SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz: Sieger der Niederlage
Finanzminister Olaf Scholz hat gegen das SPD-Führungsduo verloren. Nun soll er Kanzler werden. Weil er Krisen bewältigen kann.
F reitagabend, Dortmund. Über der Location leuchtet weiß ein U, Erkennungszeichen für Dortmund. Früher war dies die Unionbrauerei, heute ist der Backsteinbau in der Innenstadt hippes Zentrum für Kreative. Manche nennen ihn Kathedrale des Strukturwandels. Der Ort ist von der SPD gezielt gewählt, man will Tradition und Zukunft verknüpfen. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans, Olaf Scholz und Monika Griefahn, die in Mülheim an der Ruhr Bürgermeisterin werden will, machen Wahlkampf. In drei Wochen werden in NRW Bürgermeister und Stadträte gewählt. Für die SPD steht dabei einiges auf dem Spiel. Wenn sie Städte wie Dortmund verlieren würde, wäre das ein weiteres Symbol ihres Niedergangs.
Olaf Scholz wirkt entspannt, offener Hemdkragen, keine mäandernden Sätze, eher knapp. Er ist ja jetzt da, wo immer hinwollte. „Wie geht es Ihnen als Kanzlerkandidat?“, fragt die Moderatorin. „Gut“, sagt Scholz lakonisch. Mehr nicht. „Olaf plant sehr lange im Voraus. Mein Eindruck war, dass er schon immer Bundeskanzler werden wollte“, erinnert sich ein Genosse aus Juso-Zeiten.
Der Abend ist ein Heimspiel, die Fragen sind nett, im Publikum SPD-Funktionäre, die auf Harmonie geeicht sind. Die Basis will Scholz, Scholz will der Basis-Kandidat sein. Man ist sich einig, dass die Kommunen entschuldet werden müssen. „Es braucht eine Stunde null für die deutschen Kommunen“, sagt Scholz. Ein klarer Satz, ohne technokratischen Gesteinsbrocken, die es in seiner Rhetorik immer wieder mal gibt.
Carsten Schneider, SPD
Auf der Bühne fremdelt Scholz manchmal. Heute nicht. Er ist keine Rampensau, keiner, der mal eben so für gute Stimmung sorgt. „Er ist, wie er ist. Wir werden ihn nicht mehr zum Entertainmentbeauftragten der SPD machen“, sagt Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD Bundestagsfraktion. Das sei in unruhigen Zeiten, so Schneider, aber kein Makel, sondern eine Tugend.
Thomas Kutschaty kommt derzeit im Wahlkampf viel herum. Der Chef der SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen lobt den Kanzlerkandidaten. Die BürgerInnen wollten derzeit „keine Hau-drauf-Typen oder Frohnaturen wie Armin Laschet“. Scholz passe in die Zeit. In der Krise sei „Verlässlichkeit und Bewährtes gar nicht so schlecht“. Bei den GenossInnen zwischen Aachen und Bielefeld, so Kutschaty, gebe es „keine Kritik an der Nominierung von Olaf Scholz“.
Das klang schon einmal anders. Kutschaty, einer der beiden Machtpole in der NRW-SPD, hat vor acht Monaten gegen Scholz als Parteichef gestimmt – und für Norbert Walter-Borjans. Der Frust über die Große Koalition in Berlin saß bei den GenossInnen in ihrem früheren Stammland tief. Nicht nur SPD-Linke, auch Mitte-Sozialdemokraten wie Kutschaty glaubten noch Ende 2019, dass der brav regierende Olaf Scholz, die unbewältigte Agendapolitik und die farblose, ungeliebte Koalition mit der Union wie Bleigewichte an der SPD hingen. Das ist erst ein paar Monate her, gefühlt aber eine halbe Ewigkeit. „Raus aus der Groko ist kein Thema mehr“, sagt Kutschaty. „Wir haben jetzt in NRW in der Coronakrise andere Sorgen.“
Scholz sei schon der richtige Mann, sagt auch Matthias Strejc, Sozialdemokrat und Bürgermeister in der thüringischen Kleinstadt Bad Frankenhausen. Der Ort liegt im Kyffhäuserkreis, in dem viele Schwierigkeiten im Osten brennspiegelhaft verdichtet sind. Viel Abwanderung, früher hohe Arbeitslosigkeit, heute Mangel an Arbeitskräften. Glaubt man Strejc, 44 Jahre und schon seit 14 Jahren Bürgermeister, dann hat die SPD-Basis im Norden Thüringens Scholz’ Kanzlerkandidatur freundlich und knapp zur Kenntnis genommen. Ohne Euphorie. Das Kommunale sei ja doch wichtiger.
