SPD in der Krise: Vorwärts – und nicht vergessen
Berlins SPD-Spitze startet PR-Kampagne für den Prozess der Parteierneuerung. Der Gesamtkurs stößt bei linken Genoss:innen auf wachsenden Unmut.

„Die SPD ist etwas im Abwärtstrend, kontinuierlich“, sagt Landeschef Martin Hikel. Zusammen mit der Co-Parteivorsitzenden Nicola Böcker-Giannini will er nun mit einer Imagekampagne gegensteuern. Plakatwände, Aufsteller vor Parteibüros, Social Media, Flyer und Postkarten. Motto: „Vorwärts Berlin“.
Am Donnerstagnachmittag wurde sie gegenüber dem KaDeWe am Wittenbergplatz vorgestellt. Passant:innen gab es reichlich, Interesse am Kampagnenstart eher nicht. Dabei will die SPD damit doch demonstrieren, „dass wir als Partei nicht nur während des Wahlkampfs sichtbar sind“, wie Böcker-Giannini zur taz sagt.
Im Rahmen von „Vorwärts Berlin“ sollen die Berliner:innen motiviert werden, ihre „Ideen für eine lebenswerte Stadt 2035“ an den SPD-Landesverband zu schicken. Das Ganze ist Teil des von Böcker-Giannini und Hikel im vergangenen Jahr angestoßenen parteiinternen „Zukunftsprozess Berlin 2035“, der in ein Programm für die Abgeordnetenhauswahl 2026 fließen und die einstige „Berlin-Partei“ wieder aus dem Tal der Tränen führen soll.
Ein bisschen Vergesellschaftung als Option
Sonderlich viel hat die Öffentlichkeit seit der Auftaktveranstaltung im September 2024 nicht mehr vom „Zukunftsprozess“ gehört. Was nicht erstaunlich ist: Von den geplanten sechs Dialogforen mit Parteimitgliedern und Expert:innen zu bestimmten Themen haben bislang erst zwei stattgefunden, eines davon am Donnerstag zu Mieten, Bauen, Wohnen.
Passend dazu signalisieren ausgerechnet die dem konservativen Parteiflügel zugerechneten Landesvorsitzenden bei der Vorstellung der Kampagne eine gewisse Offenheit für das Thema Vergesellschaftung – nun ja, in sehr engen Grenzen. Bei seit Jahren brachliegenden baureifen Grundstücken etwa, auf denen nur zu Spekulationszwecken nichts passiert, könne Vergesellschaftung „eine Option“ sein, sagt Martin Hikel.
Die Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ lehnen die SPD-Landeschef:innen weiterhin ab. „Die Enteignung großer Wohnungskonzerne schafft keine Wohnungen“, wiederholt Nicola Böcker-Giannini das alte Lied der Taiga, das auch die einstige SPD-Regierende Franziska Giffey und ihr CDU-Nachfolger Kai Wegner singen.
Auch sonst bleiben die Landesvorsitzenden beim, so Böcker-Giannini, „Kernthema des nächsten Jahres, des nächsten Wahlkampfs“ auf Linie. Im Rahmen von „Vorwärts Berlin“ fordern sie den Neubau und Ankauf von mehr bezahlbaren Mietwohnungen sowie eine unbefristete Mietpreisbremse und loben das Schneller-Bauen-Gesetz. Nur folgerichtig ist der dazugehörige Kampagnen-Slogan an Zahmheit schwer zu überbieten: „Zuhause darf nicht zu teuer werden“.
„Wir stehen an der Schwelle“
Es müsse jetzt doch mal wieder vorwärts gehen, sagt Martin Hikel. Mit Berlin, aber auch und vor allem mit der Partei. Wieder auf die Beine kommen oder zur „Nischenpartei“ verkümmern: „Wir stehen an der Schwelle.“ Und: „Ich finde schon, dass sich eine Partei regelmäßig neu erfinden muss.“ Genau das sei auch Sinn und Zweck des „Zukunftsprozesses Berlin 2035“ und der Imagekampagne, die sich eben nicht nur an die eigenen Mitglieder richte.
Nun versuchen sich Böcker-Giannini und Hikel seit bald einem Jahr darin, die Berliner SPD neu zu erfinden. Schon im innerparteilichen Kampf um den Landesvorsitz, der im Mai 2024 per Mitgliederentscheid zu ihren Gunsten ausging, waren die ehemalige Sportstaatssekretärin und der Neuköllner Bezirksbürgermeister mit markigen Sprüchen angetreten.
Die generelle Gebührenbefreiung beim Schulessen – ein Lieblingsprojekt der Parteilinken – sollte auf den Prüfstand gestellt werden, den eigenen Senator:innen drohten Böcker-Giannini und Hikel mit „klaren Konsequenzen“, sollten sie nicht „liefern“: Eine lagerübergreifende Umarmungsstrategie war das nicht. Zugleich blieb es bei den Ankündigungen. Passiert ist jedenfalls nichts.
Parteiinterne Forderungen nach einem Linksruck
Angesichts der Klatsche bei der Bundestagswahl wächst unterdessen der Unmut insbesondere der Parteilinken. Eine unklare Strategie, fehlende Glaubwürdigkeit, zu wenig Durchsetzungsfähigkeit und Durchsetzungswillen: Die Gruppe „frei und links“ innerhalb der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus lässt in einem jüngst erstellten Positionspapier kein gutes Haar an den führenden Genoss:innen – im Senat und an der Parteispitze.
Die auch von Hikel und Böcker-Giannini immer wieder leidenschaftlich verteidigte Koalition mit der CDU auf Landesebene habe „Vertrauen zerstört“, viele Menschen nähmen die Sozialdemokrat:innen nur noch als „getrieben, statt als treibende Kraft“ wahr, heißt es in dem internen Papier, das der taz vorliegt.
An die Adresse von Bausenator Christian Gaebler ist dabei die Forderung gerichtet, die SPD müsse endlich „konsequent auf der Seite der Menschen, nicht der Immobilienlobby“ stehen. Für Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey ist der Satz bestimmt, in Berlin gebe es nicht nur ihr bevorzugtes Spielfeld Start-ups und Tech, sondern auch soziale Wirtschaft.
Die insgesamt acht Abgeordneten – darunter der ehemalige Finanzsenator Matthias Kollatz, der Innenpolitiker Martin Matz und die Umweltexpertin Linda Vierecke – fordern mit Blick auf die Wahl zum Landesparlament 2026 nun einen strategischen Linksruck. Zumal es, wie die Bundestagswahl gezeigt habe, mit Linken und Grünen „stabile Mehrheiten für Bündnisse links der Mitte“ in der Hauptstadt gebe. Ihr Fazit: „Die SPD hat nicht verloren, weil Berlin nach rechts gerückt ist – sondern weil sie nicht als kämpferische linke Partei wahrgenommen wurde.“
Martin Hikel lässt sich davon bei der Vorstellung der Imagekampagne nicht beeindrucken. „Ich habe da keine Kritik herausgelesen“, sagt der Parteichef. Im Gegenteil, das sei doch ein „sehr konstruktiver“ Debattenbeitrag, der zeige, dass es auch bei den SPD-Linken „den Wunsch gibt, Veränderungen herbeizuführen“. Und noch etwas: „Dass wir für viele nicht mehr relevant sind, das nehmen ja auch wir wahr.“
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