Russisches Staatsfernsehen über Krieg: Die Welt, wie sie ihm gefällt
Putin rechtfertigt die Explosionen in der Ukraine als „Kampf gegen Terrorismus“. Das Staats-TV spricht davon, als gäbe es keine Verantwortlichen.
Er spricht, wie seit Februar bereits, von „hochpräzisen Luft-, See- und landgestützten Langstreckenwaffen“, die die „Energieinfrastruktur, militärische Kommandosteuerungen und Kommunikationseinrichtungen“ vernichtet hätten. Und er droht wieder einmal: „Wenn die Terroranschläge auf dem Territorium Russlands fortgesetzt werden, werden die Antworten hart sein und in ihrem Ausmaß dem Niveau der Bedrohung für die Russische Föderation entsprechen.“ Irgendeinen Zweifel daran, so sagt Putin, solle niemand haben.
Die Falken in seinem Regime feiern. „Lauter gute Nachrichten seit diesem Morgen“, schreibt etwa Sergei Axjonow, der sich mit dem Titel schmückt, Gouverneur der Krim zu sein. „Die Russen kommen! Endlich!“, teilt Kirill Stremussow, Putins Statthalter im besetzten Cherson, in den sozialen Netzwerken mit. „Ich hoffe ja, dass es keine einmalige Aktion war, sondern ein neues System der Kampfführung. Weiter so!“, feuert der Militärberichterstatter der staatlichen Zeitung Komsomolskaja Prawda, Alexander Koz, in seinem Telegram-Kanal geradezu an.
Putins Vergeltungsschlag für die Zerstörung der Krim-Brücke am Samstag, deren Verantwortung dieser beim „Terrorregime in Kiew“ sieht, wie er sagt, stimmen die russischen Kriegstreiber höchst zufrieden. „Lauf, Selenski, lauf. Wir haben dich gewarnt, dass wir noch nicht richtig begonnen hätten“, höhnt der Tschetschenienführer Ramsan Kadyrow, den Putin erst vor wenigen Tagen zum Generaloberst ernannt hatte.
Das Staatsfernsehen bleibt zunächst stumm
Der Chef der Partei „Gerechtes Russland“, Sergei Mironow, schreibt: „In der Ukraine müssen sie in Angst leben. Wir dürfen die Terroristen nicht betüddeln. Sieben Monate haben wir sie verschont. Das reicht!“ Und Tigran Keossajan, der Ehemann von Putins Chef-Propagandistin Margarita Simonjan, sieht durch die jüngste Ernennung des Generals Sergei Surowikin zum Chef der russischen Truppen in der Ukraine einen „echten goldenen Herbst gekommen“. Dem einstigen Syrien-Kommandeur Surowikin warfen russische Menschenrechtler*innen bereits in Tschetschenien Kriegsverbrechen vor.
Noch in den Morgenstunden, als in Kiew, Odessa und Lwiw Bomben auf Straßen und Menschen niedergehen, gibt sich das russische Staatsfernsehen stumm. Kein Wort von „lang erwarteten Antwortschlägen zur Vernichtung des terroristischen Nazi-Regimes“, wie wenig später auf allen Kanälen zu hören ist. Die Mittagsnachrichten dann zeigen verwackelte Aufnahmen, brennende Autos, viel Rauch.
Die Nachrichtensprecherin weist auf Bilder der Zerstörung in der Ukraine hin – und spricht mittels Passivkonstruktionen; „In Kiew donnerte es“, sagt sie, oder: „Seit den Morgenstunden kam in der Ukraine etwas angeflogen“, „Es gab Einschläge hier, Einschläge dort, wirklich ernsthafte Treffer“. Dass russische Truppen dafür verantwortlich sind, sagt sie nicht. Es klingt, als seien Kiew und die vielen anderen ukrainischen Städte von unsichtbaren Außerirdischen überfallen worden. Als seien russische Bomben eine Art Wetterphänomen, das für verheerende Zerstörungen sorge.
„Schuld sind wir an all dem nicht“
In einer späteren „Sondersendung“ der Talkshow „Die Zeit wird es zeigen“ im Ersten Kanal freuen sich die beiden Moderator*innen über die „beeindruckenden Aufnahmen“ aus der Ukraine. „Wir haben schon oft gesagt, dass die Terroristen zu vernichten seien, nun hat auch der Präsident ein Machtwort gesprochen“, sagt der Moderator. Sein Gast, ein „Politologe“, beschuldigt – ganz in Putin-Manier – den Westen. Die USA könnten lediglich „zündeln und verraten“, Europa sei das „Schicksal der Ukraine absolut egal“.
Eine angebliche Journalistin aus Frankreich erklärt, wie europäische Medienmacher*innen „Pakete von ideologischen Handbüchern“ erhielten und die Ereignisse in Russland und der Ukraine „nicht wahrheitsgemäß an ihre gutgläubigen Leser und Zuschauer“ weitergäben. „Die russische Armee ist stark“, tönt wieder der „Politologe“, die Moderatorin ist ganz seiner Meinung. „Aber schuld sind wir an all dem nicht.“
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