Keine Euphorie
Die Reaktion auf Scholz’ Nominierung im Thüringischen und im Ruhrgebiet sind typisch. Barsch ablehnende Reaktionen gab es nur in den Gruppen gegen die Große Koalition. Die hatten vor einem Dreivierteljahr nicht gegen das gesammelte SPD-Establishment gekämpft, um jetzt Scholz in die Schlüsselposition zu hieven. Doch jenseits davon ist die SPD angetan vom Bundesfinanzminister, in Zimmerlautstärke. Keine Euphorie. Die Reaktion auf Scholz 2020 ist das Gegenbild zu der Begeisterung, die Martin Schulz 2017 im Winter auslöste: nüchtern, angemessen, leidenschaftslos. So wie Scholz selbst.
Der 62-Jährige ist das Comeback-Kid der SPD, seine Karriere war eine Berg-und-Tal-Fahrt. Als Juso war er stramm linksorthodox. 1989 begrub er diese Ideen und wandelte sich im Schnelldurchgang zum Parteirechten, der vergeblich versuchte, den Begriff „demokratischer Sozialismus“ aus dem Parteiprogramm zu tilgen. 2002 holte ihn Gerhard Schröder als Generalsekretär auf die Bundesbühne. Scholz erfüllte in kaltem Technokratensprech seinen Auftrag – er drückte die Agendapolitik gusseisern gegen seine widerspenstige Partei durch. Den Spottnamen Scholzomat hat er sich mit seiner Apparatschiksprache verdient. 2003 bekam er beim Parteitag in Bochum als Generalsekretär die Quittung: nur 52 Prozent – das war ein Ausrufezeichen, Frustventil, Misstrauensbeweis.
52 Prozent, erklärte er danach ungerührt, seien keine Niederlage. Er müsse nichts ändern. Die Grenze zwischen Standhaftigkeit und Starrsinn verschwimmt bei ihm mitunter. Scholz’ miese Ergebnisse auf SPD-Parteitagen sind seitdem so etwas wie ein Ritual.
Vom „Scholzomaten“ zum Agenda-Überwinder
Als er 2007 Arbeitsminister in der ersten Merkel-Regierung wurde, sah man indes eine andere Seite von ihm. Der Arbeitsrechtler etablierte gegen zähen Widerstand der Union für einzelne Branchen Mindestlöhne – eine erste Reparatur des Agenda-Desasters, das er selbst mit angerichtet hatte. In der Finanzkrise 2008 verhinderte er, ganz „truely Sozialdemokrat“ (Scholz über Scholz), mit der schnellen, unbürokratischen Ausweitung des Kurzarbeitergeldes, dass viele in der Krise ihre Jobs verloren – ein Modell, das er in der Coronakrise wiederholen will. Krisen sind der Zustand, in dem Scholz’ Fähigkeiten strahlen. Als Macher fühlt er sich am wohlsten. Je größer die Krise, desto mehr leuchtet er.
So wie 2009. Als Scholz nach Hamburg zurückkehrt, ist er politisch fast am Ende. Der Ministerjob ist weg, er ist Abgeordneter aus Hamburg-Altona. Die Hamburger SPD, die die Stadt über Jahrzehnte als ihr Eigentum betrachtet hatte, ist tief zerstritten und in der Opposition gefangen. Das ist der Olaf-Scholz-Moment. Die Krise als Chance für den Macher. Er wird Landeschef und teilt der Partei per taz-Interview mit: „Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt.“
Die Umfragen Einen richtigen Scholz-Effekt verzeichnen die Umfragen nicht. Die SPD hat leicht gewonnen, von 14 auf 16 Prozent.
