piwik no script img

Russland-Ukraine-TalksNeuer Austausch von Gefangenen geplant

Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine enden am Montag fast ohne Ergebnis. Menschen in Lwiw misstrauen Moskau.

Vor Gesprächen zerstört die Ukraine russische Flugzeuge, hier ein Tu-95 MS Bomber und Raketenträger Foto: Yuri Kochetkov/epa/dpa

Lwiw taz | Die ukrainischen Fernsehsender kommen an diesem Montag nicht mehr hinterher. Die Sequenzen wechseln sich alle paar Minuten ab. Mi­li­tär­ex­per­t*in­nen analysieren die Bedeutung umfänglicher ukrainischer Drohnenangriffe auf russische Militärflugzeuge vom Sonntag. Der unerwartete Vorstoß wird in Russland „Spezialoperation“ genannt. Kameras schwenken über in der vergangenen Nacht bei russischen Luftschlägen zerstörte Wohnhäuser in den ukrainischen östlichen Regionen Charkiw, Donezk und Saporischschja. Krankenwagen transportieren blutende Verletze ab. Im ukrainischen sogenannten Tele-Marathon zeigen alle TV-Sender das gleiche Programm.

Darunter sind Szenen aus Istanbul: Vor dem Çırağan Palace Hotel, wo an diesem Montag eine ukrainische und eine russische Delegation zu direkten Gesprächen zusammenkommen, bemüht sich eine ukrainische TV-Journalistin, die quälende Wartezeit zu überbrücken. Immerhin: Mit nur einer Stunde Verspätung beginnen die Verhandlungen, doch nach draußen dringt nichts – noch nicht.

Nach einer Stunde ist alles schon wieder vorbei. Nur so viel scheint klar zu sein: Fundamentale Fortschritte sind nicht zu verzeichnen, aber laut dem ukrainischen Verteidigungsminister und Leiter der ukrainischen Delegation, Rustem Umerow, soll es wie nach einem ersten direkten Treffen in Istanbul am 16. Mai einen weiteren Gefangenenaustausch nach der Formel „alle gegen alle“ geben. Es geht dabei um schwerverletzte und erkrankte Truppenangehörige sowie Soldaten im Alter bis zu 25 Jahren.

Ansonsten besteht Moskau laut der Agentur Axios auf seinem bekannten Maximalprogramm. Dazu gehört die Forderung eines kompletten Abzuges ukrainischer Truppen aus den vier Verwaltungsbezirken Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson, die russische Truppen nicht in Gänze kontrollieren. Von tausenden nach Russland verschleppten Kindern will Moskau angeblich nur 10 zurückgeben; und das bis zum 10. Juli.

Zweifel an Russland

In der westukrainischen Stadt Lwiw scheint Russlands Angriffskrieg weit weg zu sein – aber nur auf den ersten Blick. Große Tafeln auf Ukrainisch und Englisch in der Nähe des Rathauses ehren Soldaten, die im Osten getötet wurden – die beiden letzten erst Ende Mai. Auf dem Freiheitsboulevard im Zentrum, der direkt zur Oper führt, sind fast alle Bänke besetzt. Viele Frauen, die hier entlang schlendern, tragen bestickte Blusen oder bedruckte T-Shirt. „Ich bin ukrainisch“, steht darauf. Jugendliche stehen in Gruppen zusammen, sichtlich ausgelassen. Die Sommerferien, die drei Monate dauern, haben gerade begonnen.

Wladislav, ein Mittdreißiger, ist skeptisch, was die zweite Verhandlungsrunde angeht. „Ich erwarte da keinen Durchbruch. Russland glaubt doch immer noch, dass es mit seinem Krieg mehr zu gewinnen hat, als wenn dieser endlich enden würde“, sagt er der taz. Moskau werde mal wieder nur so tun, als sei es offen für einen Dialog. Doch die Militärak­tionen der vergangenen Tage und Wochen zeigten doch, dass sich an Moskaus Absichten nichts geändert habe, meint Wladislaw.

Auch Präsident Wolodymyr Selenskyj, am Montag beim Treffen des Nato-Ostflügels im Bukarest-Format (B9) anwesend, äußerte vor wenigen Tagen Zweifel daran, dass Russland wirklich zu produktiven Gesprächen bereit sei. Während Kyjiw vor dem Treffen in Istanbul ein Memorandum mit konkreten Forderungen vorgelegt hatte (dazu gehören unter anderem eine Waffenruhe ohne Vorbedingungen sowie die Rückkehr aller nach Russland verschleppten Kinder), wird Moskaus Programm unter Verschluss gehalten.

Juri Durkot, Germanist und Übersetzer aus Lwiw, fühlt sich in seiner Skepsis bestätigt. „Russland will weiter manipulieren, lügen, drohen, auf Zeit spielen und Menschen töten. Man muss schon sehr naiv sein, um zu glauben, dass Putin den Krieg beenden will“, sagt Durkot. Selbst bei dem Gefangenenaustausch habe Moskau manipuliert. Denn als Kriegsgefangene ausgetauscht worden seien reguläre ukrainische Häftlinge aus den besetzten Gebieten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Nicht nur die Menschen in Lwiw misstrauen Moskau. Nein, die ganze Welt misstraut Moskau und Russland wird dafür sehr sehr lange büßen.

  • Auf den ersten Blick mag das Ergebnis von heute ernüchternd klingen: "lediglich" ein Gefangenaustausch. Bei genauerer Betrachtung ist das jedoch bemerkenswert. Historisch betrachtet dauern offizielle Verhandlungen oft Monate oder Jahre und auch Gefangenaustausche kommen erst nach Monaten oder teilweise Jahren zustande.



    Das dieses in diesem Krieg oft schnell geht ist durchaus ein positives Zeichen.

    • @Alexander Schulz:

      So ist es. Jede Vereinbarung, auch und gerade über Gefangene, ist ein Erfolg. Das mag so manchen Kriegstreiber halt nicht gefallen.

      • @Pico :

        "Jede Vereinbarung, auch und gerade über Gefangene, ist ein Erfolg. Das mag so manchen Kriegstreiber halt nicht gefallen."



        Jeden, der eine Vereinbarung über Gefangenenaustausch bei andauernder Bombardierung der Zivilbevölkerung als enttäuschend betrachtet, als Kriegstreiber zu bezeichnen, ist auch eine Perfidie besonderer Art.

      • @Pico :

        Vor allen Dingen, wenn es eigentlich keine erfolgsversprechende militärische Alternative gibt.