SPD-Vorsitz-Kandidatencasting: Redundant in die Selbstberauschung
Die verbliebenen sieben Duos machen Station in Berlin und beschwören neben der Bronzestatue Willy Brandts wiederholt die Vergangenheit ihrer Partei.
E s gibt schon Unterschiede zwischen den 14 mehr oder minder bekannten SPDlern, die am Dienstagabend auf einer Bühne im Willy-Brandt-Haus sitzen, der Bundeszentrale ihrer Partei. Alter, Kleidung, Redeweise und, ja auch, politische Positionen. Eins aber haben sie fast alle gemein, diese 14, die sich in sieben Duos für den Parteivorsitz bewerben: auf die Nazis zu schimpfen und an die ruhmreiche SPD-Historie zu erinnern. Und das heißt hier eigentlich immer: die Zeit des 5-Jahre-Kanzlers Brandt und bloß nicht die des 7 Jahre regierenden Gerhard Schröder. Das bringt stets Applaus, ist aber ein bisschen redundant.
Es ist die 12. von 23 Stationen der Kandidaten-Tour durch Deutschland, Halbzeit also. Es ist zugleich der Tour-Stopp mit den bislang meisten Zuschauern. Rund 1.000 sollen es sein, die sich im überdachten Innenhof drängen, gleich neben der Bronzeskulptur Brandts, auf Treppenstufen und Innenbalkonen der sechs Etagen.
In der 5. dieser Etagen wird jenes Duo sein Büro haben, das beim SPD-Bundesparteitag Anfang Dezember gewählt wird, nachdem zuvor die aktuell 425.000 Mitglieder abstimmen können. Wer das sein wird, bleibt auch an diesem Abend offen. Nur wer es nicht wird, scheint klar: Mehrfach muss die Moderatorin das Publikum darauf drängen, doch bitte alle Kandidaten zu befragen – von den Duos Lauterbach/Scheer, Mattheis/Hirschel, aber auch von Ex-Viadrina-Chefin Gesine Schwan samt Partner Ralf Stegner will kaum einer etwas wissen.
Lauterbach ist es, der einen der merkwürdigsten Sätze des Abend sagt, und zwar über seine Partnerin Scheer. Die habe „einen ganz zentralen Nachteil“: Sie sei nämlich „keine gute Drescherin leerer Phrasen. Trotzdem habe ich mich für sie entschieden.“ Aha! Das sollte wohl ein Lob sein. Und er hat also entschieden, der Herr Lauterbach – es ist eine seltsame Wortwahl an einem Abend, in dem immer wieder von Gleichstellung die Rede ist.
Wer schon mal US-Wahldebatten verfolgt hat, den muss das Format enttäuschen: Anders als da gehen die Kandidaten kaum aufeinander ein. Die „schwarze Null“, Olaf Scholz’ Weg als Bundesfinanzminister, auf einen ausgeglichenen Haushalt und neue Steuern statt aufs Schuldenmachen zu setzen, ist zwar mehrfach unter Beschuss. Scholz’ Name aber fällt dabei nur einmal. Das Publikum scheint das nicht zu stören, es scheint eher berauscht an der vagen Möglichkeit, dass ihre ruhmreiche Partei nach bislang 156 Jahren doch noch mal wieder bessere Zeiten erlebt.
Berlins SPD-Chef Michael Müller, nicht Hausherr, doch quasi Gastgeber des Berliner Tour-Stopps, meint zwar, das aufwändige Auswahlverfahren müsse „vielleicht nicht für die Ewigkeit eine Blaupause sein“. Es hat der Partei jedenfalls schon mal neue Mitglieder gebracht: Allein im September gab es bundesweit bislang angeblich über 1.400 Eintritte. Und als die SPDler im Willy-Brandt-Haus zuletzt ähnlich dicht gedrängt mit ihren Parteioberen zusammenstanden, war zudem die Stimmung ganz anders: Das war nämlich vor fast genau zwei Jahren – nach der schmählich verlorenen Bundestagswahl.
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