Der Fahrplan Scholz wird offiziell im März 2021 von einem Parteitag zum Kanzlerkandidaten gekürt. Der März wird so zur großen Bewährungsprobe, ob der Kandidat der Richtige ist. Denn am 14. März wird in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt. In Stuttgart sitzt die SPD in der Opposition, in Mainz regiert sie mit Grünen und FDP. Verliert Ministerpräsidentin Malu Dreyer dort, wäre das ein Malus. Bleibt die Ampel, so die Hoffnung im Scholz-Lager, könnte das ein Signal für die Bundestagswahl im Herbst sein.
Die Wahl Die Bundestagswahl ist für den September oder Oktober 2021 vorgesehen. (taz)
Als er 2011 nach gewonnener Wahl Erster Bürgermeister wird, gibt er als erstes Senatsmitglied in der SPD-Geschichte den Parteivorsitz nicht auf. Das „Eiserne Dreieck“ aus Bürgermeister, Partei- und Fraktionschef, das jahrzehntelang die Machtbalance in der Partei und in der Stadt garantiert hatte, ist gesprengt. Was bleibt, ist Scholz. Die One-Man-Show.
Er gewinnt gegen den Bundestrend die absolute Mehrheit. Dabei ist sein einziges Versprechen, er werde „ordentlich regieren“. Ob Elbvertiefung oder Elbphilharmonie – der Jurist Scholz frisst sich persönlich durch meterweise Akten. „Glaubt ihr vielleicht, ich traue meiner Verwaltung?“, spottet er mal in Weinlaune. Er spitzt dabei die Lippen, seine Augen werden zu schmalen Schlitzen und er presst ein kehliges Stakkato-Lachen heraus. Eine „tiefe Verachtung der Verwaltung“ attestiert ihm ein hochrangiger Hamburger Politiker.
Scholz ist ein Control-Freak. Jede relevante Entscheidung trifft er als Bürgermeister persönlich, vorbereitet nur mit seinen beiden Intimi, dem Senatskanzleichef und dem Fraktionschef. Gelegentlich lässt er Behördenmitarbeiter nachts antanzen. Er ist ein besessener Arbeiter.
Um so rätselhafter ist Scholz’ Agieren im Wirecard-Skandal. Den handhabte der Bundesfinanzminister 2019 noch sehr lässig, als Medien längst beunruhigende Indizien für Betrug veröffentlicht hatten.
Oder beim Cum-Ex-Skandal. Als die Bonner Staatsanwaltschaft ermittelt, dass die Hamburger Warburg-Bank die Steuerkasse mit undurchsichtigen Kettengeschäften um Hunderte Millionen Euro erleichtert hat, trifft Scholz sich 2017 mit Bank-Chef Christian Olearius. Der nimmt aus dem Gespräch mit, er müsse sich keine Sorgen machen, Hamburgs Finanzverwaltung lässt Rückforderungen an die Privatbank verjähren. Später behauptet die Senatskanzlei, es habe gar kein Treffen gegeben. Scholz ist da schon weit weg, in Berlin. Solche Widersprüche zwischen der Ordentlich-regieren-Rhetorik und politischem Handeln perlen an Scholz ab. Jedenfalls bis jetzt.
Fehler? Gibt es bei Olaf Scholz nicht
Fehler gibt es nicht bei Scholz. Beispiel G20-Gipfel in Hamburg 2017: Scholz sagt im Alleingang zu und verspricht, dass alles gut wird. „Es wird Leute geben, die sich wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist.“ Doch tatsächlich wird der Gipfel ein Debakel mit Gewalt und Plünderungen. In einer Regierungserklärung ringt sich Scholz eine Entschuldigung ab. Und relativiert sofort wieder: „Polizeigewalt hat es nicht gegeben“, sagt er, schuld seien die Chaoten, kein Experte hätte mit dieser Gewalt gerechnet. Ein Fehler sei der Gipfel nicht gewesen.
