? ODER? MACHEN WIR DAS ETWA NICHT?

    Käme übrigens billiger als eine Militärintervention. Just sayin'.

    [1] bei aller Ambivalenz. Dennoch lebe ich lieber in DE als ich in Russland derzeit leben würde.