SPD in Baden-Württemberg: Die Gefahr, zerquetscht zu werden
Die SPD leidet unter Profilierungsproblemen, kaum jemand kennt den Spitzenkandidaten. Ihre Erfolge werden den Grünen gutgeschrieben.
Die passende Gegenfrage wäre wohl gewesen: High? Wieso sollte er high sein? Die SPD liegt in Umfragen derzeit bei 15 Prozent – nicht mehr weit vor der AfD. Den Parteivorsitzenden Nils Schmid, immerhin Wirtschafts- und Finanzminister, wollen gerade mal 6 Prozent als Ministerpräsidenten sehen. Die meisten kennen ihn nicht einmal. Mit der Popularität der anderen Kabinettsmitgliedern sieht es noch schlechter aus.
Und weil die Genossen so wenig Profil entwickelt haben, steht an diesem Stuttgarter Stimmungsabend neben dem nüchternen Schmid ein Zweiter im Mittelpunkt, der allerdings gar nicht zur Wahl steht. Der Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück. Er wärmt die Herzen der Genossen mit blechern-dröhnender Rhetorik und ruft ihnen ein paar sozialdemokratische Grundüberzeugungen in Erinnerung, die man von den Regierungsmitgliedern in Stuttgart lange nicht mehr gehört hat.
Das Aufstiegsversprechen, für das die SPD einmal stand, etwa. Die Schulpolitik dürfe nicht nur Akademiker fördern, es fehle an Nachwuchs für Lehrberufe. „Wir müssen aufpassen, dass man in Deutschland keinen Bachelor fürs Taxifahren braucht“, sagt Hück. Wer eine Lehrstelle habe, ziehe nämlich nicht in Terrorcamps.
Kein Applaus für gute Arbeit
Der dröhnende Hück verdeckt aber nur notdürftig, dass die SPD im Land zwischen rechten Populisten und dem allseits beliebten Landesvater Kretschmann von den Wählern schlicht vergessen zu werden droht. Zwar hat Kultusminister Andreas Stoch mit ruhiger Hand die umstrittene Schulreform umgesetzt. Und Innenminister Reinhold Gall hat eine nicht minder umstrittene Polizeireform, die beste Noten von der Wissenschaft erhält, auf den Weg gebracht.
Gutes Regierungshandwerk. Doch all diese Erfolge in der Koalition werden offenbar ausschließlich dem grünen Regierungschef gutgeschrieben. Wofür die SPD steht, das weiß keiner so genau.
Mitgliederversammlung im Bürgerzentrum Neckarstadt West in Mannheim. Man plant konzentriert den Wahlkampf. Wer klebt Plakate? Die guten Plätze sind bald weg. Gibt es einen Bratwurst- oder Heringsstand, wenn der Frank-Walter im Februar auf dem Marktplatz redet? Solche Sachen.
Mannheim als Arbeiterstadt sei eine „Insel der Seligen“ sagt ein Genosse. Hier ist die SPD noch verwurzelt, auch im Bürgertum. Über 30 Prozent erreichte sie in der Stadt bei der letzten Landtagswahl, Hier haben sie mit Stefan Fulst-Blei den einzig verbliebenen Landtagsabgeordneten der SPD, der seinen Wahlkreis direkt gewonnen hat. Im Gemeinderat stellt sie die stärkste Fraktion, auch der OB ist rot.
Wähler mobilisieren - eine vage Hoffnung
Im Stadtbezirk kämpfen sie deshalb vor allem gegen die sinkende Wahlbeteiligung. Bei der Bürgermeisterwahl waren es im Brennpunktbezirk Neckarstadt-West gerade noch 14 Prozent. Deshalb wollen die Genossen die Wähler nun mit Hausbesuchen mobilisieren.
Eine höhere Wahlbeteiligung nutzt den Genossen, so die vage Hoffnung. Aber wer weiß schon, wie viele die Wahl zum Protest nutzen werden? Deshalb diskutieren die Genossen an diesem Abend, wie man der AfD und ihren Anhängern am besten begegnet. Am Wahlkampfstand können sie sich nicht wegducken, anders als ihr Vorsitzender Nils Schmid, der mit der AfD nicht öffentlich diskutieren will.
Nicht der einzige Winkelzug in Stuttgart, der den Genossen vor Ort abgehoben vorkommt. Schmid bekennt sich öffentlich zu Grün-Rot. Aber mancher Landtagsabgeordnete sehnt sich nach dem Koalitionswechsel. Da könne die SPD besser ihr Profil entfalten, hört man immer wieder in der Fraktion.
Und vieles spricht dafür, dass sich die Parteistrategen alle Koalitionsoptionen offenhalten möchten. Claus Schmiedel etwa, der Fraktionschef der SPD mit dem rustikalen Auftreten, kocht zwar gern mal öffentlich mit seiner Grünen-Kollegin Edith Sitzmann. Vor ein paar Wochen hat er aber auch demonstrativ eine Pressekonferenz mit Kretschmanns Gegenkandidat Guido Wolf gegeben. Die Partei pfiff ihn zwar zurück, aber das Signal bleibt: Wir können mit jedem.
Immer schon schwächlich
Opposition oder Juniorpartner, offenbar ist das das Schicksal der Südwest-SPD. Bei Landtagswahlen kam sie nie über 37,6 Prozent hinaus. Nur als die Republikaner im Parlament waren, hat sie vier Jahre mit der CDU in einer Großen Koalition regiert.
Und nur der jungen Ute Vogt hätte man fast einmal zugetraut, Erwin Teufel zu schlagen. Immerhin verzeichnete sie bei ihrer ersten Kandidatur als Spitzenkandidatin mit 33,2 Prozent einen Achtungserfolg. Das waren die Schröder-Jahre, damals kam auch noch Rückenwind aus Berlin.
Schließlich waren es dann aber die Grünen und Kretschmann, die dank des unbeliebten CDU-Kandidaten Stephan Mappus, Fukushima und Stuttgart 21 die CDU aus der Regierung gefegt haben. Das haben manche Genossen den Grünen nicht verziehen.
Eher das Problem, als die Lösung
Wahlparteitag in Reutlingen, sieben Wochen vor der Wahl. Dort wird einer geehrt, den sie mal wegen schlechter Wahlergebnisse von der Fraktionsspitze verjagt haben, damals 32,5 Prozent. Erhard Eppler erhält an diesem Nachmittag die Ehrennadel der SPD für 60 Jahre Parteizugehörigkeit.
Er ist jetzt bald 90 Jahre alt, holt aber zur mitreißendsten Rede des Tages aus. Eppler fordert die Partei auf, ihre Regierungsleistung in der Koalition nicht unter Wert zu verkaufen. Dafür wird er bejubelt. Als er dann aber sagt: „Wer statt Kretschmann Wolf will, ist selbst dran schuld“, regt sich keine Hand.
Das Parteitagspräsidium verabschiedet den Ehrengast mit dem Verspreche, es werde nach dem 13. März keine Regierung ohne die SPD geben. Das ist ungefähr das Gegenteil dessen, was Eppler seiner Partei gerade empfohlen hat. Und wohl auch eher das Problem der SPD als die Lösung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?