Scholz fordert von seinen Leuten bedingungslose Gefolgschaft. „Olaf denkt, Olaf lenkt – wir rudern“, hat ein prominenter Hamburger Genosse das System Scholz mal beschrieben. Wehe, einer gerät aus dem Takt. „Ich kann auch rachsüchtig sein“, hat Scholz auf einem Neujahrsempfang der SPD-Fraktion gesagt und einen Ex-Parteisprecher gemeint, der inzwischen wegen Urkundenfälschung im Gefängnis sitzt. Doch bei diesem Satz sind damals viele im Saal zusammengezuckt.
Die Scholz-Fans in der SPD führen gern die Hamburger Wohnungspolitik als leuchtendes Beispiel für Effektivität an. Scholz hat in der Tat den Wohnungsmarkt früh als Problem erkannt. 6.000 neue Wohnungen im Jahr genehmigt Hamburg in den frühen Scholz-Jahren nach 2011. Doch die Bilanz hat Schönheitsfehler: Den Anstieg der Mieten haben die neuen Wohnungen kaum gebremst. Jedes Jahr fallen weit mehr Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung, als neue gebaut werden. Scholz setzte ganz auf den Markt: Die Stadt veräußerte Grundstücke fast immer zum Höchstgebot. Investoren bekommen dann die Auflage, einen „Drittelmix“ aus Eigentumswohnungen, frei finanzierten und geförderten Mietwohnungen zu bauen. Faktisch heißt das meist: winzige Sozialwohnklos zwischen großzügigen Eigentumswohnungen. Für Familien mit kleinen Einkommen ist kaum etwas dabei. Erst seit Scholz weg ist, beginnt die Stadt, Grundstücke in Erbpacht zu vergeben oder ihr Vorkaufsrecht zu nutzen.
Früherer Scholz-Weggefährte
„Der Spruch ‚Das ist so‘ gehört zu Olafs Standardphrasen, da hört dann die Duldung von Widerspruch auf und nahezu jede Politik wird geradezu naturgegeben richtig“, sagt ein Weggefährte aus Juso-Zeiten. „Es geht immer nur um Macht. Die Leute müssen tun, was er will. Olaf erzeugt diese Atmosphäre, in der Menschen sich ihm unterwerfen, vor ihm in den Staub gehen.“ Eine ehemalige SPD-Bürgerschaftsabgeordnete benutzt dieselben Worte: „Ein ums andere Mal“ habe sie erlebt, wie Parlamentarier vor ihrem Bürgermeister „im Staub lagen“.
Macht ist der Fixstern in Scholz’ Universum. Er braucht keine Statussymbole, protzt nicht wie sein politisches Vorbild Gerhard Schröder. Da ähnelt er eher Angela Merkel: unbestechlich, sachorientiert, manchmal ein bisschen langweilig. Selbst seine ärgsten Kritiker sagen unisono: „Er ist sicher nicht korrupt.“ Eher ist ihnen seine Askese suspekt. Er läuft regelmäßig, ist schlanker geworden und wirkt heute fitter als vor 15 Jahren. Eine Genossin, die selbst einmal begeisterte Scholz-Anhängerin war, sagt: „Ich würde mir einen Bundeskanzler wünschen, der gern mal im Bett bleibt.“ Einen, für den es ein Leben außerhalb der Politik gibt.
Einem Leben ohne Politik war Scholz Ende 2019 ziemlich nah. Die SPD wollte ihn nicht als Parteichef. Fast alle, die in der SPD etwas zu sagen hatten, hatten ihn unterstützt. Trotzdem, vielleicht auch deswegen, wählte die Basis Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Es war ein Anti-Scholz-Votum. Und anscheinend der Schlussakkord einer missvergnügten Beziehung.
Scholz blieb gefasst und wartete ab. Das war clever. Aus einem Desaster entwickelt sich für Scholz eine paradoxe Niederlage. Wäre Scholz damals SPD-Chef geworden, er müsste jetzt mühsam als Kanzlerkandidat ein gutes Drittel der Partei, das ihm fernsteht, integrieren und umsorgen. Den Job erledigen jetzt Ex-Jusochef Kevin Kühnert und die Parteispitze für ihn, die kein böses Wort über Scholz verlieren.
