SPD nach Thüringer Landtagswahl: Trauernde Königsmacher
Ramelow oder Lieberknecht? Die SPD kann über den künftigen Thüringer Regierungschef entscheiden. Aber sie tut sich damit schwer.
ERFURT/BERLIN taz | Angenehm war dieser Auftritt für Heike Taubert nicht: Am Montagvormittag stand die Thüringer SPD-Spitzenkandidatin im Foyer des Berliner Willy-Brandt-Hauses, und neben den beiden Herren an ihrer Seite wirkte sie ziemlich erdrückt. Da war zum einen Sigmar Gabriel, der füllige Parteichef, der sie schon am Wahlabend öffentlich abgewatscht hatte. Und da war zum anderen Dietmar Woidke, der 1,94-Meter-Ministerpräsident aus Brandenburg, der seine eigene Landtagswahl klar gewann. Taubert dagegen holte für die Thüringer SPD bekanntlich nur 12,4 Prozent der Stimmen. Doch das ist an diesem Vormittag nicht ihr einziges Problem.
„Wir haben jetzt die wirklich schwierige Situation in Thüringen, dass sowohl CDU und SPD als auch Rot-Rot-Grün nur jeweils eine Stimme Mehrheit hätten“, sagte Taubert. Ihre Partei muss sich aber zwischen den beiden wackligen Optionen entscheiden, und in der Rolle des Züngleins an der Wange fühlen sich die Sozialdemokraten offensichtlich alles andere als wohl.
Eine stabile Mehrheit für Rot-Rot-Grün hätte einigen in der Partei gefallen: Raus aus dem Klammergriff der CDU und damit die Weichen stellen für ein Linksbündnis nach der Bundestagswahl 2017. Nach dem schwachen Wahlergebnis halten sich die Befürworter eines solchen Bündnisses aber zurück. So etwa Parteivize Ralf Stegner: „Das Wahlergebnis spricht nicht für die Große Koalition, aber es ist auch kein Volksvotum für ein Bündnis mit der Linkspartei“, sagte er der taz.
In Thüringen selbst zögert das Spitzenpersonal ebenfalls, sich klar für eine bestimmte Koalition auszusprechen. Es ist eher die Basis, die auch nach der Wahlniederlage offen an den rot-rot-grünen Plänen festhält. So wie am Sonntagabend eine frustrierte Juso-Gruppe vor dem Wahlpartylokal, die in den herben SPD-Verlusten die Quittung dafür sah, dass man nicht schon 2009 bei komfortableren Ausgangsbedingungen in ein Bündnis mit Linken und Grünen eingestiegen ist. Dann tauchte auch noch der frühere Innenminister Richard Dewes auf, der schon mehrfach für Machtkämpfe in der Thüringer SPD sorgte. Er beharrte auf seinem Plädoyer für Rot-Rot-Grün. Und sei es nur mit der labilen Mehrheit von einer Stimme. „Mehrheit ist Mehrheit“, lächelte er.
Zunächst stehen aber Sondierungsgespräche an, und die wird offenbar nicht mehr die bisherige SPD-Spitze leiten. Nach Informationen der Thüringer Allgemeinen hat Bundesparteichef Sigmar Gabriel den 41-jährigen Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein zur Übernahme des Parteivorsitzes im Land aufgefordert. Bausewein selbst hat mittlerweile erklärt, für das Amt bereitzustehen. Im Erfurter Rathaus regiert er selbst zusammen mit Linken und Grünen. Doch auch er weiß, dass das Grunddilemma der SPD nicht einfach zu lösen ist. „Wir müssen überlegen, wie wir aus der strategisch ungünstigen Position herauskommen, zwischen Union und Linker zerrieben zu werden“, sagte er noch am Wahlabend der taz.
Die Angst vor der Zehn
Bei der nächsten Landtagswahl sogar unter zehn Prozent zu rutschen, das ist die große Angst, die bei den Sozialdemokraten umgeht. Vor allem, falls die Partei in einer neuen großen Koalition unter Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) erneut nur als Mehrheitsbeschaffer wahrgenommen werden sollte. Dass ein solches Bündnis stabiler arbeiten könnte als Rot-Rot-Grün, gilt aber ebenfalls als unsicher. Auch diese Koalition hätte nur eine Stimme Mehrheit, weshalb Lieberknecht am Montag eine neue Option ins Spiel brachte: Die Grünen mit ins Boot zu holen, um so die Mehrheit auszubauen. Während die sechsköpfige Grünenfraktion für Rot-Rot-Grün wohl bereitstünde, reagierte die Partei auf den Vorschlag der Ministerpräsidentin abweisend.
„Ich bin sehr skeptisch, ob das auf Landesebene eine Zukunft hat“, bekräftigte die Thüringer Grünen-Spitzenkandidatin Anja Siegesmund am Montag in Berlin nach Beratungen der Parteispitzen. Entscheidend seien rechnerische und inhaltliche Gründe. Die Grünen hätten einen Politikwechsel in Thüringen angestrebt, betonte Siegesmund. Außerdem habe Schwarz-Rot auch ohne die Grünen eine Mehrheit. Gespräche würden aber nicht von vornherein abgelehnt.
Die Sozialdemokraten setzten derweil die Debatte über eigene Fehler im Wahlkampf fort. Das Offenhalten der Koalitionsfrage hatte Parteichef Gabriel schon am Wahlabend mit ungewohnt klaren Worten vor laufenden Kameras kritisiert. Am Montag wiederholte er diese Kritik öffentlich nicht. Im Parteipräsidium wurde die Frage dem Vernehmen nach aber erneut kontrovers diskutiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service