Russlands Kriegsverbrechen vor Gericht: Tribunal für Putin und Co.
Kyjiw und der Europarat vereinbaren ein Sondergericht. Es soll Verantwortliche aus Russland für dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine aburteilen.

„Jeder Kriegsverbrecher muss wissen, dass es Gerechtigkeit geben wird, und das gilt auch für Russland“, sagte Selenskyj nach der Unterzeichnung des Abkommens in Straßburg mit dem Generalsekretär des Europarats, Alain Berset. Es bedürfe großen politischen und juristischen Mutes, um sicherzustellen, dass jeder russische Kriegsverbrecher, einschließlich Putin, vor Gericht gestellt werde, so Selenskyj vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. „Wir müssen eine klare Botschaft senden: Aggression führt zu Bestrafung. Und wir müssen dies gemeinsam tun – als gesamtes Europa“, schrieb er später bei X.
Es ist das erste Mal, dass ein derartiges Tribunal – es soll 2026 seine Arbeit aufnehmen – unter der Ägide des Europarats eingerichtet wird. Dem „Wächter über Demokratie und Menschenrechte“ gehören 46 Staaten an – darunter die Türkei, Großbritannien und die Ukraine. Russland wurde 2022 ausgeschlossen.
Laut des ukrainischen Webportals Ewropejskaja Prawda könnte die Liste der Angeklagten rund 20 Namen umfassen – darunter Präsident Wladimir Putin, Außenminister Sergei Lawrow sowie Ministerpräsident Michail Mischustin.
Debatten seit über drei Jahren
Die Debatten über die Einrichtung des Tribunals laufen seit 2022. Nicht zuletzt auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien blockierten den Prozess. Die G7-Staaten befürchteten offenbar, dass eine Strafverfolgung Putins unter anderem die Staaten des Globalen Südens provozieren könnte, sich gegen den Westen zu verbünden und ein eigenes Tribunal einzurichten, um die ehemalige US-Führung wegen der Invasion im Irak 2003 anzuklagen. Letztendlich gelang es jedoch den Unterstützern der Ukraine, die anderen zu überzeugen.
In den Statuten des neuen Sondergerichts ist von einer „funktionellen Immunität, die nicht zur Anwendung kommt“, die Rede. Im Klartext bedeutet das, dass Amtsträger, die an der Planung und Durchführung von Moskaus Aggression beteiligt waren beziehungsweise sind, sich nicht darauf berufen können, nur Befehle ausgeführt zu haben.
Eine „persönliche Immunität“ wird nicht erwähnt. Dennoch könnten zum Beispiel gegen Putin Ermittlungen aufgenommen werden. Jedoch würde ein Gerichtsverfahren für ein Staatsoberhaupt (oder einen Minister) ausgesetzt, solange dieses/r noch im Amt ist. Zudem ist vorgesehen, dass ein Schuldspruch gegen einen Angeklagten in Abwesenheit ergehen kann.
Das Sondergericht kann nur Untersuchungen gegen eine Einzelperson einleiten, wenn ein entsprechendes Gesuch der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft vorliegt. Der Staatsanwalt des Tribunals leitet eine Untersuchung ein und entscheidet darüber, ob Anklage erhoben werden kann. Der Untersuchungsrichter des Tribunals muss dann einen Haftbefehl genehmigen oder ablehnen.
Die Ukraine hatte sich während der Verhandlungen bemüht, im Gerichtsstatut festzuhalten, dass Russlands Aggression bereits 2014 begonnen habe – vergeblich. Die Kompromissformel lautet: Das Tribunal wird die Befugnis haben, den Zeitrahmen selbst festzulegen. Das bedeutet, dass die Ukraine Verfahren gegen Generäle auf den Weg bringen kann, die für die Besetzung der Krim und des Donbass verantwortlich sind. Diese Verfahren werden dann an das Sondergericht weitergeleitet.
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