Die neue Einigkeit in der SPD ist mehr als ein Effekt der Coronakrise, in der eben alle auf die Regierung schauen. Zwei Maßnahmen, die Scholz’ Handschrift tragen, haben auch SPD-Linke mit dem Agenda-Mann versöhnt, der das traditionelle Bündnis der Hamburger Sozialdemokratie mit dem Großbürgertum und der Industrie verinnerlicht hat: das 750-Milliarden-Euro-Paket für die EU und das milliardenschwere deutsche Antikrisenprogramm, der rasche, schmerzfreie Abschied von der schwarzen Null. Beides hat das Bild des Finanzministers, der Haushaltsdisziplin wie einen Fetisch hütete, übermalt. Schon dass Scholz, wenn auch erst nach der Bundestagswahl 2017, sich die Forderung 12 Euro Mindestlohn auf die Fahne schrieb, hat die Gräben verkleinert. „Auch Olaf Scholz weiß, dass Hartz IV so nicht bleiben kann. Er ist da voll auf unserer Linie“, so SPD-Mann Kutschaty.
Nicht zum Abnicken verdammt
Auch SPD-Linke in Berlin stellen erleichtert fest, dass der zum Herrischen neigende Scholz derzeit recht kooperativ ist. Die Partei, die sonst oft nur Regierungspolitik abnicken kann, darf mitreden. Doch dass das Basis-Votum Scholz verändert hat oder gar eine kathartische Wirkung entfaltet haben könnte, glauben auch seine Vertrauten nicht. Scholz kennt ja Rückschläge, Anlass zu Selbstzweifeln waren sie nie. Manche SPD-Linke trauen daher, trotz der neuen Eintracht, dem Machtmenschen nicht über den Weg. Was kommt, wenn Scholz es nicht mehr nötig hat, sich in täglichen Telefonschalten mit Saskia Esken abzustimmen?
Die SPD hat 2021 nur Chancen, wenn sie machbar wirkende Machtoptionen hat. Rot-Rot-Grün oder die Ampel. Ganz trittsicher wirkt Scholz auf diesem Parkett nicht. „Ich mag die Linkspartei nicht“, hat er der Bild-Zeitung gesagt. Aber wer will von Parteien regiert werden, die sich nicht mögen? Scholz’ Umfeld funkt derweil Richtung FDP. 2017 hat genau das – faktische Absage an Mitte-links und verzweifeltes Stalken der desolaten FDP – den Abwärtssog der SPD verstärkt.
Immerhin: Scholz hat, wenn auch nur in Hamburg, Wahlen gewonnen. Das unterscheidet ihn von Peer Steinbrück, der 2005 Nordrhein-Westfalen für die SPD verlor, und von Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz, die vor ihren Debakeln in den Jahren 2009 und 2017 keinen Wahlkampferfahrung hatten. Doch Kontakt mit den BürgerInnen fällt Scholz eher schwer. Lockeres Plaudern ist nicht seins. Er wirkt schnell angestrengt, manchmal fast schüchtern. Das ist eine ungewöhnliche Mischung – Verzagtheit und jenes unerschütterliche Selbstbewusstsein, das Grünen-Chef Robert Habeck mal mit dem Satz umschrieb, dass Scholz „zwischen sich und der Sonne keine Ebene“ kenne.
Freitag, wieder in Dortmund. Der Abend ist eine störungsfreie Demonstration der Einigkeit – zwischen Parteispitze und Kanzlerkandidat soll kein Löschblatt passen. Scholz wird auch mal energisch. Manche würden „Arbeitsbedingungen wie bei Tönnies in Deutschland für undenkbar“ halten. „Aber sie sind bittere Realität und ein Skandal.“ Es sind Sätze, bei denen viele nicken.
Schönste Eintracht also. Nur in Zwischentönen kann man ahnen, wo diese rissig werden kann. Walter-Borjans warnt, dass die Union schon bald rigoros sparen werde, um die schwarze Null wieder zu erreichen. Damit würde man einen Wirtschaftseinbruch und 20 Jahre Krise riskieren. Das ist eine Schlüsselfrage für die Regierung 2022: Wer zahlt die Kosten der Krise? Wenn 2022 die Schuldenbremse wieder greift, bleibt nur sparen.
Wollen Sie was dazu sagen?, fragt die Moderatorin.
Nö, sagt Scholz und lächelt in sich hinein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels