SPD-Frau über NPD und AfD in Sachsen: „Wir sind das Problem nicht los“
Demokratiearbeit wurde geschwächt, bei der Jugendpolitik gekürzt. Auch deshalb stimmen 15 Prozent für Parteien rechts der CDU, sagt SPD-Politikerin Susann Rüthrich.

Macht jetzt auch Sachsen unsicher: AfD-Chef Bernd Lucke. Bild: dpa
taz: Frau Rüthrich, in Sachsen haben 15 Prozent der Wähler für Parteien rechts von der CDU gestimmt. Was bedeutet das?
Susann Rüthrich: Das ist natürlich problematisch, auch wenn die NPD glücklicherweise nicht mehr im Landtag ist. Aber das war ja sehr knapp. Das Problem sind wir nicht los. Was die AfD mit ihren knapp zehn Prozent im Landtag machen wird, das müssen wir erstmal sehen. Aber sicher nicht dasselbe wie die NPD.
Ist das Wahlergebnis ein rein sächsisches Phänomen?
Ich hoffe nicht, dass sich dieses Ergebnis in Brandenburg und Thüringen wiederholen wird. Die Wahlbeteiligung in Sachsen war sehr niedrig, auch weil die Wahl am letzten Ferientag war. Hinzu kam eine sehr entpolitisierte Stimmung durch einen Wahlkampf in den Ferien. Wenn die Bürger keine Alternativen erkennen können, dann hauen sie auch mal auf dem Tisch.
Rechts wählen hat in Sachsen Tradition. Warum?
In Sachsen wird Leuten, die menschenverachtende Sprüche von sich geben, realitiv selten widesprochen. Die Landesregierung führt das Programm „Weltoffenes Sachsen“ zwar weiter, hat aber die Richtlinien so gestrickt, dass die Leute und Initiativen, die Demokratiearbeit machen, weniger damit anfangen können. Diese Arbeit wird also geschwächt. Und bei der Jugendpolitik wurde auch gekürzt.
Was bedeutet es für die NPD, aus dem Landtag zu fliegen?
Das ist ein herber finanzieller Verlust. Außerdem verliert die NPD die Rechte der Abgeordneten, also das Auskunftsrechte zum Beispiel über Initiativen, Träger, Personen, wer wo im Vorstand sitzt und wieviel Geld bekommt. Aber das Wählerpotential ist ja weiter da. Hinzu kommt die regionale Verankerung. Die NPD sitzt in Sachsen in den Stadträten und in allen Kreistagen und das häufig auch nicht nur mit einem Abgeordneten. Es gibt eine kommunale Basis.
37, stammt aus Meißen und sitzt für die SPD im Bundestag. In ihrer Fraktion ist sie für die Strategien gegen Rechtsextremismus zuständig. Zuvor war sie Geschäftsführerin des Netzwerks für Demokratie und Courage (NDC) in Sachsen.
Wird die AfD die NPD im Landtag beerben?
Nein, das ist schon ein Unterschied, auch das Wählerklientel ist ein anders. Bei den AfD-Wählern geht es eher um Selbstzufriedenheit und Besitzstandswahrung. Wenn man mit AfD-Anhängern spricht, kommen Sprüche wie: Als ich früher mit der D-Mark gereist bin, war ich noch besser angesehen als mit dem Euro. Bei den NPD-Wählern ist die rassistische Haltung eindeutiger und aggressiver.
Was macht die Gefahr der AfD aus?
Dass es eine Normalisierung des Denkens gibt, Menschen in nützliche und unnütze aufzuteilen, in Wir und Sie mit all den nationalistischen Überhöhungen.
Wo hat die SPD versagt?
Wir haben vor allen in den ländlichen Gebieten wie bei mir im Wahlkreis sehr wenige Mitglieder wenig regionale Verankerung. Wenn man es nicht drauf anlegt, trifft man sein ganzes Leben dort keinen Sozi. Und wenn man die Leute nicht kennt, wählt man sie auch nicht.
Leser*innenkommentare
Guest
Gast
So sieht das aus wenn "Muttis" Partei und Andere an den Menschen vorbei regieren und erst immer nach den Wahlen lamentieren, was sie wohl falsch gemacht haben. In Deutschland tut man sich schwer mit neuen Pareien und diffamiert schon schon vorne weg. Auch das ist Demokratie: freie Wahlen und das Ergebnis erst einmal als das anzuerkennen was sie sind: der Spiegel für die Politiker wie die Wähler die etablierten Volksvertreter in ihrem Handeln wahrnehmen.
vjr
... und 19 Prozent für 'ne Partei links von der SPD ... Was bedeutet das?
... Links - Rechts 19 : 15 ?
... oder 19 + 15 = 34 Prozent Unzufriedene?
Rainer B.
Nach offizieller Lesart kann es sich dabei praktisch nur um eine große Zustimmung zur Politik Angela Merkels handeln. Was denn sonst?
"Gelobet seist du ....dass du Mensch geboren bist.....Von einer Jungfrau, das ist wahr....ist ein Kindlein worden klein....das alle Ding' erhält allein....im Bund, im Land und im Ortsverein...im Gau und auf der Au'...in Ewigkeit. Amen und ohne Erbarmen."
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5393 (Profil gelöscht)
Gast
Es scheinen mir eher Definitionsprobleme zu sein und konservativextrem klingt ästhetisch nicht so gut wie rechtsextrem, ergo wird das Sprachbild leitend bzw. nicht leitend. Bleibt für die AFD erzkonservativ und das ist eben nicht rechts und dieses Erzkonservative aber tat zunächst gar nichts gegen Hitler, dann schon als es viel zu spät war. Man protestierte NICHT als es SPD und Kommunisten traf.
Historisch steht die AFD eher dort und vielleicht etwas mehr links davon, aber immer noch erzkonservativ. Erzkonservativ war nach dem 2. Weltkrieg erledigt, weil man i Z Hitler trotz spätem Widerstand versagt hatte, der erzkonservative Widerstand war top down und das zeigt einen anderen Punkt, warum die AFD nicht in die Zeit passt. Die Nazis hielten viele Erzkonservative für Quasi-Nazis, Leute, die da schon zum Teil des erzkonservativen Widerstands gehörten. Die SPD merkt oft die Unterschiede auch nicht. Die AFD ist eine Art tea party, vgl USA. Die einzige Vokabel, die momentan passt. Mit George Bush usw. kann man sowas integrieren, mit Merkel usw. nicht.
Der Utilitarismus ist top down.
Rainer B.
„Wir sind das Problem nicht los“
Welches Problem? Einheimische SPDler können sich in Sachsen doch teilweise sogar angstfrei bewegen. Bei Ausländern ist das längst nicht so. Wer im sächsischen Land sein ganzes Leben lang keinen Sozi trifft, den muss man deshalb noch lange nicht bedauern. Wer aber dort durch die Straßen läuft und "Ausländer raus" ruft, ohne dass ihm jemals ein leibhaftiger Ausländer begegnet wäre, der hat ein richtig schweres Defizit.
D.J.
Gast
@Rainer B. Wir sind nicht mehr in den frühen 90ern, in denen ich meinen ausländischen Freunden riet, manche Teile Sachsens (und überhaupt des Ostens) eher nicht zu besuchen und keinen Teil ohne Begleitung nachts. Ich besuche regelmäßig meine alte, geliebte Heimatstadt Leipzig und freue mich, dort weniger Hakenkreuzschmierereien zu sehen als in manchen Städten des Ruhrgebiets.
Hanne
Ich rate das meinen "ausländischen" und andersfarbigen Freunden und Bekannten schon.
Ich wohne seit gut 15 Jahren in Sachsen und bin erschüttert, über das, was ich hier tagtäglich im Alltag erlebe. Und den feinen Unterschied zu anderen (Bundes)Ländern kann man meist nur erkennen, wenn man anderes gewohnt ist bzw. schon erleben durfte. Manche schaffen es auch so, aber viele der hier sozialisierten, mögen sie noch so nett sein, können das typisch "Sächsische" nicht demokratische Verhalten (auch im Alltag) kaum wahrnehmen.
Und ich kenne auch dunkelhäutige hier in der Stadt, die auch nachts nicht alleine herum laufen bzw. bestimmte Orte/Stadtteile ggf. meiden.
Rainer B.
@D.J. Die Hakenkreuzschmierereien finden ja auch heute ganz vornehm auf den Wahlzetteln statt.
Andreas_2020
Die SPD hat es in Sachsen nicht auf 15 Prozent geschafft. In gewisser Weise ist dieses Bundesland auch ein Sonderfall. Was ich allerdings auch glaube, ist, dass die AfD eine Art Ausgrenzungsdenken kultiviert. Das haben sie m.M. aber von der Agenda-Politik und der stetigen Verschenkung von Steuergeldern direkt von CDU, CSU und SPD gelernt. Gleichwohl kann ich mir vorstellen, dass die AfD in Probleme rutscht, wenn ihre Mitglieder nun in Parlamenten normale Arbeit verrichten müssen, wenn der populistische Impetus nicht da ist, wenn wirklich sofort Entscheidungen gefordert sind. Wahrscheinlich wird die Partei ab und an mit sonderbaren Gemengelagen kämpfen. Da ihre Wähler hauptsächlich Protestwähler sind, spielt das wahrscheinlich keine Rolle für ihr Weiterkommen.
KW40
Interessant die Aufschlüsselung der Wählerwanderung nach ARD Tagesschau bei der AfD:
33000 Stimmen vormalig CDU
18000 FDP
16000 Nichtwähler
15000 Linke
13000 NPD
8000 SPD
3000 Grüne
39000 vormalig andere Parteien (Piraten etc)
Quelle: http://wahl.tagesschau.de/wahlen/2014-08-31-LT-DE-SN/analyse-wanderung.shtml#11_Wanderung_CDU
D.J.
Gast
Bei SPON schrieb gerade jemand, der offensichtlich die anderen Zahlen ignoriert hat:
"Mir wäre als AfD nicht zu lachen zumute
wenn man überlegt das 13000 NPD zur AfD gewechselt sind ist das für mich ein Argument diese Partei nicht zu wählen."
Wohin selektive Wahrnehmungsmuster doch so führen können... Oder eher, zu welch selektiven Wahrnehmungsmustern ideologisches Denken so führt...
ioannis
Das mit der fehlenden Verankerung mag auch daran liegen, dass der SPD zu Einzelmenschen, im Gegensatz zu schafherdigen Massen wie z.B. bei verdi-Trillerpfeifen-Aufläufen, nie was einfällt, keine Chance, keine Politik. Zu nicht-urbanen Einzelmenschen schon mal gliech gar nichts.